Glyphosat: Neuer Rückschlag für Bayer vor US-Gericht
Noch hofft der Konzern, der Supreme Court könnte seine Entscheidung kippen. Dank des Pestizid-Geschäftes fährt er auch während des Ukraine-Krieges hohe Gewinne ein
Im Rechtsstreit um mögliche Krebsrisiken beim Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat hat der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer erneut einen herben Rückschlag erlitten. Noch im August hatte der Leverkusener Bayer-Konzern beim obersten Bundesgericht der USA einen Antrag auf Überprüfung eines Urteils gegen die Konzerntochter Monsanto eingereicht. Nun jedoch riet die Generalstaatsanwältin, die die Regierung vor dem Supreme Court vertritt, dem Gericht davon ab, die Klage des US-Amerikaners Edwin Hardeman abzuweisen.
Jahrzehntelang hatte der über siebzigjährige Rentner aus Nordkalifornien das Unkrautvernichtungsmittel Roundup auf seinem Grundstück verwendet. Als man 2015 bei ihm Lymphdrüsenkrebs diagnostizierte, machte er die glyphosathaltigen Produkte des von Bayer übernommenen US-Herstellers Monsanto für seine Krebserkrankung verantwortlich und verklagte das Unternehmen auf Schadenersatz.
Nach Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom selbem Jahr gilt Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend". Das glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel Roundup, das heute in mehr als 160 Ländern verkauft wird, war in den 1970er-Jahren von Monsanto auf den Markt gebracht worden. Allein in den USA wird das Mittel von Millionen Farmern und Grundstücksbesitzern genutzt.
Nach einem Gerichtsprozess war Bayer bereits 2019 zu 25 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt worden. Diesem erstinstanzlichen Urteil war ein Berufungsgericht im Mai dieses Jahres gefolgt. Noch im vergangenen Jahr hatte Bayer gehofft, dass ein Urteil zu seinen Gunsten die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beenden würde.
Zulassungsbehörden weltweit bewerteten den Unkrautvernichter bei sachgemäßer Anwendung als sicher, argumentieren Konzernsprecher. So habe die EPA mehrfach festgestellt, dass "glyphosatbasierte Herbizide nicht krebserregend" seien. Eine Krebswarnung im Hinblick auf diese Produkte sei irreführend.
Schadenersatzansprüche wegen angeblich mangelhafter Warnungen vor Krebsrisiken würden nach staatlichem Recht nicht bestehen, wenn sie mit Bundesrecht kollidieren. Auch habe die Zulassung von Experten als Zeugen der Klägerseite beim Prozess nicht den bundesrechtlichen Standards entsprochen. Dem widersprachen Regierung und Staatsanwaltschaft.
Die Genehmigung des Unkrautvernichters durch die US-Umweltschutzbehörde EPA ohne Warnung vor bestimmten chronischen Risiken hebe nicht die Verpflichtung auf, entsprechende Warnhinweise zu geben, erklärte Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelongar in einer Stellungnahme. Zwar ist der Ausgang des aktuellen Verfahrens rechtlich nicht bindend für weitere Klagen in den USA. Doch das Verfahren könnte Signalwirkung auf weitere US-Klagen haben.
Zehntausende weitere Klagen belasten den Bayer-Konzern
Schon als Bayer im September 2016 Monsanto mit 63 Milliarden Dollar kaufte, gestaltete sich die Übernahme schwierig. Mit 53 Milliarden Euro war die Marktkapitalisierung im September 2021 niedriger als der Preis, den Bayer einst für Monsanto gezahlt hat. Der Aktienkurs sank um 50 Prozent.
Zusammen mit dem Monsanto-Konzern übernahm Bayer gewaltige Rechtsrisiken sowie Hunderttausende Kläger, die Monsanto wegen gesundheitlicher Schäden durch die Verwendung von Glyphosat verklagten. Drei Prozesse hat der Konzern bereits in erster Instanz verloren. In zwei Berufungsverfahren musste er Niederlagen einstecken.
