Giorgia Meloni streicht Bürgergeld per SMS: Die Neue Rechte bei der Arbeit

Bild: www.governo.it / CC BY 3.0 IT

Krieg gegen die Armen als populäre Maßnahme: Italien ist in einer Situation der politischen Verwirrung, nicht zuletzt wegen eines kulturellen Niedergangs. Ein Kommentar.

In den vergangenen Tagen wurde in Italien das Bürgergeld – rund 750 Euro pro Monat – für zahlreiche bisher Empfänger abgeschafft: Etwa 169.000 Haushalten in Italien wurde die Sozialhilfe gestrichen, weitere Streichungen sind angekündigt.

Allein in Neapel trifft es 21.000 Familien. Sie werden diese Hilfe nicht mehr erhalten. In der ganzen Region Kampanien sind 37.000 Familien davon betroffen. Die vielen Proteste und Kundgebungen in Süditalien konnten die Entscheidung der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht rückgängig machen.

Die Bürger wurden von ihr kurzfristig per SMS darüber informiert, dass ab dem 1. August das Geld gestrichen wird.

Es hagelte harte Vorwürfe gegen Meloni von den Oppositionsparteien. Sie richte ein "soziales Desaster" an, so Giuseppe Conte, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung. Der Vorsitzende der Partito Democratico Elly Schlein sprach von einem "Krieg gegen die Armen".

Und doch ist der Kurs von Meloni "populär", wie in Deutschland etwa die Wochenzeitung Die Zeit berichtete. Wie kommt das?

Der Eindruck, mit dem man in Italien täglich konfrontiert wird, ist der einer tiefen politischen Desorientierung und der Suche nach einer politischen Identität. So wie das Volk des Moses, das in der Wüste auf der Suche nach dem gelobten Land umherwandert – der Vergleich ist nicht weit entfernt von der Realität der italienischen Wählerschaft.

Bei den letzten Parlamentswahlen haben rund 16,5 Millionen Italiener nicht gewählt, das entspricht 37 Prozent der Wählerschaft. Das ist ein absoluter Rekord der Wahlenthaltung. Enttäuscht, desillusioniert und unentschlossen: So fühlten sich die Italienerinnen und Italiener kurz vor der Wahlen.

Die Vorgeschichte: Ideale und Visionen

In den 1980er-Jahren waren die Italiener politisch in drei Lager gespalten: die Arbeiterklasse, die mit großer Überzeugung für ihre Rechte kämpfte und für die PCI (Kommunistische Partei Italiens) stimmte. Deren Parteivorsitzender war Enrico Berlinguer.

Dann gab es die MSI (Italienische Soziale Bewegung) unter der Führung von Giorgio Almirante. Dieser Partei haben vor allem Unternehmer und Wohlhabende ihre Stimme gaben und dazu zählten auch die sogenannten Nostalgiker, die immer verehrten - und immer noch nicht ganz verschwunden sind.

Im Zentrum der politischen Szene Italiens stand die Christlich-Demokratische Partei (DC) mit einer historischen Figur: Giulio Andreotti.

Diese drei Politiker galten als Staatsmänner, unabhängig davon, welche politische Farbe sie vertraten. Sie hatten Ideale, Visionen, die sie denjenigen vermittelten, die sie wählten.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Arbeiter stolz darauf waren, Arbeiter zu sein, weil sie sich bewusst waren, dass ohne sie eine Fabrik oder ein Unternehmen nicht fortbestehen konnte, und dieses Bewusstsein wurde an die nächste Generation weitergegeben.

Auf der anderen Seite waren die Unternehmer ebenso stolz darauf, Unternehmer zu sein, da sie selbst davon überzeugt waren, dass ohne ihr Unternehmen viele Arbeiter nicht arbeiten könnten. Dann gab es in der Mitte die Christdemokraten, die den Katholiken und denjenigen, die nicht wählen wollten, die Stimmen abnahmen. Zu dieser Wählerschaft gehörten auch rechtsorientierte Wähler, die sehr moderat waren.

Die politische Szene veränderte sich mit dem Untergang der Ersten Republik, also des politischen Systems der Italienischen Republik zwischen 1946 und 1994. In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre wurde Italien von einer Reihe von gerichtlichen Ermittlungen überrollt, die ein korruptes System ans Licht brachten, in das Politik und Wirtschaft verwickelt waren.

Die Zäsur: Silvio Berlusconi

1994 kündigte Silvio Berlusconi öffentlich an, dass er in die Politik eintreten wolle, um zu verhindern, dass die "Kommunisten" an die Regierung kommen. Mit der Ankunft Berlusconis und der Gründung seiner Partei "Forza Italia" änderte sich das Szenario der italienischen politischen Parteien völlig.

Die Linke verschwand. Berlusconi schenkte den Italienern das Privatfernsehen, und da es keine Linke mehr gab und die Opposition geschwächt war, wählten die Italiener Berlusconi.

Das politische Geschehen verlagerte sich deutlich nach rechts. Mit der Ankunft Berlusconis änderte sich die Art und Weise, wie Politik konzipiert wurde. Es gab eine Verschiebung von einer Politik, die über Ideen gespalten war, hin zu einer Politik, die sich offensichtlich auf Personen, d. h. auf Parteichefs konzentrierte.

