Greenwashing: "Dreist, wenn Konzerne Verbraucher auffordern, Verantwortung zu übernehmen"

Werner Boote plädiert für mehr Transparenz und klare Regeln. Foto: Nini Tschavoll

Klimakonferenz COP 27 in Sharm El-Sheikh: Die Industrie ist vor Ort und verspricht "Teil der Lösung" zu sein. Doch wie glaubhaft ist diese Versprechung in der kapitalistischen Alltagspraxis? Ein Gespräch mit Regisseur Werner Boote.

Werner Boote arbeitet seit 1993 als Filmemacher, hat sich seit mehreren Jahren auf Umweltthemen spezialisiert und lebt in Wien. Sein Film "Plastic Planet" zählt zu den 100 erfolgreichsten Dokumentarfilmen aller Zeiten und wurde 2010 mit dem Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet.

Das Thema seines Dokumentarfilms "Die grüne Lüge" hat seit seiner Veröffentlichung noch an Aktualität hinzugewonnen. 2018 lief das Werk auf der Berlinale, auf dem American Conservation Film Festival erhielt es den Preis für den besten ausländischen Film.

Herr Boote, Sie haben sich für Ihren Dokumentarfilm "Die grüne Lüge" intensiv mit Greenwashing beschäftigt. Was war eigentlich die dreisteste Lüge, die Ihnen untergekommen ist?

Werner Boote: Eine ganze Lügengruppe! Ich finde es besonders dreist, wenn Konzerne die Verbraucher auffordern, Verantwortung zu übernehmen. "Kauft klimaneutrale Wurst" zum Beispiel. Wie soll denn der Verbraucher überprüfen, ob das Produkt, das als solches gelabelt ist, wirklich klimaneutral hergestellt wurde?

Ihr Film kam 2018 in die Kinos. Wie hat sich das Greenwashing seitdem entwickelt?

Werner Boote: Es ist auf alle Fälle mehr geworden! Einerseits haben uns die Dürrejahre gezeigt, dass der Klimawandel längst in vollem Gange ist, das Thema ist in der Mehrheitsgesellschaft angekommen. Also geben sich die Konzerne auch mehr Mühe, sich in einem grünen Licht darzustellen. Andererseits haben immer mehr Konzerne Klimaversprechen abgegeben und jetzt merken sie, dass sie sich dabei übernommen haben. Statt wirklich Klimaschutz zu betreiben, versuchen sie es erst mal mit der Lüge.

Im Film forderte der britische Globalisierungskritiker Raj Patel mehr staatliche Regulierung. Sehen Sie diesbezüglich die richtigen Schritte?

Werner Boote: Es gibt immerhin Schritte, aber die sind zu langsam und meistens zu kurz. Nehmen wir die Taxonomieverordnung der EU, die jetzt eingeführt wird: Ich bin sehr für mehr Transparenz! Investitionen in Gas- und Atomenergie dürfen jedoch nicht als nachhaltig eingestuft werden. Das ist Greenwashing. Und dann braucht es auch jemanden, der die transparent gemachten Angaben der Unternehmen überprüft.

"Nicht der Steuerzahler sollte das aufbringen, sondern die Konzerne"

Dieser Prozess kostet Geld und nicht der Steuerzahler sollte das aufbringen, sondern die Konzerne, die sich überprüfen lassen. Was mehr staatliche Regulierung betrifft: Eigentlich bin ich dagegen, das menschliche Zusammenleben übermäßig durch Gesetze zu regeln. Aber beim Klimaschutz hat sich gezeigt, dass wir nur durch gesetzliche Regelungen vorankommen. Raj Patel hat Recht, wir wissen seit Jahrzehnten, was sich alles ändern muss. Aus der Wirtschaft bekommen wir aber hauptsächlich Greenwashing.

Warum ist das so?

