"Gladiator II": Blut und Spiele, antiwestlich
"Are you not entertained?" – Ridley Scotts schizophrener Film über das Zwillingspaar Politik und Showbetrieb. Was passiert, wenn die Sklaven siegen.
Rome must fall. I need only give it a push.
Macrinus (Denzel Washington), Kaiser 217/18, im Film
Den Zorn besingen wir/ Göttinnen des Pelliden Achilles.
Homer: "Ilias", erster Satz
Ganz am Anfang, noch vor Beginn des Films, erscheint der Titel und das vor 25 Jahren ikonisch gewordene Logo: "Glad-I-ator", wobei das "I" besonders großgeschrieben wird, wie eine römische I. Dann spaltet sich diese I zu einer römischen II und wir lesen "Glad-II-ator" – ein visueller Gimmick, nicht überaus originell, aber auch nicht schlecht, so wie dieser ganze Film. Aber vor allem ein – den Filmemachern unbewusster – Verweis auf das, was in diesem Film vor sich geht.
Ein Film über den Zerfall
Denn so wie Ridley Scotts mit fünf Oscars prämierter "Gladiator" 1999 ein Film über die Einheit war, über das letzte Aufbäumen römischer Tugenden in Marc Aurel – all das mögen Klischees sein, Vereinfachungen, komplett unhistorisch, aber darum geht es nicht, wir sind in Hollywood –, über den einen Kaiser, der in dem einen Kämpfer Maximus die Möglichkeit eines Weiterlebens des eigenen Erbes der Einheit Roms erkennt, so ist Scotts Fortsetzung "Gladiator II" ein Film über den Zerfall.
Gladiator II ist ein Film über die Zersplitterung, über Dekadenz und Hoffnungslosigkeit. Es mag ums Ganze gehen, aber dieses Ganze ist bereits unrettbar zerbrochen.
So zerbrochen wie die Erzählkunst Hollywoods, die Erzählkunst der Neunziger Jahre, die mehrere Dutzend Meisterwerke brachten, zerstoben ist im digitalen Sturm, der sich seitdem entfachte und nicht nur das Showbusiness, sondern auch die Politik und die Kultur mit sich riss in den Maelstrom.
Doppelte Lookalikes: Tugend, Verworfenheit und Dekadenz
Konsequenterweise verdoppelt auch der Film, um die Story fortzusetzen, seine Figuren: Wo mit Maximus ein Held war, um Römertugend zu verkörpern, wenn auch ein gespaltener – Offizier und Arenakämpfer, Herr und Sklave – braucht es nun zwei sich auch äußerlich ähnliche Figuren, um das zu zeigen, was im ersten Teil noch in einer war.
Es übernehmen Lucius Maximus, der Sohn des Gladiator Maximus, der in dessen Fußstapfen tritt, sich als Kaisersohn entpuppt und zwischenzeitlich zum Spartacus mutiert, und der Feldherrn Marcus Acacius (Pedro Pascal), der von einer Renaissance der Republik träumt, aber offenbar weder Tacitus noch Cicero noch Caesar gelesen hat, sonst wüsste er es besser.
Zu diesen zwei Lookalikes als Helden stellt Ridley Scott auch zwei Lookalikes als Kaiser, zwei Seiten von Verworfenheit und Dekadenz. Sie sollen den immerhin charismatischen Joaquin Phoenix als Commodus ersetzen. Wie bewusst diese Doppelung dem Regisseur ist, macht der mehrfach bemühte Verweis auf Romulus und Remus klar, die zwei von einer Wölfin gesäugten Zwillingsbrüder am Anfang der Gründung der Stadt.
Und vielleicht möchte der Regisseur ja noch ein Lookalike erzeugen: Im Kopf des Zuschauers, die Parallele zwischen den Verhältnissen des Films und jenen in der zeitgenössischen Politik: Alles ist Spektakel, alles, Effekt und Performance, alles mediengemacht, alles Arena, alles Blut und Spiele.
Feuerbälle, Pfeilgewitter, Schädelspalter
Der Film beginnt spektakulär und emotional, im Stil des Originalfilms. Nach einem Insert, das uns "um 200 n. Chr." situiert, und behauptet, unter der "Dekadenz", unter den Doppelkaisern Geta und Caracalla, sei "der Staat von Marc Aurel nicht mehr", wird "das letzte freie Land Afrikas" ("Numidia") in einem filmisch formidablen und extrem gut inszenierten Galeerenangriff niedergeworfen.
