Glyphosat: EU-Ausschuss stimmt für Lizenzverlängerung um 5 Jahre
Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sorgt diesmal für die "qualifizierte Mehrheit"
Nach zwei vergeblichen Anläufen im Oktober und Anfang November gab es im zuständigen Ausschuss der EU-Kommission heute eine qualifizierte Mehrheit für die Verlängerung der Zulassung des Herbizid-Wirkstoffes Glyphosat um fünf Jahre. 18 der 28 EU-Länder stimmten dafür. Sie repräsentieren 65,71 Prozent der europäischen Bevölkerung. Für eine qualifizierte Mehrheit waren 55 Prozent der Staaten nötig, die 65 % der Bevölkerung repräsentieren.
Umweltministerin Hendricks (SPD): "Vertrauensbruch"
Die Abstimmung fiel also knapp aus. Den Unterschied machte Deutschland, dessen Vertreter sich diesmal anders als bei den beiden vorherigen Abstimmungen nicht der Stimme enthielt, sondern für die Zulassung votierte. Dahinter steckt ein kleines Politikum. Es war nämlich der CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der gegen die Auffassung der SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks mit Ja stimmte.
Bislang galt, dass die unterschiedliche Haltung beiden Ministerien eine Enthaltung zur Folge hatte, Schmidt brach mit diesem Modus. Hendricks spricht von "Vertrauensbruch". Laut Informationen der Zeit habe die SPD-Ministerin ihrem CSU-Ministerkollegen am Montag noch erklärt, dass sie mit einer Verlängerung der Glyphosat-Zulassung nicht einverstanden sei.
Das Abstimmungsverhalten von Schmidt, das, wie zu vermuten ist, mit Seehofer abgesprochen sein dürfte, macht auf Unterschiede in der Landwirtschaftspolitik zwischen Union und SPD aufmerksam. Die CSU wollte der SPD ganz offensichtlich in der Sache nicht entgegenkommen. Schmidts Begründung macht aber auch keinen großen Graben auf. Die Glyphosat-Lizenz läuft am 15. Dezember aus.
Aufgrund der Dringlichkeit hätte sich die EU-Kommission, die das letzte Wort in dem langwierigen Streitfall hat, "ohnehin für die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat entschieden", so der Landwirtschaftsminister. Nun müssten national zusätzliche Maßnahmen im Sinne restriktiverer Anwendungen ergriffen werden. Restriktive Regeln zum Gebrauch von Glyphosat könnten demnach Thema bei Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD zur neuen Regierung sein.
Die Freiheit einzelstaatlicher Regelungen
Wie groß die Freiheit einzelstaatlicher Regelungen ist, ist das andere Politikum. Le Monde erklärte heute den Lesern, dass Frankreich kommerzielle Herbizide auf der Basis von Glyphosat verbieten könne trotz der EU-Kommissionsentscheidung. Es würde den französischen Landwirten allerdings Konkurrenz-Nachteile bringen.
Der französische Umweltminister Hulot bestätigte Mitte Oktober, dass er Glyphosat bis zum Ende der 5-jährigen Amtszeit von Macron , also bis 2022, in Frankreich verbieten lassen wolle. Zuvor, im September, hatte Regierungssprecher Castaner Gleiches angekündigt, allerdings mit der Präzisierung, dass man bis dahin Ersatz finden müsse. Erst müsse ein Ausstiegsplan entwickelt werden. Alternative Lösungen sind allerdings nicht einfach zu finden.
Bei der heutigen Abstimmung stimmte Frankreich mit "Nein" (ebenso wie Belgien, Griechenland, Frankreich, Kroatien, Italien, Zypern, Luxemburg, Malta und Österreich). Es war allerdings kein grundsätzliches Nein: Frankreich setzte sich für eine Verlängerung von nur drei Jahren ein.
Der Streit über die toxische Wirkung
Die Auseinandersetzung über die toxische Wirkung des Pestizid das andere große Politikum. Sie wird sehr hitzig geführt, wie ein "Glaubenskrieg". Zu sehen ist das etwa an den Reaktionen auf die Twitternachricht von Vytenis Andriukaitis, dem EU-Kommissar für Gesundheit, der die Abstimmung zur Glyphosat-Lizenzverlängerung damit kommentierte, dass die EU damit "kollektive Verantwortlichkeit im Treffen von Entscheidungen" gezeigt habe.
In einer der Reaktionen hieß es: "Danke für die Akzeptanz und die kollektive Verantwortlichkeit dafür, dass sie uns alle töten! Sie und ihre Kollegen werden einen guten Platz im Museum für die Täter des Ökozids bekommen."
Es gehe schon lange nicht mehr um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um Landwirtschaftspolitik, fasst Andreas Hensel vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), als Verbraucherschutzbehörde von der damaligen Ministerin Künast 2001 geschaffen, die Lage in einem Interview zusammen.
Für Hensel ist das Urteil der Wissenschaft in einer Beziehung "glasklar". Glyphosat sei nicht krebserregend, das sei abschließend geklärt. Die Bewertung der IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung), die mit ihrer Aussage "wahrscheinlich krebserregend" von Glyphosat-Gegnern zitiert wird, relativiert er:
Für die IARC fällt alles unter die Rubrik "wahrscheinlich krebserregend", wo es zum kanzerogenen Potenzial eines Stoffes noch Forschungsbedarf gibt. Aber damit steht die IARC allein da. Alle Zulassungsbehörden der Welt kommen zum selben Schluss wie wir, dass nämlich Glyphosat nicht krebserregend ist.
Andreas Hensel
Kritiker des BfR werfen dem Institut vor, dass es "Tumoreffekte" ignoriert. Die Streitsache wird unter parteiischen Blicken ausgetragen, wo Hensel von Wissenschaftlichkeit spricht, sprechen seine Gegner von Nähen mancher Studien zu Monsanto, wie etwa der Toxikologe Peter Clausing, der namhafteste Kritiker des BfR.
Der Streit wird nicht nur über eine mögliche toxische Wirkung auf Menschen geführt ("Das Risiko durch Haushaltschemikalien ist exorbitant höher. Selbst Kinderspielzeug kann viel gefährlicher sein", so Hensel), sondern auch über Auswirkungen auf die Artenvielfalt, die auch Hensel einräumt; ins Spiel kommen auch Antibiotikaresistenzen. Sicher ist nur, dass er mit dem heutigen Beschluss längst nicht zu Ende ist (siehe Glyphosat und kein Ende).