Globale Email-Steuer

Diskussion über einen Vorschlag in einem UN-Bericht über die Lage der Menschenheit

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Es sind nur ein paar Zeilen im zweiten Kapitel des umfassenden Human Development Report der UN, die bereits zu einer heftigen Diskussion geführt haben. Der Bericht stellt fest, daß es eine gewaltige Kluft zwischen jenen gibt, die Zugang zum Internet haben, und jenen, die meist in armen Ländern leben und keine Chance haben, von den Potentialen des Internet zu profitieren. Die Gefahr sei, daß das Internet anstatt als Motor für Chancengleichheit zu wirken, die Unterschiede zwischen den reichen Wissens- oder Informationsgesellschaften, deren Bruttosozialprodukt immer mehr von Informationstechniken abhängt, und den Entwicklungsländern noch weiter vertieft.

"Gegenwärtig ist der Internetzugang durch die Bruchlinien der nationalen Gesellschaften bestimmt, die zwischen Menschen mit höherer Ausbildung und Analphabeten, Reichen und Armen, Männern und Frauen, Jungen und Alten sowie Städtern und Landbewohnern verlaufen", wird im Bericht konstatiert. Neben anderen Vorschlägen, die bestehenden Ungleichheiten der "globalen Kommunikationsrevolution" zu lösen, um sie wirklich global zu machen, kommen dann die erwähnten Zeilen unter dem Stichwort "Geld": "Ein Vorschlag wäre eine 'Bitsteuer', eine sehr kleine Steuer, die abhängig von der Menge der im Internet verschickten Daten ist. Die Kosten für die Benutzer würden vernachlässigenswert sein: Wenn man 100 Emails täglich verschickt, die jeweils ein 10-Kilobyte Dokument enthalten, also eine große Email, dann würde dies zu einer Steuerabgabe von gerade einem Cent führen. Angesichts des Booms der Emails weltweit würde jedoch die Gesamtsumme beträchtlich sein. In Belgien alleine hätte eine solche Steuer 1998 10 Milliarden Dollar erbracht, auf globaler Ebene im Jahr 1996 70 Milliarden Dollar - mehr als die gesamte offizielle Entwicklungshilfe in diesem Jahr." Diese Steuereinnahmen sollten vor allem dazu dienen, unterentwickelten Ländern zu helfen, Zugänge zum Internet für die Menschen einzurichten, also die wachsende digitale Kluft zu schließen.

Natürlich ist ganz klar, daß die UN keineswegs in der Lage ist, eine Steuer zu erheben, weder national noch global. Kritiker sprangen jedoch gleich herbei und verdammten die Idee, weil sie nur eine neue Bürokratie entstehen lassen würde, während doch der freie Markt das viel besser und effektiver könne. Besonders hervorgetan hat sich der republikanische Mehrheitsführer im amerikanischen Kongreß, Dick Armey, der in einem Brief den Vorschlag weit von sich wies: "Jedes Mal, wenn man sich umdreht, scheint es eine weitere Behörde oder Bürokratie zu geben, die ihre gierigen Finger nach dem Internet für eine weitere Steuer streckt. Dieses Mal sind es die Vereinten Nationen." Der Grund für den Brief sei, so erklärte Armey, daß man deutlich man den Widerstand gegen jede Art der Intrenetbesteuerung deutlich machen wollte: "Es gibt nichts Empörenderes als irgendeine nicht gewählte Bürokratie in New York, die das Internet besteuert." Da mischen sich freilich noch andere Ressentiments gegen die in den USA nicht sehr beliebte UN hinein, schließlich wollen sich die USA von den Vereinten Nationen nicht ihre Souveränität als Supermacht beschränken lassen.

Das alleinige Setzen auf die alles zum Guten wendende Kraft des freien Marktes reicht für die Verfasser des UN-Berichts nicht aus, um die Armut und Ungleichheit auf der Welt zu mildern. Sie sind der Meinung, daß der Markt trotz einiger Ausnahmen und mancher Verbesserungen etwa in den lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern eher die Ungleichheiten verstärke. Tatsächlich ist ein Mensch, der weniger als einen Dollar an einem Tag verdient, marktwirtschaftlich uninteressant, weswegen die Kosten für einen Internetzugang, wenn er denn überhaupt möglich ist, in Entwicklungsländern viel höher sind als in den reichen Ländern. Der Trend zu kostenlosem Internetzugang oder zu kostenlosen PCs findet ja nur aufgrund des Kalküls statt, so neue Konsumenten zu gewinnen, die Geld haben, um es auszugeben. Gleichwohl ist nur schwer vorstellbar, wie eine solche Email-Steuer global erhoben und dann auch effektiv und gerecht verteilt werden kann. Notwendig wäre jedenfalls eine automatische Erfassung der Kilobytes, die über Emails verschickt werden, also eine Art der Überwachung, die nicht nur selbst wieder Geld kostet, sondern auch bedenklich wäre.

