Greift Mexikos Drogenmafia nach der Macht?

US-Experten gehen von einer geplanten Offensive vor den Wahlen 2012 aus. Kartell der Los Zetas operiert zunehmend von den USA aus

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Die mexikanische Drogenmafia Los Zetas hat ihre Macht binnen weniger Jahre massiv ausgebaut. Nun haben US-Behörden offenbar Hinweise darauf, dass die Organisation von den USA aus operiert und auf beiden Seiten der Grenze massiv Waffen hortet. Das Kartell könnte sich auf eine Offensive gegen die kommenden Präsidentschaftswahlen in Mexiko 2012 vorbereiten, lautet eine der Thesen von US-Experten. Doch selbst wenn solche Prognosen aus dem Dunstkreis der US-Geheimdienste mit Vorsicht zu genießen sind, ist klar: Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität in Mexiko geht langsam, aber sicher verloren, die Perspektiven für das Land sind düster.

Schon der Blick auf die Statistiken bekräftigt den Pessimismus. Seit Mexikos rechtskonservativer Präsident Felipe Calderón Ende 2006 einen groß angelegten "Krieg gegen die Drogen" ausrief (Ausweitung der Kampfzone), ist das Land in der Gewalt versunken. Über 40.000 Menschen haben in den teils bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen Armee und Drogenbanden sowie unter den Kartellen ihr Leben verloren. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht.

Kritiker der militärischen Strategie sehen einen Grund gerade in den strukturellen Verbindungen zwischen den "Sicherheitskräften" und den Drogenkartellen. Das Kartell Los Zetas ist das beste Beispiel dafür, denn die Mafia ist aus einer Eliteeinheit der mexikanischen Armee hervorgegangen. Die Grupo Aeromovil de Fuerzas Especiales (GAFE) wurde Mitte der 1990er Jahre gegründet, um den Drogenhandel entlang der US-mexikanischen Grenze einzudämmen. Anfang 2002 lief ein Teil der GAFE zu dem sogenannten Golf-Kartell über, um sich ihm als Sicherheitsdienst anzudienen. Seither sind die Zetas zu einer eigenständigen Drogenmafia mutiert, die – wie das US-amerikanische FBI nun eingesteht – über organisatorische Kontakte bis weit in die Vereinigten Staaten hinein verfügt.

Netzwerke und Stützpunkte auf beiden Seiten der Grenze

Glaubt man Einschätzungen von US-Experten, könnte das Zetas-Kartell nun sogar nach der politischen Macht in Mexiko greifen. Nach Ansicht von Phil Jordan, einem ehemaligen CIA-Mann und Direktor des Geheimdienstbüros der US-Antidrogenbehörde DEA, plant die Mafiaorganisation eine Offensive zu den 2012 bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im dem südlichen Nachbarstaat der USA. Jordan schilderte gegenüber der US-Tageszeitung El Paso Times, wie die Organisation im Umfeld von Dallas zunehmend Waffen kauft, um sie über mehrere Routen zu Depots auf beiden Seiten der Grenze zu bringen. Für gewöhnlich werden die Waffen über El Paso, Texas, und Columbus, New Mexico, in den mexikanischen Bundesstaat Chihuahua geschleust. Die Ironie an der Geschichte sei, so Jordan, dass die Mafiaorganisation mit dem Alliance Airport den gleichen Flughafen nutzt, von dem aus auch die DEA operiert. Nach den Berichten sei, so heißt es in der El Paso Times, nun auch das US-Militär auf die zunehmenden Aktivitäten der Drogenbanden aufmerksam geworden und hätten Ermittlungen aufgenommen.

Die Schwierigkeit besteht auch darin, dass die mexikanischen Kartelle in den USA innerhalb der Migrantengemeinde wirken und für die US-Ermittler kaum zu verfolgen sind. So werden Mexikaner, die im Heimatland bei den Banden in der Schuld stehen, in den USA zur Mitarbeit gezwungen, um den Drogenmarkt zu erschließen. Auf der anderen Seite verschaffen sich die Mafiaorganisationen ganz legal Waffen jenseits der Grenze. Über das DCS-Programm (direct commercial sales) des US-Außenministeriums wurden alleine im vergangenen Jahr Rüstungsmaterialien im Wert von 416,5 Millionen US-Dollar nach Mexiko exportiert. In den Jahren 2007 bis 2010 summiert sich der Wert dieser legalen Ausfuhren sogar auf 2,3 Milliarden US-Dollar. Nach Jordans Angaben haben die US-Behörden mindestens in einem Fall Kriegswaffen direkt an eine Tarnfirma der Drogenkartelle verkauft. Ähnliche Zahlen führt der jährlich in Genf erscheinende Rüstungsbericht Small Arms Survey auf.

Interner FBI-Bericht von 2008 bestätigt Gefahren

Vieles spricht dafür, dass die US-Behörden die Gefahr der organisierten Kriminalität aus Mexiko lange übersehen und das Wachstum der Drogenbanden damit passiv befördert haben. Nach einem internen Bericht des FBI haben die US-Polizeibehörden erst 2007 über Informanten von dem Ausbau der Mafianetzwerke in den USA erfahren. Das geht aus einem vierseitigen FBI-Bericht von Anfang Oktober 2008 hervor, der von dem Hackerkollektiv LulzSec veröffentlicht wurde. Demnach oblag der Aufbau der Netzwerke in den USA dem lokalen Mafiaboss Gaspar González Alvantar. Unter seiner Leitung seien die Geschäfte bis in die US-Bundesstaaten Tennessee, Georgia und Oklahoma ausgeweitet worden.

Um in den USA aktiv werden zu können und neue Märkte zu erschließen, seien die Zetas eine Allianz mit der bereits bestehenden Gruppierung Los Tolles eingegangen. Dies habe ihnen nach 2007 ermöglich, über den Landweg Lieferungen von bis zu 150 Kilo Kokain bis nach Atlanta zu bringen, heißt es in dem FBI-Dokument, das auch über familiäre Verbindungen zwischen beiden Gruppierungen berichtet.

Das FBI-Dokument belegt vor allem eines: Trotz des sogenannten Krieges gegen die Drogen wächst die Macht der Drogenkartelle in Mexiko weiterhin massiv an und wird in zunehmendem Maße zu einer Gefahr für gesamt Nordamerika. Auch in der Karibik zeigte sich die Regionalorganisation CARICOM zuletzt besorgt über die Zunahme des Waffenschmuggels. Dass der militärische Kampf gegen den Drogenhandel trotz des Scheiterns weiter aufrechterhalten wird, mag an den massiven Gewinnen für die US-Rüstungsindustrie liegen. Allein 1,3 Milliarden US-Dollar Militärhilfe für Mexiko hatte der Washingtoner Kongress schon 2008 im Rahmen der sogenannten Mérida-Initiative bewilligt. Die USA sind damit nicht nur der erste – legale und illegale – Waffenexporteur nach Mexiko. Sie sind auch der Hauptabnehmer für die Drogen. In gewisser Weise eine Win-win-Situation. Nur eben nicht für die Opfer.