Gnadenloses Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung
Wie Äthiopien von einem Friedensnobelpreisträger zerstört wird. Ein Kommentar
Am 25. November lief das Ultimatum der äthiopischen Zentralregierung für die Hauptstadt Mekelles (Tigray) ab. Die Stadt ist mittlerweile eingenommen, nachdem sich die Kräfte der TPLF in das Umland zurückgezogen haben, nach eigenen Angaben, um die 500.000 Einwohner Mekelles vor einem Massaker zu bewahren. Abiy Ahmed Ali hatte der Zivilbevölkerung gedroht "ohne Gnade" vorzugehen, sofern sie sich nicht von der in Tigray regierenden TPLF lossagen. Unterstützt wird die Armee durch eritreische Truppen und Kampfdrohnen der Vereinigten Arabischen Emirate.
Seit dem 4. November gehen die äthiopische Armee und amharische Milizen gegen die Region Tigray vor. Es ist bemerkenswert, dass eine nicht gewählte Zentralregierung einerseits die Durchführung von Wahlen angesichts von Corona für unverantwortbar hält und andererseits aber kein Problem damit hat, einen Bürgerkrieg gegen eine gewählte Regionalregierung anzufangen. Nachdem Abiy Ahmed Ali es in kürzester Zeit geschafft hat nahezu das ganze Land ins Chaos zu stürzen, überzieht er nun die einzige Region Äthiopiens mit Krieg, in der es vergleichsweise ruhig und sicher war.
Die Lage in Tigray selbst ist schwer zu beurteilen, da die Regierung Abiy Ahmed Ali sowohl jegliche Kommunikationskanäle (Telefon, Internet, Mobilfunk) blockiert hat, als auch NGO/UN und Journalisten den Zutritt nach Tigray verwehrt.
Parallel zur militärischen Auseinandersetzung läuft ein Propagandakrieg. Dabei wird auch immer deutlicher, dass das hermetische Abschotten der ganzen Region auch den Zweck hat, die Hoheit über die Berichterstattung zu den Geschehnissen zu behalten. Das gelingt jedoch zunehmend weniger je länger der Konflikt andauert.
Es häufen sich Berichte - etwa von Flüchtlingen -, dass insbesondere von den amharischen Milizen brutal und menschenverachtend auch gegen die Zivilbevölkerung Tigrays vorgegangen wird. Möglicherweise agieren diese Milizen auch - gewollt oder ungewollt - unkontrolliert und ohne Einbindung in die regulären Streitkräfte.
Entgegen der Regierungsbehauptung wird nun auch von unabhängiger Seite bestätigt, dass eritreisches Militär in Tigray aktiv ist. Sorge bereitet der UN und NGOs in diesem Zusammenhang auch die Situation der über 100.000 Eritrea, die vor der Diktatur nach Tigray geflohen sind und dort in Flüchtlingslagern untergebracht sind. Eine Delegation des UNHCR, die versuchte, zu den Flüchtlingen vorzudringen, wurde von eritreischen Truppen beschossen und zur Umkehr gezwungen. Auch mehren sich Aussagen über massive Plünderungen durch eritreische Soldaten, die ganze Fabriken sowie privates Eigentum plündern und nach Eritrea transportieren.
Gleichzeitig versucht die Regierung den Weg für Flüchtlinge in den benachbarten Sudan zu blockieren. Vermutlich soll damit die Aussage untermauert werden, der Krieg sei bereits gewonnen. Außerdem will man verhindern, dass die Zentralregierung durch zu viele Flüchtlinge international schlecht aussieht. Hinzu kommt, dass die Berichte von Flüchtlingen eine der letzten nicht kontrollierten Informationsquellen zur tatsächlichen Lage in Tigray sind, und die Berichte der Geflüchteten stehen im Widerspruch zur Regierungspropaganda.
Hetze und rassistische Diskriminierung treffen Tigrayaner im ganzen Land, so wurden insbesondere in Addis Abeba hunderte Einwohner verhaftet unter dem Vorwand, sie könnten ja Terroranschläge verüben, nur weil sie aus Tigray stammen. Im Internet ist von Anhängern der Regierung Abiy Ahmed Ali ebenfalls eine wachsende Hasspropaganda nicht nur gegen die TPLF, sondern auch gegen die Tigrayaner als Bevölkerungsgruppe zu beobachten.
International wird das Vorgehen der äthiopischen Regierung weitgehend verurteilt. Es wird von UN und EU zur friedlichen Beilegung des Konfliktes und zu Verhandlungen aufgerufen. Die Organisation für afrikanische Einheit hat sogar ein Vermittlungsteam zusammengestellt. Allerdings stößt dies bei Abiy Ahmed Ali auf taube Ohren, der Friedensnobelpreisträger ist offensichtlich auf eine militärische Lösung in Tigray aus.
Beobachter vermuten, er will jedes Anzeichen von Schwäche vermeiden, da es nicht nur in Tigray Widerstand gibt, es gärt nahezu im ganzen Land. Die Einkesselung einer ganzen Region mit sechs Millionen Einwohnern verbunden mit der Drohung, gegen die Bevölkerung "ohne Gnade" vorzugehen, kann durchaus als geplantes Kriegsverbrechen gewertet werden.
Solange es international keine deutlicheren Reaktionen gegenüber Abiy Ahmed Ali gibt, wächst die Gefahr einer humanitären Katastrophe, die nicht nur in Millionen zusätzlicher Flüchtlinge, Hunderttausenden von Toten und einem wirtschaftlich um Jahre zurück geworfenen Land mündet, sondern die auch die ganze Region ins Chaos stürzen kann. Angesichts dessen,
- dass hier ein Krieg gegen das eigene Volk im Bündnis mit ausländischen Kräften (Eritrea mit Truppen und die Vereinigten Arabischen Emirate mit Drohnen) begonnen wird,
- dass sich hier ein werdender Diktator (Abiy Ahmed Ali) mit einem Diktator mit jahrzehntelanger Erfahrung (Isayas Afewerki) zusammentut,
- dass von Tigray keine Kriegsdrohung gegenüber irgendeiner anderen Partei ausging,
- dass es angesichts der wachsenden Probleme in Äthiopien (wirtschaftlicher Niedergang, Millionen Binnenflüchtlinge, Corona, eine Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes, Unruhen überall im Land) wahrlich andere Dinge zu tun gäbe als ausgerechnet einen Krieg anzufangen,
- dass es bereits deutliche Anzeichen eines drohenden Genozids gibt,
angesichts all dessen wirken die moderaten Apelle eher wie ein Zusehen und können von Abiy Ahmed Ali eher als Ermutigung verstanden werden. Es braucht eine deutliche Reaktion gegenüber einem kriegsbesessenen Friedensnobelpreisträger.