Goodbye Napster!

Ein vorläufiger Nachruf

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Wir haben dich gemocht. Wir haben dich benutzt, auch wenn wir ganz genau gewusst haben, dass du in einer legalen Grauzone operierst. Und nun lässt uns eine einstweilige Verfügung noch bis Samstag Zeit, um uns von dir zu verabschieden.

Nach der gestrigen Gerichsverhandlung wirst du deine Pforten bis auf weiteres schließen. Wenige Tage bleiben Zeit, um die eigene Sammlung noch mit den letzten fehlenden Tracks zu ergänzen, danach heißt's: bezahlen, ftp-Suche oder Gnutella und Co. Gewiss hat die Entscheidung der Richterin auch ihr gutes: niemand wird sich nun mehr mit halbherzigen Berufungen und schwammigen Eigendefinitionen um die Verantwortung der Entlohnung von Musikern herumdrücken können. Andererseits geht aber eine Menge verloren - und wir alten Napster-Hasen bedauern alle Neo-User und zukünftigen Musikfans, denn die werden eines nicht mehr so schnell erleben: Den problemlosen Zugriff auf ein weltweites Musikarchiv mit hunderttausenden Titeln. Vorbei die Zeiten des Schlaraffenlandes Internet, in dem einem die fertig zubereiteten MP3s fast von selbst auf die Harddisk flogen und Radio plötzlich uninteressant machten. Wie kam's eigentlich dazu und bedeutet dies das Ende des Filetauschens?

Die Gerichtsverhandlung

Seit Monaten beschäftigen sich Rechtsexperten mit der Napster-Problematik. Konnte die Firma eine Schließung in den ersten Prozessrunden noch verhindern, so mehrten sich in den letzten Wochen die Anzeichen für eine baldige Entscheidung. Immer mehr Künstler, allen voran Metallica, hatten sich gegen den Tauschclient gewehrt. Zwar gab's auch positive Stimmen, letztendlich schloss sich Richterin Marilyn Patel aber der Meinung der RIAA an.

Bei ihrer Entscheidung handelt es freilich nicht um ein endgültiges Urteil, sondern eben nur um eine einstweilige Verfügung. "Die RIAA hat gezeigt, dass sie eine Gerichtsverhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen würde, während es der Verteidigung nicht gelungen ist, zu beweisen, dass Napster wesentliche nicht-illegale Funktionen erfüllt," so die Begründung. Russ Frackmann, Anwalt der RIAA, zeigte sich naturgemäß sehr zufrieden: "Napster fügt der Plattenindustrie irreparable Schäden zu. Nur weil die CD-Verkäufe in der letzten Zeit gestiegen sind, heißt dass noch lange nicht, dass man darüber die Rechte der Künstler vernachlässigen kann. Dieser Ausgang bedeutet einen Durchbruch für die Zukunft digitaler Musik."

David Boies, Verteidiger von Napster, wurde während der Verhandlung von der Richterin mehrmals zurechtgewiesen. Er versuchte zu erklären, dass ein Entfernen nur der copyrightgeschützten Files gar nicht möglich sein. "Das ist das System, das programmiert wurde, und nun muss Napster die Konsequenzen tragen," so die Reaktion von Patel.

Die Zukunft von Napster

Vor einigen Wochen noch hatte Napster eine 15 Mio. $ Kapitalspritze von Hummer-Winblad erhalten - derselben Firma, die mit hohem Anteil an Liquid Audio beteiligt ist. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt heftig dementiert wurde, dass Synergien zwischen beiden Systemen geplant seien, wurde vielerorts über eine mögliche zukünftige Rolle Napsters als Distributionsplattform für Liquid-Audio-Dateien spekuliert. Sic! Letzten Montag kündigte Napster Inc. den Abschluss eines Vertrages mit LA an - das Ziel: die gemeinsame Schaffung einer sicheren Technologie zur Distribution von Musik über das Internet.

Dennoch: kein Ende des Tauschens in Sicht...

Statements von enttäuschten Napster-Fans zeigten die Zweischneidigkeit des Urteils:

"In den letzten 6 Monaten hab' ich mir zehn Alben gekauft. Acht davon, weil ich mir einzelne Tracks aus dem Napster-Network vorher angehört habe. Das waren meine letzten 10 CDs, an denen die RIAA verdient hat."

Bleibt die Frage, wie es nun mit dem Dateitauschen im Internet weitergeht: Längst ist Napster nicht mehr der einzige Bewerber, Konkurrenten wie Scour Exchange und Co. dürfte aber an Hand des nun vorliegenden Musterfalles wohl ebenfalls bald das Wasser abgegraben werden. Was mit den von Privatpersonen betriebenen Napster-Servern, die auf dem opennap-Protokoll beruhen, passiert, steht in den Sternen recht deutlich zu lesen: die RIAA dürfte die Betreiber in absehbarer Zeit ebenfalls daran hindern, die Funktion von Napster Inc. zu übernehmen.

Aber zu viele Möglichkeiten stecken in dieser Technologie, als dass sie sich so ohne weiteres verbieten ließe: Das von Justin Fraenkel initiierte Gnutella kommt überhaupt ohne zentrale Server und damit ohne Betreiber aus, beruht aber immer noch auf statischen IP-Adressen. Noch radikaler ist der Ansatz von Freenet, das zensur- und eingriffsfreien Tausch von Files ermöglichen soll. Jeglicher Datentransfer erfolgt verschlüsselt, die Identität der einzelnen Teilnehmer lässt sich nicht mehr feststellen.

Und der Etappensieg der Plattenindustrie könnte sich als Rohrkrepierer erweisen - erstaunlicherweise scheint niemand ein Subskriptions-Modell für Napster im Hinterkopf zu haben. Inwieweit eine Zusammenarbeit von Shawn Fennings Firma mit der RIAA Erfolg haben wird, hängt aber nicht zuletzt vom Image des Kätzchens ab. Viele User werden daher auf andere Systeme umsteigen. Ob sich der Traum vom Napster-Börsegang damit zerschlagen hat, oder ob sich doch noch andere Alternativen ergeben, werden die Verhandlungen der nächsten Wochen entscheiden.