Neue Identifikationen

Die Italiener begannen, sich mit den verschiedenen Führungspersönlichkeiten zu identifizieren, die Berlusconi begleiteten, wie Umberto Bossi, Gründer der Lega Nord, oder auch Matteo Salvini, ein treuer Anhänger und Mitglied der Lega Nord. Dann trat Matteo Renzi von der Partito Democratico auf den Plan und regierte zwei Jahre lang.

Auf Matteo Renzi folgte die 5-Sterne-Bewegung mit Giuseppe Conte, doch der eigentliche Anführer der Bewegung war immer noch ihr Gründer: Beppe Grillo. Nach dem Sturz von Giuseppe Conte war es Mario Draghi, der die Zügel einer technischen Regierung übernahm, und bei der letzten Wahl wählten die Italiener Giorgia Meloni.

Es ist oft von "Proteststimmen" die Rede, wie z. B. bei den Wahlen, die die Fünf-Sterne-Bewegung an die Regierung brachten, aber mehr als Proteststimmen sollten sie als Stimmen der Identifikation mit einer politischen Figur interpretiert werden.

Beppe Grillo füllte die Plätze, wenn er Kundgebungen abhielt. Er schrie, war wütend und tobte auf einer kleinen Bühne herum. Die Italiener waren von seiner "Show" begeistert. Und wie kann man dann die Wahl von Giorgia Meloni erklären? Haben die Italiener Giorgia Meloni nur gewählt, weil es keine echte politische Alternative gab? Oder aus Protest?

"Ich bin eine von euch". Warum die Wähler von Giorgia Meloni nicht wirklich rechtsorientiert sind

Es stimmt, dass die Linke in Italien keine echte Alternative bieten konnte.

Aber es stimmt auch, dass Giorgia Meloni die Italiener für sich gewinnen konnte, indem sie während der Wahlkampagne auf den Plätzen laut rief:

"Ich bin eine von euch. Ich komme aus dem Viertel Garbatella (ein Arbeiterviertel in Rom). Ich bin eine Italienerin. Ich bin eine Mutter wie ihr."

Dennoch diejenigen, die für Meloni gestimmt haben, sind nicht wirklich rechtsorientiert.

Diese Menschen haben keine rechten Werte oder Visionen, auch weil es heute schwierig ist, zu sagen, was eine rechte Vision ist. Es handelt sich eher ein italienisches Phänomen, denn in Italien sind die Ideen zugunsten der politischen Identifikationsfiguren verloren gegangen.

Scheinbar sind es die Parteichefs oder die Parteichefinnen, die als politische Identifikationsfiguren gelten. In der Realität ist die Unterscheidung zwischen links und rechts, d.h. zwischen sozialistischem und konservativem Gedankengut, immer geblieben.

Heute, mit Giorgia Meloni auf der einen, der konservativen Seite, und Elly Schlein an der Spitze der PD (Demokratische Partei), ist es möglich, dass diese Unterscheidung zwischen konservativem und sozialistischem Gedankengut wieder eine Bedeutung bekommt.

Aber ist es dasselbe, rechts zu sein und rechts zu wählen? Wie kann man heute die italienische Rechte bewerten?

Während Giorgia Meloni behauptet, sie gehöre zum Volk und sei eine einfache Person, mehren sich innerhalb ihrer Partei peinliche Vorfälle und Skandale: Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida sprach öffentlich über ethnischem Austausch und behauptete, dass zu viele Migranten nach Italien kämen und Italiener zu wenige Kinder zur Welt brächten.

Senatspräsident Ignazio Benito La Russa wurde beschuldigt, nach dem Missgeschick seines Sohnes Leonardo Apache, gegen den wegen sexueller Nötigung ermittelt wird, widerwärtige Töne Frauen gegenüber anzuschlagen.

Gegen Daniela Santanchè, Ministerin für Tourismus, wird wegen Bankrotts und Bilanzfälschung ihrer Unternehmen ermittelt. Um sich zu entspannen, verbringt sie Tage in einem exklusiven Strandseeort in Forte dei Marmi, wo ein Tag am Strand 700 Euro kosten kann.

Giorgia Meloni hat mit Santiago Abascal, dem Vorsitzenden der spanischen Vox-Partei, telefoniert, um ihn nach seiner Wahlniederlage zu trösten. Gleichzeitig versucht sie, sich mit Macron zu versöhnen und sucht auch den Kontakt zu anderen europäischen Politikern.

Italiener können sich rechts fühlen, ohne tatsächlich rechts zu sein, und dies impliziert in der Gesellschaft die Möglichkeit, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu erzählen, d.h. die Narrative der Rechten bleibt bestehen, aber eine alternative oder neue Narrative wäre auch möglich. Ein Paradoxon?

Italien befindet sich in einer Situation der politischen Verwirrung, auch aufgrund eines kulturellen Niedergangs. Einst haben wir uns mit unseren Nachbarn verglichen, heute ist der Vergleichsmaßstab die soziale Medienwelt, die Wohlstand und Kapitalismus predigt.

Ist dieser politische Rechtsruck in Italien womöglich nur ein Trend? Denn Trends und Moden halten sich nicht lange und verschwinden schnell.

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