Glyphosat - und kein Ende?

Glyphosateinsatz zum Freihalten der Baumscheibe auf einer Apfelplantage in Südtirol. Bild: Mnolf / CC BY-SA 3.0

Das EU-Expertengremium konnte sich wieder nicht über eine Zulassung des Totalherbizides entscheiden

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Die bisherige Zulassung für Glyphosat läuft im Dezember ab. Nachdem das Expertengremium der EU eine Abstimmung dazu im Oktober vertagt hatte, war für den heutigen Donnerstag, den 9. November, eine erneute Entscheidung über eine Neuzulassung für den Zeitraum von fünf Jahren anberaumt. Wieder gab es im zuständigen Fachausschuss keine qualifizierte Mehrheit.

Nun geht es darum, entweder einen neuen Vorschlag zu erarbeiten oder einen Berufungsausschuss mit ranghöheren Vertretern der Mitgliedstaaten einzuberufen, der über den aktuellen Vorschlag abstimmt, wie berichtet wird: "Wenn auch dieser kein Ergebnis erreichen würde, müsste die Kommission die Entscheidung über die Neuzulassung von Glyphosat allein treffen."

"Die Zukunft des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat in Europa ist zunächst weiter offen", heißt es in Medienberichten. Die Diskussionen waren zuletzt von einer Auseinandersetzung über die Gefährlichkeit des Pestizids und dem Misstrauen gegenüber Berichten zur Risikoeinschätzung geprägt.

Sieben von acht der beschriebenen Tumoreffekte sollen in den Behördenberichten des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) ignoriert worden sein. Dabei ging es um erhöhte Tumorraten für Nieren-, Schilddrüsen-, Hautkrebs, Leber- und Lungenkrebs. Die Berichte basierten auf wissenschaftlichen Publikationen der Europäische Chemikalien Agentur (ECHA) und der Europäischen Agentur für Ernährungssicherheit (EFSA).

EFSA und die ECHA haben die Tumoreffekte nicht erwähnt, weil sie diese als nicht relevant betrachteten, kritisiert Peter Clausing vom Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN). In einer Faktensammlung weist der Toxikologe Punkt für Punkt den systematischen Regelbruch durch die Behörden nach.

So haben diese zum Beispiel zwölf Studien an Ratten und Mäusen ignoriert, von denen sieben einen signifikanten Anstieg von Tumoren als Folge von Glyphosat nachwiesen. Das BfR seinerseits habe sich auf die Aussagen der Industrie verlassen, ohne eigene Untersuchungen vorzunehmen, so Clausings Vorwurf.

Der sachverständige Plagiatsprüfer Stefan Weber hat drei Kapitel des BfR-Berichts zu gesundheitlichen Risiken von Glyphosat mit entsprechenden Passagen aus dem Zulassungsantrag der Glyphosat-Hersteller verglichen. Ergebnis: Das BfR hat seitenlange Textpassagen von Monsanto wortwörtlich übernommen, ohne die Quellen anzugeben. Bei genauem Hinsehen hat auch die ECHA keine eigenen Studien durchgeführt, sondern sich ganz auf die Studien der Pestizid-Hersteller verlassen, welche Glyphosat die Unbedenklichkeit bescheinigen.

Dessen ungeachtet streitet das BfR die Vorwürfe ab. BfR-Chef Andreas Hensel ist von der Ungiftigkeit von Glyphosat überzeugt, alle Vorwürfe hält er für frei erfunden.

Nun nahm der US-amerikanische Krebsforscher Christopher Portier die unterschiedlichen Herangehensweisen der EFSA und der Agentur der Krebsforschung der WHO (IARC) im Hinblick auf Glyphosat genauestens unter die Lupe.

Wie kann es sein, dass sich die Bewertungsstrategien der einzelnen Behörden bei einer so entscheidenden Frage, ob ein Totalherbizid krebserregend ist oder nicht, derart widersprechen?

Dass sich bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln eine Behörde auf die andere verlässt, scheint in der EU längst gängige Praxis zu sein. In Deutschland sind 94 glyphosathaltige Unkrautvernichtungsmittel zugelassen, die auf etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen versprüht werden. Die Zulassung von Pestiziden verläuft immer nach demselben Muster: Die Hersteller forcieren die Marktzulassung und erarbeiten gleichzeitig die Studien, welche die regulierenden Behörden von der Unbedenklichkeit ihres Produkts überzeugen sollen.

Dabei hat die US-Umweltschutzbehörde Glyphosat bereits in den 1980er Jahren als krebserregend eingestuft. Seitdem hat man den Stoff fünf Mal neu bewertet. Mit jeder neuen Überprüfung wurde das Gift ungefährlicher. Bis die IARC. 2015 zu dem Schluss kam, dass Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend" ist.

Bodenerosion und Antibiotikaresistenzen

Seitdem belegen immer neue Studien die Gefährlichkeit des Giftes. Zum Beispiel in punkto Bodenfruchtbarkeit: Wissenschaftler fanden in elf EU-Ländern in 21 Prozent von 317 getesteten Oberböden Glyphosat und in 42 Prozent der Böden Aminomethylphosphonsäure (AMPA), das beim Abbau von Glyphosat entsteht. Einige der kontaminierten Böden waren besonders anfällig gegenüber Wasser- und Winderosion.