Feuerbälle prasseln auf die Galeere und von der Galeere zurück. Bogenschützen sorgen für Pfeilgewitter, Schwerter spalten Schädel. Hier ist Ridley Scott at his best. Man merkt, dass der Mann auch mit 86 Jahren noch gerne militärwissenschaftliche Bücher liest und den Geist des British Empire geatmet hat. Genau solche Szenen sind seine Stärken; sie sind auch seine Vorlieben.
Held Lucius, der noch nicht weiß, dass er so heißt, aber schon ein wackerer Kämpfer ist, mit allen Eigenschaften zum Offizier: Natürliche Führungskraft, Mut und kaltblütige Übersicht im Kampftaumel, redet über Rom, wie heute ein Hamas-Terrorist über den Westen: "They bring destruction and call it peace."
Die Biopolitik des Ridley Scott
Dies ist, auch das zeigt sich früh, ein Hollywoodfilm, der nicht mehr mit Rom sich identifiziert, der an Rom nicht glaubt, sondern halb ausgesprochene Sympathien mit dem Globalen Süden und antizivilisatorischer Barbarei hegt. Das wirkt sich aus auf den Film, der seine innere Mitte und sein weltanschauliches Zentrum nie findet.
Es ist genau diese Schizophrenie, für die Ridley Scott zwei Hauptfiguren braucht: Einerseits den römischen Feldherrn, der die Alte Welt verkörpert und mit einer Mischung aus Technik, Vernunft und Römertugend die schwarzen Barbarenstämme unterwirft.
Und andererseits den Rebell aus jener Dritten Welt, der Zorn, Idealismus und Ressentiment zugleich verkörpert - und dem die antizivilisatorische Frechheit, der Affront gegen Westen, Moderne und Vernunft und damit die Provokation für unsereins zugleich wieder genommen wird, weil er ja selbst ein Weißer und Römer ist, und in seinen Adern sogar das blaue Blut des Kaiserhauses pulsiert, nur energetisch aufgeladen und erfrischt durch die wilden Stämme jenseits der Pax Romana.
So funktioniert die Biopolitik des Ridley Scott.
Abstruse Absurdität
Nach etwa 30 der insgesamt 150 Minuten des Films kommt es dann – Lucius wurde gefangen, gebrandmarkt und als Sklave nach Rom verschleppt – zur ersten Arena-Schlacht der Gladiatoren und aus dem Bauch des römischen Kolosseum taucht eine Gruppe digital erzeugter Affen mit Riesengebiss auf, die in der Logik nicht nur von "Gladiator I", sondern auch von "Gladiator II" absolut unakzeptabel ist.
Sie wirken wie aus einer Horrorversion von "Der Herr der Ringe". Es handelt sich um überdimensionierte Paviane, die genauso schnell wieder verschwinden, wie sie auftauchen, nachdem einer von ihnen vom Helden totgebissen wurde.
Den späteren Hai-Alarm im Kolosseum und einen gepanzerten Reiter, der stehend auf einem galoppierenden Nashorn kämpft, mag man in all seiner abstrusen Absurdität noch akzeptieren, aber dies hier nicht.
"Alien" – Außenseiter im System
Nicht besser wird es mit den Kaisern Geta und Caracalla. Sie wirken nicht majestätisch, sondern wie böse Pausenclowns, erst recht durch ihre übertrieben bunte Maske, weiß gepuderte Gesichter, "unmännliche" Sprechweise und schwule Gestik.
Diese wahnsinnigen Brüder sind nicht einmal komisch, sondern nerven eher, als dass sie unterhalten. Während die Kaiser immer unberechenbarer und wahnsinniger werden, mit Affen als ständigen Begleitern, werden Allianzen geschlossen, Wetten gewonnen und verloren, und Enthüllungen über die Motive und langfristigen Pläne verschiedener Hauptfiguren gemacht.
Aber es gibt keinen einzigen Moment ihrer Präsenz auf der Leinwand, der nicht peinlich für die Macher ist. Vielleicht ist das trotzdem so beabsichtigt, damit Denzel Washington in seiner Rolle als intriganter Aufsteiger Macrinus umso mehr glänzen kann, doch die Entscheidung geht nach hinten los: Schwache Ziele schwächen den Gegenspieler.
