Gorillaz kicken Boybands in den A***
Damon Albarn (Blur) und Jamie Hewlett (Tank Girl) präsentieren virtuelles Pop-Universum
Es gibt ein Verständnis von Pop, demzufolge eine bestimmte Art von Pop das Beste ist, was es auf dieser Welt gibt. Es - dieses schillernde Pop-Ding, das gelegentlich aufblüht, allzuoft aber wie eine Sternschnuppe verglüht - ist nicht Underground oder Indie, sondern durchaus für die Masse gemacht. Zugleich vermeidet es die kalkulierte Plattheit der auf Erfolg getrimmten Industrieprodukte, die reinen Marketingüberlegungen entspringen. Der einzigartige Appeal dieser seltenen Pop-Gemmen ist es, die Gegensätze von "hi" und "low" zu überbrücken, den Massengeschmack zu befriedigen, ohne ihn zu bedienen, während zugleich die erlauchten Kreise der Eingeweihten auch noch auf ihre Kosten kommen.
Der Pop-Planet London erleidet gerade den Tiefpunkt des manufakturierten Pop-Erfolgs. Die Gruppe Hear'Say, einer im Fernsehen durchgeführten Talenteshow namens Popstars von BBC entsprungen, ruft in ihrer minderjährigen Fangruppe alle Anzeichen der Beatlemania hervor, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Für eine Autogrammstunde im Kaufhaus Woolworth wurden extra psychologische Betreuer angemietet, um den beim Signieren ihrer Autogrammkarten komplett aus dem Häuschen geratenden Fans Beistand zu leisten. Allerdings ist die Bezugnahme auf die berühmten Liverpoodlians völlig fehl am Platz, denn Hear'Say sind weder begabt noch originell, sondern einfach nur der kleinste gemeinsame Nenner der Massenverblödung. Aber noch ist Hoffnung auf Planet-Pop, und sie kommt aus dem Internet und ist komplett zweidimensional.
Sie heißen mit vollem Namen "Clint Eastwood by Gorillaz" und entstammen einer Kollaboration des Blur-Frührentners Damon Albarn und Jamie Hewlett, Erfinder der Cartoon-Figur Tank Girl. Der Zeichner und der Britpop-Star haben die erste britische virtuelle Popband geschaffen und sind mit ihrer Single gleich am ersten Wochenende auf Nr. 4 der britischen Charts vorgestoßen. Der von den Gorillaz selbst als Zombie Hip Hop bezeichnete Musikstil verbindet Breakbeats mit Funk und Dub-Elementen, was nun nicht gerade umwerfend innovativ ist, aber von Produzent "Dan the Automator" aus San Francisco recht eingängig zusammengerührt wurde. Für stimmliche Kompetenz sorgen als Gäste der Rapper Del tha Funkie Homosapien und der aus Buena Vista Social Club bekannte kubanische Sänger Ibrahim Ferrer (auf Damon Albarns etwas weinerliche Gesänge könnte ich persönlich eher verzichten).
Musik ist aber nur die eine Seite in diesem Projekt, die andere sind die Zeichnungen von Jamie Hewlett, die auf der Website Gorillaz.com als Shockwaves in einer interaktiven Narration verpackt wurden. Dort kann man die Kong Studios betreten, einen der Album-Tracks auf einem 5-Spur-Kassettengerät remixen oder die Privatwohnungen der Bandmitglieder 2D, Murdoc, Russel und Noodle betreten, Graffitis auf die Wände sprühen oder sogar in den Computern der Bandmitglieder herumstöbern, die natürlich höchst individuell sind. Japanerin Noodle hat einen G4, während britisches Arbeiterklassekind 2D einer der letzten aktiven Spectrum-Nutzer dieser Welt ist. Im Gästebuch häufen sich so viele begeisterte Einträge, dass man fast an eine kleine Verschwörung glauben möchte (hat alles Damon Albarn in einer langen Nacht selbst geschrieben). Den Teenager in mir entdeckend, (was zugegebenermaßen gar nicht so schwer ist) habe ich mich jedenfalls ganz schön lange auf der Site herumgetrieben, was nicht nur an den Downloadzeiten lag.
Hewletts Comic-Stil, den er mit Tank Girl Anfang der neunziger entwickelt hat, wurde inzwischen vielfach nachgeahmt: Da wären die Bilder zu nennen, die in der trendigen Hoxton Bar in Londons Web-Design-Mekka Shoreditch monatelang herumhingen und genauso aussehen wie die Gäste dort - militanter Party-Chic, professionell verkatert, Rebellion in Designerjeans. Anklänge der Figur Tank Girl finden sich in Lara Croft und inzwischen auch in so manchem Werbespot für WAP-Telefone.
Doch in der Fortsetzungsgeschichte "Gorillaz" ist nicht nur alles bunt und hübsch, sondern hat auch eine richtig fiese Komponente, ein gewisser sarkastischer Cartoon-Realismus wie in Simpsons oder South Park, aber eben mit britischer Note - aufgeweichte Gurkensandwiches und verlauste Teppichböden in überteuerten Einzimmerwohnungen. Um eben diesen Umständen zu entfliehen, muss man mal schnell Popstar werden. Ob die Gorillaz aber wirklich so ein Ausnahme-Pop-Ding werden, oder bloß mal eine Sternschnuppe, die schnell im Netz verglüht, wird sich erst noch zeigen. "Keep it alive!" möchte man ihnen zurufen, was nichts anderes heißen soll, als dass die Gorillaz-Site möglichst oft und in heftigen kreativen Ausbrüchen aktualisiert werden sollte, mit ganz vielen freien MP3s auf den Privatrechnern der Bandmitglieder, please.