Glyphosat reichert sich nicht nur in Mikroben, Amphibien und vielen anderen Tieren an, wo es die Organismen nachhaltig schädigt, sondern auch in den Wurzeln der sterbenden Unkrautpflanzen, wie Wissenschaftler der Universität Stuttgart-Hohenheim herausfanden. Diese geben das Gift an andere Pflanzen weiter.

Wird wenige Tage später Getreide gesät, können die Giftwurzeln den Keimling schädigen, wenn diese sich nahe kommen. Die jungen Getreidepflanzen bilden weniger Feinwurzeln aus. In den Böden, die immer wieder mit Glyphosat gespritzt werden, führen die Rückstände zu einer chronischen Vergiftung der Kulturpflanzen. Außerdem kann die Pflanze lebenswichtige Spurennährstoffe schlechter aufnehmen.

Weniger bekannt dürfte sein, dass Glyphosat und andere Herbizide Kreuzresistenzen bei Antibiotika wie Penizillin, Ciprofloxacin und Kanamycin auslösen. Glaubt man einer amerikanischen Studie, können sie veränderte Antibiotika-Empfindlichkeit bei Bakterien wie Escherichia coli und Salmonella enterica serovar Typhimurium hervorrufen.

Wissenschaftler an der Universität von Florida und der Uni Kassel, welche die Gesundheits- und Umwelteffekten von Glyphosat untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass der Selektionsdruck für Glyphosatresistenzen in Bakterien zu erhöhten Resistenzen bei Antibiotika führen kann. Ihnen zu Folge ist Glyphosat ein Treiber für Antibiotikaresistenzen.

Antibiotika-Resistenzen können für den Menschen lebensbedrohlich werden. Erst kürzlich wurde ein neuer multiresistenter Escherichia coli-Stamm entdeckt, der sich rasant in den Krankenhäusern ausbreitet.

Wachsende Glyphosat-Resistenz bei Unkräutern

Monsanto liefert Saatgut und Herbizide, die Bauern spritzen das Gift, ohne die Ernte der genetisch veränderten Pflanzen zu schädigen, weil diese gegen die Gifte resistent sind. Für viele amerikanische Farmer war das jahrelang ein einfacher und praktischer Weg der Landbewirtschaftung. Gerne haben sie den Pflug gegen die Giftspritze eingetauscht.

Immer größer werden die Marktanteile des glyphosathaltigen Produkts Roundup, immer höher die Gewinne, die Monsanto für Herbidzide und Saatgut einstreicht. Mit der Einführung herbizidtoleranter Gen-Soja- und Gen-Mais werden weltweit etwa fünfzehn Mal mehr Herbizide eingesetzt.

Nun aber bekommt das Erfolgsmodell Glyphosat Risse. Denn der Verkaufsschlager Roundup Ready verliert allmählich an Wirkung: Ein Viertel der am weitesten verbreiteten Unkräuter ist gegen Herbizide resistent geworden. In den letzten 15 Jahren haben die Unkrautresistenzen um 60 Prozent zugenommen, ohne dass ein neuer Wirkstoff dagegen gefunden worden, klagt Adrian Percy in einem Interview mit einem Team vom WDR.

Der Leiter des Bereichs für Forschung und Entwicklung bei Bayer CropScience räumt ein, dass die industrielle Landwirtschaft mit ihrer einseitigen Monokultur und wenigen Agrargiften in eine Sackgasse geraten ist. So wuchern die glyphosatresistenten Unkräuter mittlerweile auf der Hälfte aller US-amerikanischen Felder mit Mais, Soja und Baumwolle.

Das Monsterkraut Amaranthus Palmeri zum Beispiel bereitet Wissenschaftlern wie Farmern großes Kopfzerbrechen: Mit 600.000 Samen pro Pflanze breitet sich die Art in den USA so rasant aus wie kaum eine andere. Das bis zu zweieinhalb Meter hohe Fuchsschwanzgewächs kann die Ernteerträge auf Sojafeldern um bis zu 80 Prozent und im Maisanbau sogar um bis zu 90 Prozent verringern. 2015 richtete sie auf den Maisfeldern des US-Bundesstaates Iowa einen Ernteschaden von mehreren 100 Millionen Dollar an.

Massive Probleme mit Glyphosat resistenten Unkräutern gibt es auch in Brasilien und Argentinien, den Haupt-Anbauländern von Soja, wo die Äcker gespritzt werden. Allein in Argentinien wird auf 20 Millionen Hektar Ackerland gentechnisch verändertes Soja angebaut - mit massiven gesundheitlichen Schäden für Anwohner, die in der Nähe der Felder leben.

So sterben Kinder an Krebs oder kommen mit Missbildungen auf die Welt. Nachdem der Chemie- und Saatgutkonzern Monsanto den argentinischen Soja-Anbau zwei Jahrzehnte fest im Griff hatte, setzt bei vielen Bauern nun ein Umdenken ein.

