Grellbunte Tristesse
Seite 2: Die Vergessenen Amerikas
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Die Motelbewohner sind diejenigen, die das liberale und das konservative Amerika gleichermaßen zurückgelassen hat. Sie sind arm, sie sind überwiegend weiß und sie haben keine berufliche oder existenzielle Perspektive, die über den Zeitraum einer einzigen Woche hinausblickt. Genau diese Menschen, die im aktuellen politischen Klima als White Trash und als Mitnährer des Rechtspopulismus herhalten müssen, werden von Baker weder instrumentalisiert noch ausgestellt.
"The Florida Project" ist kein mitleidiges Rührstück und noch weniger eine kapitalistische Erfolgsgeschichte über Unterprivilegierte, die sich den Weg an die Gesellschaft erarbeiten. Bakers Film entwickelt seine Kraft nicht aus dem Hinarbeiten auf eine erzählerische Pointe, sondern findet in der bloßen Beobachtung eine Welt, die sich schon lange niemand mehr mit einem empathischen Blick angeschaut hat.
Als Begleiter durch diese Welt dienen ihm die Kindern - also jene, deren Leben die Armut am härtesten treffen wird, auch wenn das Konzept selbst für sie noch nicht begreifbar ist. Ihr einziger Schutz in der armseligen Tristesse ist ein so pragmatischer wie gutherziger Willem Dafoe. Mal als schlichter Ansprech- und Spielpartner, mal als gutmütige Vaterfigur und dann wieder als strenger Sheriff, der die Miete eintreibt und auf dem Rückweg einen Pädophilen vom Motelgelände vertreibt.
Die Dynamik zwischen den chaotischen Abenteuern der Kinder und den hingebungsvollen Aufräumarbeiten des Hausverwalters verlässt gleichermaßen den Rahmen des klassischen Erzählkinos wie auch die gewohnten Schablonen der Darstellung eines Unterschichtenamerikas. "The Florida Project" tänzelt spielerisch um den Abgrund der Armut und folgt beharrlich denen, die den bunten Albtraum Tag für Tag in ein Paradies zu verwandeln versuchen.
Genau diesem Versuch ringt Baker dabei keine didaktische Sozialstudie ab, sondern inszeniert ihn als kindliche Erfahrung einer Realität des amerikanischen Abseits: ein regenbogenfarbenes Fegefeuer, das nur so lange zu ertragen ist, wie es noch einen solidarischen Hausverwalter gibt.