Gleichschritt am Hindukusch gefordert

Doch selbst die Caritas mag sich nicht der Bundeswehr unterordnen

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Das hat sich der Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel anders vorgestellt: Die Bundeswehr führt - und die Entwicklungshilfe-Organisationen folgen ihr, um so gemeinsam in paar Jahren mit möglichst wenig Gesichtsverlust aus Afghanistan heraus zu kommen. Doch die Humanisten spielen nicht mit.

Ein US-Offizier für zivile Angelegenheiten spricht mit dem Leiter einer Schule, für deren Schüler man Hilfsgüter abgeworfen hat. Lizenz: CC-BY-SA

Welthungerhilfe auf Distanz zur Bundeswehr

Während die Bundesregierung und ihre, für den Krieg in Afghanistan verantwortliche Militärs, nicht müde werden, den Gleichklang von militärischem Engagement und der zivilen Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe zu betonen, laufen die Entwicklungshilfe-Organisationen zunehmend von der Fahne.

Gerade Organisationen wie die Welthungerhilfe, die bereits 1980, unmittelbar nach der Besetzung des Landes durch die damalige Sowjetarmee, ihre Arbeit in Afghanistan aufnahm und seitdem mit einer kurzen Unterbrechung in dem Land arbeitet, betonen immer wieder ihre Unabhängigkeit als Nicht-Regierungsorganisation und ihre Distanz zur Bundeswehr. Vielleicht konnte sie gerade deshalb ihre Entwicklungs- und Hungerhilfe auch während der Herrschaft der Taliban fortsetzen.

Die Welthungerhilfe suchte zu keinem Zeitpunkt den Schulterschluss mit der Bundeswehr. Im Gegenteil: Bereits vor vier Jahren vollzog die Welthungerhilfe eine deutliche Trennlinie, als sie ihren damaligen Hauptsitz aus dem Bundeswehrstandort Kundus weg verlegte. Mit der sogenannten zivil-militärischen Zusammenarbeit, die im Rahmen der Ende 2002 erstmals eingerichteten "Provincial Reconstruction Teams" (PRTs) in Afghanistan verfolgt wird, wollen auch die anderen dort tätigen deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nichts zu tun haben.

Vernetzte Sicherheit bedeutet für mich, dass Entwicklungspolitik, Außenpolitik, Verteidigungspolitik und andere Politikfelder eng aufeinander abgestimmt an gemeinsamen Zielen arbeiten. Unter vernetzter Sicherheit verstehe ich auch, dass sich militärische und zivile Organisationen in ihrer Arbeit ergänzen, etwa beim Aufbau Afghanistans. Damit ist keine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit gemeint, sondern eine notwendige und sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen zum beiderseitigen Vorteil.

Dirk Niebel

Keine Entwicklungshilfe im Gleichschritt

Doch Dirk Niebel, der bekennende Bundeswehr-Reservist, möchte eine möglichst enge "zivil-militärische Zusammenarbeit" zwischen Hilfswerken und Bundeswehr. Dirk Niebel leitet als zuständiger Minister ausgerechnet jenes Ministerium, dessen weitere Existenz er bekanntlich noch wenige Monate zuvor im Bundestagswahlkampf in Frage gestellt hatte. Seit er Minister ist, lässt er keine Gelegenheit aus, zumindest in seiner Person eine Symbiose zwischen dem Militär und der Entwicklungspolitik herzustellen.

So ließ er sich ausgerechnet im Bürgerkrieg-geschüttelten Kongo mit einer Gebirgsjägermütze auf dem Kopf fotografieren. Kein Versehen, sondern eine wohl überlegte Provokation. In dieser Weise fährt er fort. Am 25. Juni 2010 hielt er in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin die Festrede anlässlich der Verabschiedung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars für Sicherheitspolitik 2010.

Niebel betrachtet die von ihm zu verantwortende Entwicklungspolitik in Afghanistan als Bestandteil militärischer Strategien. Aufbauprojekte, egal ob von der Bundeswehr in Eigenregie betrieben oder von staatlichen oder privaten Hilfswerken ausgeführt, sollen den militärischen Erfordernissen und militärischer Strategie unterordnen. "Das Konzept ist zynisch, weil es Entwicklungshilfe für militärische Zwecke instrumentalisiert und damit zivile Aufbauhelfer massiv gefährdet", so kommentieren die Linken im Bundestag diese Politik und sehen sich durch einschlägige Erklärungen der in Afghanistan tätigen Hilfswerke bestätigt.

Gegen zivil-militärische Zusammenarbeit

Die in Venro zusammengeschlossenen über einhundert NGOs, zu denen auch die Welthungerhilfe und das katholische Hilfswerk Caritas International gehören, fassten bereits vor einigen Monaten einen Beschluss, in dem es heißt:

Der gängige Begriff der "zivil-militärischen Zusammenarbeit" vermittelt fälschlicherweise den Eindruck, als stünde der zivile Aspekt im Vordergrund. In der Praxis ist meist das Gegenteil der Fall, die militärische Komponente hat besonders bei Interventionen in Krisenländern wie Afghanistan ein viel stärkeres Gewicht. Hilfsorganisationen warnen seit langem vor den negativen Folgen der Vermischung von ziviler und militärischer Hilfe, wie sie in Afghanistan praktiziert wird...

Venro

Die NGOs begreifen die Bundeswehr oder die übrigen ISAF-Einheiten nicht etwa als ihren Schutz - wie es Bundesregierung und Bundeswehr gerne darstellen, sondern sehen sich eher durch die Militärs gefährdet.

Durch die unklare Grenzziehung zwischen dem humanitären Mandat von Hilfsorganisationen und dem politischen Mandat von Streitkräften wird die Unabhängigkeit der NGO infrage gestellt und damit auch ihre Sicherheit gefährdet. (…) Die Bundeswehr betreibt zudem in fragwürdiger Weise selbst Hilfsprojekte, um die "Herzen und Köpfe" der afghanischen Zivilbevölkerung für die internationale Intervention zu gewinnen und den Schutz insbesondere der eigenen Soldaten zu erhöhen.

Venro

Für die nächsten Jahre mehr Kriegshandlungen erwartet

Entwicklungshelfer, die in Afghanistan tätig sind, erwarten für die kommenden beiden Jahre eine Verschärfung der Situation, weitaus mehr Kriegshandlungen und mehr Opfer. Nicht ausgeschlossen sei, dass man das Land zumindest für einen bestimmten Zeitraum ganz verlassen müsse, ist zu hören. Auch Politiker der Linken befürchten eine Verschärfung der Situation, wenn man den Erklärungen beispielsweise des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen im Vorfeld der internationalen Afghanistan-Konferenz hört.

Dessen jüngste Erklärungen zu Afghanistan kommentierte Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken Bundestagsfraktion: "Mehr Soldaten, härtere Kämpfe, langfristiges Engagement" - Rasmussens Ideen seien weder neu, noch waren sie in der Vergangenheit besonders erfolgreich. "Sie demonstrieren allerdings den Irrglauben, in Afghanistan mit militärischer Gewalt Frieden oder zumindest relevante politische Zugeständnisse erzielen zu können." Die Bundesregierung hängt diesem Irrglauben nach wie vor an, "obwohl verschiedene zivile Hilfsorganisationen ihr gerade zum wiederholten Mal erklärt haben, dass Militär in Afghanistan die Probleme verschärft, statt sie zu lösen."