Dessen ungeachtet ist Gen-Soja in Europa aus der industriellen Tiermast nicht wegzudenken: Drei Viertel des Soja-Bedarfes werden aus Südamerika/USA in die EU importiert. Würde Glyphosat aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten, hätte dies ein Importverbot für glyphosathaltiges Gen-Soja zu Folge, erklärt Harald Ebner, Bundestagsabgeordnete der Grünen, in einem Interview mit dem ZDF.

Das wiederum hätte eklatante Auswirkungen auf die Soja basierte Fleischproduktion nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. In der Entscheidung für oder gegen Glyphosat darf dies für die Behörden streng genommen keine Rolle spielen. So will Umweltministerin Barbara Hendrisks Glyphosat wenn überhaupt, dann nur unter ganz strengen Auflagen, wieder zulassen

Bayer-Monsanto - eine Fusion aus Chemikalien und Genpflanzen?

Die Verfechter der industriellen Landwirtschaft werden nicht müde zu behaupten, nur die Agrarindustrie könne die wachsende Weltbevölkerung ernähren. Wenn aber, wie eine amerikanische Studie bereits 2006 vorrechnete, die Ernteverluste auf Grund resistenter Unkräuter schon damals weltweit bei 38 Prozent lagen, werden bei dem Ausmaß der aktuellen Resistenz-Zunahmen die geplanten Ertragssteigerungen zwecks Bekämpfung des Welthungers deutlich geringer ausfallen als erwartet.

Eine "Vielfalt" an immer neuen Chemikalien soll nun die Misere mit den Resistenzen beheben. Auf der Suche nach dem ultimativen Mittel setzt der Chef-Forscher bei Bayer-Crop-Science vor allem auf die Zusammenarbeit internationaler Wissenschaftler. In speziellen Gewächshäusern bei Frankfurt entwickeln die Wissenschaftler immer neue Moleküle und Herbizide zur Unkrautbekämpfung. Eine neue "DNA-Revolution" soll herbizidtolerantes gentechnisch verändertes Saatgut hervorbringen.

Mit der Übernahme von Monsanto erhofft sich Bayer einen leichteren Zugriff auf die neue Gentechnologie: Bayer stellt die Pestizide zur Verfügung, Monsanto das Gen-Saatgut. So liefern sich die Konzerne gegenseitig die Bausteine für immer neue gentechnische Innovationen, freut sich Adrian Percy.

Das neue Gen-Saatgut soll auch in Europa etabliert werden. Doch während das deutsche Landwirtschaftsministerium die neue Technologie als Züchtungsmethode gerne zulassen würde, zeigt sich die EU-Kommission noch unentschieden.

Ausblick

Ein Agrarsystem, das nur auf synthetische Mittel setzt, muss irgendwann in eine Sackgasse geraten. Wenn immer neue Pestizide versprüht werden und das Landschaftsbild von genveränderten Pflanzen beherrscht wird, geht das große Artensterben weiter, während die Super-Unkräuter immer neue Resistenzen gegen immer neue Herbizide ausbilden.

Was aber bedeutet es für deutsche Ackerbauern, wenn sie das Gift, dem sie jahrzehntelang vertraut haben, weil es ihnen die Arbeit auf dem Acker erleichtert hat, plötzlich nicht mehr anwenden dürfen?

In einer Folgenabschätzung am Julius-Kühn-Institut von 2015 stehen vor allem betriebswirtschaftliche Aspekte im Fokus. Die externalisierten Kosten, die auf Grund der Umweltauswirkungen für die Gesellschaft entstehen, werden nicht berücksichtigt.

Bei einem Verzicht auf Glyphosat, so die Autoren, könne je nach Standort, Witterung und Anbaupraxis mit einer zusätzlichen Bodenbearbeitung durch Pflügen bzw. mechanischer Unkrautbekämpfung eine äquivalente Wirkung erzielt werden. Ein Ackerbau ohne Glyphosat ist demnach nicht völlig undenkbar.

Ausgerechnet in Kalifornien/USA ist man inzwischen einen Schritt weiter: Im Juli 2017 hat das zuständige Amt für Umwelt und Gesundheit das Gift offiziell als krebserregend eingestuft. Seitdem müssen glyphosathaltige Produkte entsprechend gekennzeichnet sein.

Bleibt abzuwarten, wann sich der US-Bundesstaat zu einem Verbot durchringt. Auch in Deutschland hätte ein Verbot von Glyphosat eine klare Signalwirkung. Warten doch eine ganze Reihe anderer - nicht weniger schädlicher - Ackergifte darauf, einer genauen Prüfung unterzogen zu werden. Denn eins ist klar: Nur eine giftfreie Landwirtschaft kann den Menschen langfristig gesunde Lebensmittel liefern.

Tipps:

Gifte für ein besseres Leben (WDR-Feature v. 15.10.2017)

Grünen-Studie (2014): Das Prinzip industrielle Landwirtschaft in der Sackgasse