Werner Boote: Weil Veränderungen immer erst einmal das althergebrachte, erfolgreiche Geschäftsmodell in Frage stellen. Die Plastikindustrie erklärt uns beispielsweise, ihr könnt das Sackerl ruhigen Gewissens nehmen, wir recyceln das für Euch. Tatsächlich aber werden nur acht Prozent des Plastiks wiederverwertet, zwölf Prozent werden verbrannt und 80 Prozent landen auf Deponien oder in der Umwelt. Würde die Politik die Hersteller zu 100 Prozent Recycling zwingen, wäre deren Geschäftsmodell kaputt. Deshalb gibt die Industrie sehr viel Geld für Lobbying aus und tischt uns "Plastikrecycling" auf. Eine glatte Lüge!

Positive Beispiele, fällt Ihnen dazu etwas ein?

Werner Boote: Ich habe den Film in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorgestellt. Danach hat mich ein Vertreter des Scheichs gefragt: "Wo sollen wir denn anfangen?" Ich habe ihm geraten: Plastiktüten zu verbieten. In der Wüste verendet jedes dritte Kamel an Plastiktüten im Magen. Eine Woche später schickt er mir die Presseaussendung, nach der ab Anfang des kommenden Jahres Plastiktüten verboten sind. Ich bin ein großer Freund der Demokratie. Aber da dachte ich mir: Diktaturen haben manchmal auch gehörige Vorteile.

"Für das Partikularinteresse der Autobauer ist das verständlich"

Gibt es eigentlich ein spezifisch österreichisches Greenwashing?

Werner Boote: Greenwashing gibt es vor allem in jenen Bereichen, in denen die Wirtschaft eines Landes besonders stark ist. In Deutschland denkt man da natürlich zuerst an die Autoindustrie, die es immer noch schafft, ein Tempolimit abzuschmettern. Für das Partikularinteresse der Autobauer ist das verständlich, mit großen, schwer motorisierten Autos lässt sich mehr Geld verdienen als mit solchen, die auf Tempo 120 ausgelegt sind. Insofern lässt sich ein branchenspezifisches Greenwashing erkennen, aber kein länderspezifisches.

Was macht ihnen im Kampf gegen die grünen Lügen Hoffnung?

Werner Boote: Dass mittlerweile dagegen stärker juristisch vorgegangen wird. Immer mehr Gerichte klopfen den Konzernen auf die Finger. In Berlin ging Foodwatch juristisch gegen den Wursthersteller "Wilhelm Brandenburg" vor, der seine Wurst als "klimaneutral" beworben hat – obwohl sie es nicht ist.

Ein Gericht in Stuttgart hat dem Vermögensverwalter Commerz Real untersagt, ihren "Nachhaltigkeitsfonds" als grün zu bewerben – einfach, weil er es nicht ist. Die Deutsche Umwelthilfe geht gegen die Klimaschutzversprechen der Beiersdorf AG, BP Europa SE, Green Airlines GmbH oder die Dirk Rossmann GmbH. Außerdem gibt es immer mehr Institutionen, die sich beispielsweise die Klimaversprechen der börsennotierten Konzerne anschauen und Bilanz ablegen. Das erhöht den Druck auf die Unternehmen, tatsächlich etwas zu tun.

Was ist notwendig, um dem ausufernden Greenwashing Einhalt zu gebieten?

Werner Boote: Es braucht den Druck der Zivilgesellschaft! Je größer der Druck auch über die Medien wird, desto mehr ist die Politik bereit, sich gegen die Industrie und ihre Lobby einzusetzen.

Nicht nur "Die grüne Lüge" war in großer Erfolg, auch ihr 2009 in die Kinos gekommener Dokumentarstreifen "Plastic Planet". Was dürfen wir als Nächstes von Ihnen erwarten?

Werner Boote: Normalerweise äußere ich mich zu den laufenden Projekten nicht: Solange die Arbeit anhält, verändern sich die Sichtweisen auf ein Thema. Was ich aber sagen kann: Das neue Projekt befasst sich mit dem Thema "Konsum". Wenn alles so läuft, wie ich es mir wünsche, wird es im nächsten Frühjahr veröffentlicht.

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