Nur die Tatsache, dass zeitgenössische Filme so schlecht sind, macht es möglich, all dies trotz der ernsthaften Mängel des Films zu genießen.
Trotzdem ist die Figur des schwarzen Sklavenhändlers Macrinus (Denzel Washington) interessant und diejenige, die Ridley Scott am meisten interessiert. Denn hier findet er das Thema seines Kinos: Alien! Der Außenseiter im System: der Außenseiter als Agent des Wandels. Eine Kraft, die sich an den Rändern eines Systems bewegt, bis sie ihm entkommt, es zerstört oder es erobert.
Durch diese Figur vergisst man plötzlich die technischen Nachlässigkeiten, die Wiederholungen des Immergleichen, die ermüdenden Palastintrigen.
Zerstörer des Systems
Macrinus wird zwischenzeitlich zum Ersatzvater und zweiten Schöpfer des Helden Lucius. Er macht ihn zu seinem Werkzeug und zugleich erklärt er ihm, wer er ist, und befreit ihn so: "Du trägst etwas in Dir, die Griechen haben ein Wort dafür: Thymos. Qual, Wut. Diese Wut ist deine Gabe. Du darfst sie nie verlieren, denn sie wird Dir zu Größe verhelfen."
Es liegt nahe, in Macrinus ein Selbstbild des Regisseurs zu sehen, des Außenseiters Ridley Scott, inmitten der Filmindustrie Hollywoods. Wie Macrinus hat auch Ridley Scott bei jedem seiner Schritte eine verborgene Absicht.
Anders als andere Veteranen des Regiehandwerks will Ridley Scott weder sein Gewissen reinigen noch dem Publikum erklären, warum er Filme macht. Er macht sie einfach – und zündet damit dann das ganze System an.
Im Gespräch mit Marc Aurels Tochter Lucilla entpuppt sich Macrinus als politischer Realist und Vorläufer des Denkens der Staatsraison:
Du bist die Tochter deines Vaters. Sein Traum von Rom war nie ein Traum, es war eine Illusion. Ich gebe mir alle Mühe, es deinem Vater nicht gleichzutun. Er sprach von Träumen, ich spreche von Wahrheit. Und die einzige Wahrheit in meinem Rom ist das Gesetz des Stärkeren. Ich war Besitz eines Kaisers – jetzt kontrolliere ich ein Weltreich. Wo sonst, wenn nicht in Rom könnte man das erreichen?
Quatsch und Kitsch
Neben dem Quatsch steht der Kitsch: Die Fortsetzung nutzt jede Gelegenheit, um die Verbindung zum Vorgänger zu unterstreichen, und das Herz des Publikums zu gewinnen – doch der rührselige Ton des ersten Films ist inzwischen veraltet, und selbst seine treuen Fans werden feststellen, dass die Wiederholung bestimmter Elemente eher wie eine Parodie wirkt als eine Fortsetzung.
Ridley Scott geht ästhetisch große Risiken ein, indem er mit diesen Verbindungen spielt, doch aus finanzieller Sicht ist das Geschäft gesichert.
Die Puzzleteile fügen sich zwar nie richtig zusammen, doch wird alles am Ende immerhin ein zutiefst nihilistischer Film über die Mechanismen, die Macht schaffen, strukturieren und schwächen – damals wie heute.
It‘s not the economy, stupid! Es ist das Ego und der Narzißmus und die Wut und der Hass und das Ressentiment – für diese Einsicht zumindest hätte man nach diesem Film Trumps Wahlsieg nicht mehr gebraucht.
Was passiert, wenn die Reaktion siegt
Friedrich Nietzsche hat das alles gut beschrieben: "Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, daß das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der Tat, versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten." schrieb er. Die Sklaven-Moral bedürfe immer einer Gegen- und Außenwelt, "ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion."
Am Ende muss der Kaisersohn Führungsstärke zeigen und den zum Kaiser aufgestiegenen Sklaven Macrinus zurechtweisen, ihm seinen Platz zeigen.
Der Film entschuldigt sich quasi permanent für das, was er ist, bzw. eigentlich sein möchte, bzw. auch sein könnte. Und so zeigt er am Ende dann doch vor allem, was passiert, wenn die Sklaven siegen. Und wenn die Sklaven-Moral zu herrschen beginnt.