Philippe Queau, Direktor der Abteilung für Information und Informatik der UNESCO, erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß man dem Umgang mit globalen Gütern der Menschheit wie den Meeren, der Ozonschicht, den geostationären Umlaufbahnen, dem menschlichen Genom, der Information als öffentliches Gut oder auch den offenen Standards und dem TCO/IP-Protokoll des Internet eine wichtigere Stellung in der Weltpolitik als einem der brennendsten Probleme geben muß, die das globale Allgemeininteresse oder die globale 'res publica' betreffen." Für globale öffentliche Güter gäbe es noch keine globalen Mechanismen zu einer angemessenen Besteuerung, weswegen sie chronisch unterfinanziert seien. Auch wenn es noch keine globale demokratische Regierung gebe, die für die Sicherung der globalen öffentlichen Güter sorgen könne, müsse man nach Möglichkeiten für deren Finanzierung Ausschau halten. Queau erinnert an den Vorschlag des Nobelpreisträgers Tobin, eine Steuer auf alle Finanztransaktionen einzuführen, um die Spekulation zu reduzieren. "Wenn wir die Globalisierung zivilisieren wollen, müssen wir mit dem juristischen, politischen und sozialen Aufbau eines universellen Zugangs zu den globalen öffentlichen Gütern beginnen, der mit permanenten und globalen Mitteln finanziert werden muß."

Von der UNDP (United Nations Development Program), die den Bericht veröffentlicht hat, wurde inzwischen jede Absicht, irgendeine globale Steuer zu befürworten, energisch abgelehnt: "Die UNDP hat nicht die Autorität, eine Steuer einzuführen, und auch keinen Wunsch, dies zu tun", sagte Normand Lauzon gegenüber Newsbytes. In dem Bericht könne man überdies den Hinweis finden, daß die in diesem geäußerten Ansichten nicht notwendigerweise denen der UN entsprechen.

Sakiko Fukuda-Parr, Mitautor des UN-Berichts und "Mitschuldiger" des Vorschlags, wurde von Libération gefragt, ob er für die Einführung einer solchen Steuer jemals eine realistische Chance sehe: "In unserem Bericht", so Fukuda-Perr, "benennen wir einen einfachen Sachverhalt: der Zugang zum Internet ist vor allem für eine elitäre Minorität gegeben und findet sich wesentlich in den reichen Ländern. Wenn man nichts macht, werden die Vernetzten über einen entscheidenden Vorteil vor den Armen besitzen. Der menschliche Fortschritt in den armen Ländern hängt nicht nur vom Zugang zum Wasser, von einer sicheren Lebensmittelversorgung oder von steigenden Löhnen ab, sondern auch von der Vernetzung der Menschen ... Wenn wir verhindern wollen, daß das Internet zu einer neuen Quelle der Ungleichheit und des Grabens zwischen Armen und Reichen wird, müssen wir Mittel finden, um Projekte in den südlichen Ländern zu finanzieren." Das sei umso dringender, da die reichen Länder die Entwicklungshilfe immer weiter kürzen. Er sei für ein Eingreifen der globalen Öffentlichkeit, weil die großen Unternehmen keine Interesse hätten, die technologische Infrastruktur in den armen Ländern aufzubauen.

Fukuda-Parr sieht die Probleme, die mit einer globalen Email-Steuer verbunden wären, aber er ist der Meinung, daß über einen solchen Vorschlag die Ansätze zur Schaffung von neuen globalen Institutionen und schließlich einer Art Weltregierung gestärkt werden könnten. Für ihn ist allerdings ein Vergleich mit der Tobin-Steuer irreführend, denn eine Email-Steuer habe gerade nicht den Zweck, für eine Stabilisierung des Internetwachstums zu sorgen, sondern man könne mit einer solchen Steuer "von dieser Explosion profitieren, um für das Wohl der größtmöglichen Zahl von Menschen zu sorgen und so den Graben zwischen den Vernetzten und den anderen verkleinern." Mit einer solchen Steuer sollte man nach seiner Ansicht, nicht nur etwa Krankenhäusern oder Schulen in Entwicklungsländern einen Internetzugang ermöglichen, da auch der Zugang zu Informationen nicht alle Probleme löse. Finanzieren könnte man mit ihr auch eine bessere Versorgung mit gutem Trinkwasser oder mit besseren Ausbildungsmöglichkeiten. Dann aber kann man sich fragen, wenn man überhaupt sich Gedanken über eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und eine größere Chancengleichheit machen will, ob eine Email-Steuer dafür das richtige Mittel wäre, denn diese würde ja auch die Kommunikation derjenigen verteuern, die mit globalen öffentlichen Mitteln Zugang zum Internet erhalten.

Gleichwohl steigt mit der Globalisierung und dem Wachstum des "globalen Gehirns" die Verantwortung der Menschen in den reichen Ländern für die in den armen Staaten. Die Zerstörung der Distanz bringt die Menschen einander näher. Faktisch sind wir ökonomisch und kommunikativ bereits in eine Weltinnenpolitik eingetreten, wobei die Nationalstaaten heute vor allem noch die Funktion haben, ihre Bürger wie eine Lobby zu vertreten, um deren Vorteile zu sichern. Dabei aber haben die Habenichtse, wenn sie nicht den Weltfrieden oder den globalen Markt stören, kaum eine Stimme - und sie sind noch dazu von der globalen Kommunikation ausgeschlossen. Aber es wird noch ein langer Weg bis zu einer demokratischen Weltregierung und damit zu einem globalen Rechtssystem, aber auch zu globalen Steuern sein.