Goodbye Kyoto?

Im Umfeld des Mailänder Klimagipfels suchen Wissenschaftler und Politiker nach neuen Schuldigen und alternativen Lösungsstrategien

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Seit die zuständigen Fachminister Mailand mit ihrer Anwesenheit beehren, wird es auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention noch einmal spannend. Aktivisten des World Wide Fund For Nature (WWF) nutzten die Gelegenheit, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufzufordern, die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls nicht länger hinauszuschieben. Vor dem Tagungsort veranstalteten sie eine Performance, um einen Putin-Darsteller, der auf dem Kyoto-Protokoll eingeschlafen war, aufzuwecken und endlich zum Handeln zu bewegen.

WWF-Aktion

Der WWF wies in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hin, dass, um die Vereinbarung tatsächlich in Kraft zu setzen, nicht nur 55 Staaten den Vertrag ratifizieren, sondern unter diesen auch solche Länder vertreten sein müssen, die gemeinsam für mindestens 55% der 1990 in den Industrieländern ausgestoßenen Kohlendioxidemissionen verantwortlich waren. Aktuell kommen selbst wohlwollende Zählungen aber nur auf 44%, so dass Russland mit gut 17% dringend gebraucht würde. Jennifer Morgan, die Leiterin der Klimaabteilung des WWF, erklärte deshalb: "Russland trägt die volle Verantwortung, damit das einzige multilaterale Klimaschutzabkommen wirksam wird."

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins NewScientist werden unter der Überschrift "Saving the world, Plan B" derweil schon andere Lösungsstrategien diskutiert. Das Kyoto-Protokoll "is dying a death of thousand cuts", heißt es da, was unter anderem daran liege, dass Russland wirtschaftliche Nachteile durch eine Ratifizierung befürchte. Aber auch in anderen Ländern habe die Vereinbarung keinen Rückhalt mehr. Die bürokratischen Verwicklungen und zahllosen politischen Implikationen hätten bei vielen Delegationen den Verdacht genährt, Kyoto sei im Jahr 2003 Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.

Dass der Ausstoß der Treibhausgase drastisch reduziert werden muss, ist weiterhin unbestritten, aber offenbar favorisieren immer mehr Experten ein Modell, das schon seit einigen Jahren unter dem Stichwort "contraction and convergence" die Runde macht. Seine Fürsprecher gehen davon aus, dass nachhaltige Klimaschäden verhindert werden können, wenn die globale Erwärmung den Stand in vorindustriellen Zeiten nicht um mehr als 2% übersteigt.

Um dieses Ziel langfristig zu erreichen, ist nach Berechnungen der britischen Royal Commission on Environmental eine weltweite Senkung der Treibhausgase um 60% bis 2050 vonnöten. Sie soll durch eine internationale Vereinbarung erreicht werden, welche die Emissionen an die Einwohnerzahl der Staaten bindet und den durchschnittlichen Kohlenstoffausstoß jedes Erdenbürgers von derzeit einer Tonne pro Jahr auf 0,3 Tonnen reduziert. Wenn ein Land mit der ihm zugestandenen Menge nicht auskommt, kann es im Emissionsgeschäft tätig werden. NewScientist vermutet:

Das ist zwar schon Teil des Kyoto-Protokolls, aber falls jede Nation der Welt daran beteiligt und mit strengeren Zielvorgaben bedacht wird, könnte es ein sehr viel besseres Geschäft werden.

Wenn alle Länder und alle Menschen obendrein an die gleichen Zielvorgaben gebunden sind, sollen auch die schärfsten Kritiker - allen voran die USA - von der Notwendigkeit eines gerecht verteilten Klimaschutzes überzeugt werden können.

Man darf gespannt sein, ob diese Argumentation Früchte trägt, zumal in derselben Ausgabe des Wissenschaftsmagazins ganz neue Verursacher unserer aktuellen Umweltprobleme ins Feld geführt werden. Der Klimaforscher William Ruddiman von der University of Virginia in Charlottesville ist der Ansicht, dass Treibhauseffekte bereits von den ersten Landwirten vor rund 8.000 Jahren in Gang gesetzt wurden. Er glaubt, Waldrodungen in Europa, Indien und China hätten schon damals zu einem deutlichen Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre beigetragen, während der Reisanbau und die wachsenden Viehherden zu einer höheren Methanproduktion führten. Durch diese Aktivitäten habe sich die Erdatmosphäre bis zum Jahr 1700 um 0,8 Grad Celsius erwärmt, in den nördlichen Breitengraden seien es sogar 2 Grad gewesen, was Kanada vor einer neuen Eiszeit bewahrt habe.

In der Fachwelt stoßen Ruddimans Thesen auf ein geteiltes Echo. Jeff Severinghaus von der Scripps Institution of Oceanography in San Diego findet sie "sehr interessant, aber spekulativ". Der Eiszeitexperte Richard Alley von der Pennsylvania State University meint hingegen: "Das ist sehr provokativ, aber durchaus wert, genauer untersucht zu werden." Wie so vieles, was im Umkreis der großen Konferenzen, gedacht, gesagt und geschrieben wird ...