Gil Ofarim: Verhandlung über Antisemitismus-Vorwürfe in aufgebrachten Zeiten

Gil Ofarim im Kieler Max Nachttheater, 2018. Bild: Stormy / CC BY-SA 4.0 Deed

Dem Musiker wird falsche Verdächtigung vorgeworfen. Die Empörung in Medien und Politik war groß. Welche Antworten der Prozess bisher gibt und was offen bleibt.

Auf zehn Verhandlungstage ist der Prozess gegen den Musiker Gil Ofarim angesetzt. Der letzte Prozesstag ist für Donnerstag, den 7. Dezember vorgesehen. 27 Zeugen sind geladen. Zwei Prozesstage wurden bereits verhandelt.

Ein erstes Zwischenfazit nach der Anhörung zweier Hauptzeugen am vergangenen Dienstag lautet, dass die Streitsache um einiges komplizierter ist, als es die ersten Medienberichte und Empörungen im Oktober 2021 zu ihrer Sache gemacht hatten.

Bis zur New York Times auf der anderen Seite des Atlantiks war die Empörung gedrungen. Der Vorfall in einer Leipziger Hotellobby sorgte für Schockwellen über "erschreckende antisemitischen Anfeindungen".

Dem Vorfall folgte noch am selben Abend eine ergriffene Schilderung von Gil Ofarim, die er vor dem Hotel sitzend auf Instagram postete – und die noch online ist, ein Zeichen dafür, dass Ofarim an seiner Wahrnehmung des Geschehnisses festhält.

Bald danach gab es deutlich erregte und bedrohliche Reaktionen, Demonstrationen, Entsetzen in Medien, Morddrohungen gegen den Hotelmanager, aufgebrachte Turbulenzen.

Tausende empörten sich in den sozialen Netzwerken über den Vorfall, (…), vor dem Hotel drängten sich deutsche Journalisten und rund vierhundert Demonstranten, die gegen Antisemitismus protestierten. Politiker von CDU und SPD schalteten sich ein, "Leipzig ist kein Einzelfall", schrieb Außenminister Heiko Maas, er sei "fassungslos".

Die Antidiskriminierungsstelle der BRD forderte kaum verhohlen personelle Konsequenzen: "Das ist ein unfassbarer Fall von Antisemitismus. Aus unserer Sicht kann das nicht folgenlos bleiben."

NZZ

Die Aufgebrachtheit wuchs sich giftig aus und kehrte sich im Fortlauf weiterer Ereignisse gegen den Ankläger, dem man in hetzerischer Manier böse Nachreden über Juden anhängte, als sich herausstellte, dass es noch andere, dem Vorwurf von Ofarim widersprechende Darstellungen der Geschehnisse gibt, wie dies eine Untersuchung im Hotel erbrachte.

Ankläger wird zum Angeklagten

Dem folgten, wie es heißt, "umfangreiche Ermittlungen" der Staatsanwaltschaft, mit der juristischen Konsequenz, dass aus dem Ankläger der Angeklagte wurde: Gil Ofarim muss sich wegen Vorwurfs der falschen Verdächtigung, Verleumdung sowie des Betruges vor Gericht (AZ.: 6 KLs 607 Js 56884/21) vor Gericht verantworten.

Nun könnte man den Streit auf einen übersichtlichen, beinahe alltäglichen Kern reduzieren, der allein schon nicht ohne Biss ist. Zwischen Hotelmanagern und Rock- oder Popstars liegen oft Welten der Wahrnehmung und die Macht, mit Prominenz Druck auszuüben, ist ein geradezu klassischer Move.

Die Dimensionen

"Es hört sich an, als wären da zwei Rechthaber aufeinandergetroffen", schilderte die bekannte SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger gestern auf Seite 3 der Printausgabe ihren Eindruck. Auch das ist schwierig genug, wie man es aus dem alltäglichen Leben und aus unzähligen Forumsdebatten kennt.

Die Beobachtung hängt sie an den Streit darüber, warum Ofarim schließlich das Hotelzimmer verweigert wurde.

Kurze Antwort: Der Musiker war wütend über seine Behandlung, er verstand nicht, warum er so lange an der Rezeption warten musste, fühlte sich benachteiligt. Der Hotelmanager war anschließend wütend über die Reaktion des Gastes – "Scheißladen" – fühlte sich bedroht und verweigerte ihm das Einchecken. Zuvor sollte sich der Gast entschuldigen. Dazu kam es nicht.

