Goldgräber und Abgekoppelte

Wie die Bundesagentur für Arbeit verschieden Pole der digitalen Welt zusammenbringt

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Seit etwa 2005 haben zwei gesellschaftliche Phänomene mächtig Fahrt aufgenommen: Die Verbreitung des Digitalen auch über das Internet und Hartz IV. Denn 2005 war das Jahr, in dem auch der letzte Fotograf erkannte, dass es ohne digitale Kameras kaum mehr geht. Und in der der ehemalige Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder als Bundeskanzler die "Armut per Gesetz" auf den Weg brachte. Armut und Internet, das ist freilich ein bislang ziemlich unterbelichtetes Verhältnis. Und deshalb erscheint ein Plan der Bundesagentur für Arbeit, künftig Langzeitarbeitslose ihr Geld an der Supermarktkasse abholen zu lassen, kurios.

Das Digitale kann man als neuen Kontinent verstehen, auf dem junge Menschen in Start-ups nach Gold suchen und mitunter fündig werden. Bill Gates hat es ja vorgemacht. Und man kann es das Digitale als riesigen Staubsauger verstehen, in dem alles Hergebrachte aufgesaugt wird (Marx hätte "verdampft" gesagt): Berufe, Berufsqualifikationen, Erfahrung, Beziehungen, Werte, Branchen. Das dabei wirkende Prinzip nennt die Branche gerne "disruptiv".

Wenn es also zwei völlig entgegengesetzte Konsequenzen des Digitalen gibt, dann gibt es auch Menschen, die an diesen entgegengesetzten Polen leben. Und wie kommen diese dann zusammen, also die Bewohner der Arktis und der Antarktis, um ein geografisches Bild zu nehmen? Oder die Bewohner der Zone der sozialen Abkoppelung und Verwundbarkeit, wie es der französische Soziologie Robert Castel ausdrückte, und der Zone der digitalen Goldgräber und Modernisierungsgewinner?

Vermittlungsarbeit leistet jetzt jedenfalls die Bundesagentur für Arbeit. Nicht in der Hinsicht, dass die digitale Spaltung entlang der Einkommen aufgehoben wird, noch immer gilt ein Fernseher bei Hartz IV-Empfängern als nicht pfändbar (Grundversorgung mit Information), ein Computer mit Internetanschluss aber schon. Sondern mit der Abgabe von hoheitlichen Aufgaben wie dem Auszahlen des Arbeitslosengeldes über elektronische, digitalisierte Supermarktkassen.

Vorschüsse bei finanziellen Notlagen an Supermarktkassen

Doch der Reihe nach. Florian Swoboda ist einer der drei Gründer des Berliner Start-ups barzahlen.de. Das Unternehmertum wurde dem 25-Jährigen quasi in die Wiege gelegt, sind die Eltern doch als Ärzte selbständig. "So bekam Florian von Geburt an mit, was es heißt, sich selbst etwas aufzubauen und Verantwortung für Mitarbeiter zu tragen", das meinen jedenfalls die Autoren eines Buches über "Start ups international: Gründergeschichten rund um den Globus". Und die Autoren wissen weiter, dass "auch ein Großteil seines Freundeskreises seit jeher aus Unternehmern besteht".

Derartig gepampert und mit einem Studium an der "Otto Beisheim School of Management" versehen, waren alle Voraussetzungen für den Neustart in der digitalen Welt gegeben. Die Geschäfts-Idee kam den drei Studenten der Wirtschaftswissenschaft angesichts der schlechten Zahlungsmoral von Computerspielern in Online-Games. Viele davon sind noch minderjährig und verfügen über keine Kreditkarte. Um dieses Problem zu lösen, suchten die angehenden Jungunternehmer nach einer Schnittstelle zwischen der analogen und der digitalen Welt: Und stießen auf die bundesweit flächendeckend verbreitete Infrastruktur von elektronisch vernetzten Supermarktkassen.

Damit war die Geschäfts-Idee geboren und 2011 gründete Swoboda mit seinen beiden Kompagnons in Berlin die CAS Payment Solutions GmbH. Die Firma bietet unter dem Label "Barzahlen.de" eine private Zahlungsinfrastruktur an, das heißt, man kann mittlerweile an 10.000 Supermarktkassen Bargeld einzahlen oder auch abheben.

Und das sollen künftig auch Hartz-IV-Bezieher, die sich in finanziellen Notlagen befinden, tun, sich also ihr Arbeitslosengeld an der Supermarktkasse abholen. Dort treffen dann vermittelt über das Bezahlsystem die Globalisierungsverlierer auf die Globalisierungsgewinner. Die digitale Revolution zeigt ihr doppeltes Gesicht: Was für die Jungen Geld bringt, bringt den aus dem Arbeitsprozess ausgemusterten Älteren das Arbeitslosengeld II.

Freilich handelt es sich bei dem Supermarkt-Geld nicht um die Regelzahlung für den Lebensunterhalt und die Miete, wie die Bundesagentur für Arbeit betont, diese Regelzahlung werde wie üblich per Banküberweisung getätigt. Bei der Auszahlung an der Supermarktkasse gehe es vielmehr "um Vorschüsse bei finanziellen Notlagen", so ein Sprecher der Behörde. Bei derartigen Notlagen verfügt der betroffene Haushalt über kein Geld mehr, um zum Beispiel die Reise zu einem Vorstellungsgespräch zu bezahlen oder bei einer alleinerziehenden Mutter die kaputtgegangene Waschmaschine zu ersetzen. Im Jahr 2016 hat es rund 400.000 derartiger Auszahlungen gegeben, ausgezahlt wurde das Geld an den 309 eigenen Kassenautomaten in den Jobcentern. Dabei ging es um eine Summe von rund 120 Millionen Euro.

Diese Kassenautomaten aber sind in die Jahre gekommen und kosten Geld, etwa acht Euro pro Auszahlung. Deshalb hat die Bundesagentur für Arbeit das Auszahlungsverfahren in 2017 neu ausgeschrieben. Das Rennen gemacht hat nun eben Cash Payment Solutions aus Berlin. Das Finanztransaktionssystem Barzahlen.de erlaubt es den Kunden zum Beispiel, über das Internet Waren digital zu bestellen, diese aber ganz analog mit Bargeld an der Supermarktkasse zu bezahlen. Möglich wird das Verfahren durch einen sogenannten Barcode, dieser wird an der Kasse eingescannt und dann kann ein Betrag sofort ein- oder auch ausbezahlt werden.

So sollen künftig auch Hartz IV-Bezieher an ihr Geld kommen. Der Barcode wird entweder direkt bei der Behörde abgeholt oder kommt per Post, hinzu kommt der Hinweis auf drei Märkte in der Wohnumgebung, wo er eingelöst werden kann. "Das Verfahren ist anonym, weder ein Name noch das Logo der Bundesagentur für Arbeit erscheint auf dem Barcode", versichert ein Sprecher. Zwar lasse sich der Geldfluss über eine Ziffernfolge identifizieren, darauf habe aber nur die Behörde und nicht der private Dienstleister Zugriff.

Doch das Verfahren, das Ende 2018 bundesweit eingeführt werden soll, stößt bei Sozialverbänden auf Kritik. Die Pläne der Bundesagentur für Arbeit hält etwa der Diözesan-Caritasverband für indiskret und stigmatisierend. "Wir fordern die Bundesagentur auf, den Projektstart abzubrechen und mit den Wohlfahrtsverbänden Alternativen auszuarbeiten", so Michaele Hofmann, Armuts-Referentin des Kölner Diözesan-Caritasverbandes.