Allein in ersten Quartal 2021 musste Bayer rund zwei Milliarden Euro zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten aufwenden. In den vergangenen Jahren hatte der Konzern bereits Vergleiche mit rund 96.000 Klägern abgeschlossen. Weitere 30.000 Klagen sind noch anhängig. Die Kosten für die Vergleiche werden bislang auf 11,6 Milliarden Euro geschätzt.
Einen empfindlichen Rückschlag bei der Beilegung von noch möglichen Klagen hatte Bayer Ende Mai hinnehmen müssen. Der zuständige Richter verweigerte seine Zustimmung zu einem Vertragsentwurf für künftige Vergleiche. Um die Unschädlichkeit im Hinblick auf Krebs zu belegen, führt Bayer auf der eigenen Website eine Reihe von Studien an. Sogar die US-Umweltbehörde EPA habe zum Schluss festgestellt, dass "keine bedenklichen Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen".
Offenbar haben diese Studien die richterliche Entscheidung kaum beeinflusst. Es sei nun wahrscheinlich, dass sich in den nächsten Jahren neue Fälle anhäufen und Bayer wieder mit Klagen, verlorenen Prozessen und Schadenersatzzahlungen in den USA konfrontiert werde, erklärt Markus Manns gegenüber dem Manager-Magazin. Der Portfoliomanager bei Union Investment hält den Kauf von Monsanto durch das Bayer-Unternehmen für einen Fehler.
Für den Fall, dass der Supreme Court sich mit dem Glyphosat-Verfahren nicht befassen will oder sich gegen Bayer entscheidet, hat der Konzern 4,5 Milliarden Dollar zurückgelegt. Mit dem Geld soll ein Programm finanziert werden, um in den nächsten 15 Jahren mit den Forderungen neuer Kläger umzugehen.
Um neue Klagewellen zu vermeiden, hatte Bayer im September letzten Jahres beschlossen, ab 2023 keine glyphosathaltigen Produkte mehr an Privatkunden in den USA verkaufen. Am Geschäft mit Bauern und professionellen Kunden will der Konzern dennoch festhalten.
Krieg ohne negative Auswirkung auf Bayers Geschäftstätigkeit
Trotz aller Unsicherheiten in der Welt sei Bayer erfolgreich ins neue Jahr gestartet, freut sich Konzernchef Werner Baumann. Obwohl Bayer nahezu alle Geschäfte in Russland und Belarus eingestellt und die Investitionen gestoppt hat, liefert das Unternehmen weiter seine Produkte wie Medikamente und Saatgut dorthin. Allerdings machen Russland und die Ukraine nur rund drei Prozent des Konzernumsatzes aus.
Dank einer hohen Nachfrage insbesondere nach Herbiziden und Fungiziden, aber auch dank der Preiserhöhungen konnte der Konzern im ersten Quartal dieses Jahres seinen Umsatz um 18,7 Prozent auf 14,6 Milliarden Euro steigern. Unterm Strich stieg der Gewinn um mehr als 57 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. Nachdem es im Quartal des Vorjahres pandemiebedingt Einbußen gegeben hatte, verbuchte der DAX-Konzern deutliche Zuwächse bei rezeptfreien Gesundheitsprodukten.
Im Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten sanken die Gewinne hingegen wegen höherer Ausgaben für Marketing und Vertrieb neuer Produkte sowie höherer Forschungskosten. Der Konzern rechnet unverändert mit einem währungsbereinigten Umsatzanstieg von rund fünf Prozent auf etwa 46 Milliarden Euro und einem bereinigten Ergebnis von etwa zwölf Milliarden Euro. Im Vorjahr hat der Konzern rund 44 Milliarden Euro Umsatz gemacht und ein Ergebnis von 11,18 Milliarden eingefahren.