Zur kurzen Antwort gab es Ausführungen von Zeugen vor Gericht, die sich länger mit den Details beschäftigen. Der Focus protokolliert das so:

16.13 Uhr: (…) "Er wirkte genervt, dass er seine Karte nicht bekommen hat und warten musste", so die Zeugin. Der Hotelmanager sei sehr ruhig gewesen und habe dann zu Ofarim gesagt, er müsse nicht in diesem Hotel übernachten. Ofarim habe dann gesagt, er könne das auch publik machen über Instagram und dann ginge es "bam, bam, viral" und habe dabei in die Handflächen geklatscht.

Focus

15.43 Uhr: Jetzt stellt die Staatsanwaltschaft Fragen. Es geht um das Schmuckstück, den Davidstern, den Ofarim um den Hals trug. Der Zeuge habe den Davidstern bei Ofarim später gesehen. Anfangs aber nicht. Ofarim habe, soweit sich der 58-Jährige erinnere, seine Jacke anfangs noch nicht geöffnet.

Focus

15.29 Uhr: Der Zeuge und Ofarim seien fast gleichzeitig an die beiden Check-in Schalter gekommen. Er habe das Gespräch zwischen dem Hotelmanager und Ofarim mitbekommen, weil Ofarim lauter gesprochen hätte. Wie lange das Gespräch zwischen den beiden gedauert hat? "60 bis 90 Sekunden. Lassen Sie es zwei Minuten gewesen sein, aber es war eine relativ schnelle Abfolge."

Er habe gehört, dass Ofarim nicht einchecken brauche, wenn er so über das Hotel spreche. Er habe nicht gehört, dass der Hotelmanager gesagt habe, dass er das Hotel verlassen müsse.

Focus

Die SZ beobachtet dies:

Dann kommt in den Gerichtssaal noch ein Gast, der in der Warteschlange direkt hinter Ofarim stand. Das, was er gehört hat, passt zur Schilderung von W. Der Sänger sei "sehr laut" gewesen, und nachdem er eine negative Bewertung angekündigt hatte, habe W. gesagt, dass er dann nicht Gast des Hotels sein müsse. Das Wort "Stern" oder "Davidstern" habe er nicht gehört.

Später hätten die beiden noch etwas weiter weg miteinander gesprochen, unhörbar für den Gast. Dabei, sagt dieser, habe er die Kette mit dem Stern gesehen.

SZ, "An der Rezeption wild herumgefuchtelt", Printausgabe 09.11.2023

Die Aussage der Zeugen der Anklage und der Zeugen der Verteidigung auszuwerten, ist Sache des Gerichts. Zehn Prozesstage lassen dafür Zeit.

Allerdings geht es im Prozess um mehr als eine kurze Antwort. Darauf weist die Verteidigung hin, die eine "gefühlte Wahrheit" in Anspruch nimmt.

Die Wahrheit sei oft schwer zu ermitteln. Mehrfach zieht Stevens Vergleiche mit MeToo-Fällen. Auch da stehe das Opfer regelmäßig allein da mit seiner Aussage, mit seiner Erfahrung. Was genau gesagt worden sei, wie, wann und in welchem Zusammenhang? "Wer weiß das schon", sagt Stevens.

Und gibt damit einen Vorgeschmack auf die Verteidigungsstrategie: Was sich zugetragen habe in der Lobby des Westin, was der Hotelrezeptionist zu dem Musiker gesagt habe – das lasse sich kaum mehr ermitteln.

Die Zeit

Vorverurteilungen

Und es gibt einen beachtlichen Hintergrund: Die "Medien und andere Antreiber der Empörungsmaschine" (NZZ) müssen sich Fragen stellen, die mit Vorverurteilung zu tun haben.

Obwohl es einige Rufe zu mehr Vorsicht in Medien gegeben hatte, als sich herausstellte, dass man sich getäuscht hatte, dass es im Kreis der Hotelangestellten und Hotelgästen eine andere Wahrnehmung des Vorfalls gab, zeigte sich dann später im Fall Rammstein, wie ungern man auf das Geschäftsmodell Empörung verzichtet; Aufmerksamkeit im Bündnis mit der richtigen Moral gibt sich unangreifbar.

Die Diskussion über Antisemitismus in Deutschland hat indessen durch die Massaker der Hamas, die mit Judenhass in Verbindung stehen, und den daraus folgenden Krieg im Gazastreifen mit Tausenden zivilen Opfern, eine ganz neue Dimension bekommen.

Wie der Fall Ofarim sich der neuen Dimension des Antisemitismus, der sich infolge der aktuellen Ereignisse auch in Deutschland noch schärfer und deutlicher zeigt, ausnimmt – dies zu klären, gehört zu den offenen und längeren Antworten.