Allerdings führten Produktionsprobleme beim Chemie- und Pharmakonzern Bayer zu einer Verknappung von Glyphosat, wurde im Februar gemeldet. Bei einem der wichtigsten Rohstofflieferanten sei es zu einem mechanischen Ausfall in der Produktionsanlage gekommen. Betroffen war ein wichtiges Vorprodukt der Glyphosatherstellung. Das beeinträchtige die Lieferfähigkeit bei Glyphosat und glyphosathaltigen Produkten. Betroffen sei unter anderem die eigene Produktion der Roundup-Unkrautvernichter von Bayer. Nach Schätzungen des Konzerns dauern die Reparaturen an der Produktionslinie des Lieferanten insgesamt drei Monate.
Deutschland: Glyphosatverbot mit Ausnahmeregelungen
Glyphosat hat nicht nur indirekte Auswirkungen auf Insekten, es wirkt auch ganz direkt über den sogenannten Shikimat-Stoffwechselweg, der in Pflanzen und Bakterien codiert ist, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie am Max-Planck-Institut Jena zeigte. Insekten gehen wechselseitige Symbiosen mit Bakterien ein und können den Stoffwechselweg auf diese Weise mitnutzen, wie die Wissenschaftler am Beispiel des Getreideplattkäfers herausfanden. Fehlen die Bakterien, bildet sich das Außenskelett des Käfers weniger gut aus. Die Tiere trocknen leichter aus und sind anfälliger gegenüber Räubern und Pathogenen.
Ein anderes Problem ist die Resistenzbildung bei Wildkräutern bei einem übermäßigen Einsatz von Herbiziden. Diese wiederum zieht den Einsatz immer höherer Mengen an Herbiziden nach sich, was die Resistenzbildung von Gräsern und Kräutern gegen Herbizide wiederum beschleunigt. Da Glyphosat zudem die Nährstoffaufnahme von Kulturpflanzen im Boden beeinträchtigen kann, werden häufig verstärkt Düngemittel ausgebracht.
Dies schwächt nicht nur die Pflanzen, sondern macht sie auch anfälliger für Schädlinge. In der Folge werden wiederum mehr Pestizide eingesetzt. Die Kontaminierung der Böden durch Glyphosat bzw. durch sein Abbauprodukt AMPA in der EU ist nicht zu unterschätzen: So weisen 48 Prozent der beprobten Böden Rückstände von über 0,05 mg/kg auf. Über Regen oder Wind kann das Gift auch auf angrenzende Flächen, in Bäche, Flüsse und Seen gelangen.
Mit Inkrafttreten der Pflanzenschutzanwendungsverordnung darf Glyphosat zwar nur noch eingeschränkt verwendet werden. Verboten ist sein Einsatz zum Beispiel direkt vor der Ernte, in Wasserschutzgebieten, Heilquellenschutzgebieten sowie in Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten. Auch in Naturschutzgebieten, Nationalparks und gesetzlich geschützten Biotopen sowie in speziellen Schutzgebieten gilt ein Verbot.
Auf Acker- und Grünland außerhalb von Schutzgebieten ist Glyphosat allerdings weiter erlaubt. Auch darf es auf "erosionsgefährdeten Flächen" oder bei der Bekämpfung von "Problemunkräutern" verwendet werden. Für Häuser, Kleingärten, Parks und Spiel- und Sportplätze gilt zwar ein "Anwendungsverbot", doch dürfen glyphosathaltige Mittel, die für diese Anwendungsbereiche bereits zugelassen sind, dort weiter eingesetzt werden.
Die Ausnahmeregelungen seien "rechtlich unumgänglich" gewesen, erklärte das Bundesumweltministerium im September 2021. Neue Zulassungen für glyphosathaltige Mittel für die genannten Anwendungsbereiche würden nicht erteilt. Während einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2023 ist Glyphosat noch in der gesamten EU zugelassen.
Mit einem Verbot von Glyphosat sei das Problem nicht gelöst, glaubt der Ökologe Tobias Engl, Mitautor der oben genannten Studie. Denn auch die synthetischen Alternativen zu Glyphosat gelangen in die Umwelt und schädigen die Bakterien. Am besten für die Insekten wäre eine nachhaltige Landwirtschaft ganz ohne Pestizide.