"Grenzüberschreitendes Abhören führt in gesetzliches Minenfeld"

Ausschussbericht des Europäischen Parlaments lehnt grenzüberschreitendes Abhören der Telekommunikation ab.

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Ein Ausschuss des Europäischen Parlaments äußerte schwerwiegende Kritik am Entwurf eines Rechtsakts über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Der Hauptpunkt der Kritik bezieht sich auf den umstrittenen Artikel 18. Dieser ermöglicht Mitgliedsstaaten das Abhören einer Person auf dem Territorium eines anderen Mitgliedsstaates ohne die Unterstützung des letzteren anzufordern. Wenn es nach Antonio Di Pietro vom Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten geht, soll Artikel 18 ersatzlos gestrichen werden.

Der Vorschlag Artikel 18 zu streichen, ist Bestandteil eines Berichts über den vorgeschlagenen Rechtsakt über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, über den das Europäische Parlament am kommenden Donnerstag abstimmen wird. Laut dem Berichterstatter Antonio Di Pietro (Italien, Gruppe der Europäischen Liberalen, Demokraten und Reformpartei) würde der umstrittene Artikel die EU in ein gesetzliches Minenfeld führen. Er ermöglicht das Abhören über Staatengrenzen hinweg, ohne dass Behörden in dem Land, in dem abgehört wird, informiert werden müssen - also direkte länderübergreifende Überwachung.

Die Mitgliedsstaaten sind über diesen Punkt geteilter Ansicht. Einige Mitglieder wollen die Möglichkeit haben, solche Ermittlungen mit zu verfolgen, so dass zuvor das Einholen einer offiziellen Erlaubnis nötig wäre. Andere Länder, insbesondere Großbritannien, sind gegen eine solche Erlaubnis. Großbritannien hat durch seine Teilnahme am weltweiten Abhörsystem Echelon bereits die Möglichkeit grenzübergreifenden Abhörens. Es möchte keine Einflussnahme anderer Mitgliedsstaaten, insbesondere da sich die Zuständigkeit der Geheimdienste in Großbritannien für nachrichtendienstliche Zwecke und Strafverfolgungsmaßnahmen überschneidet. (siehe TP-Bericht Europäisches Rechtshilfeübereinkommen vor baldigem Abschluss)

Großbritannien hat zugestimmt, andere Mitgliedsstaaten dann über Abhöärmaßnahmen zu unterrichten, wenn sie im Zuge einer strafrechtlichen Ermittlung erfolgen. Die genaue Definition einer solchen Ermittlung ist jedoch umstritten und Anlass für weitere Änderungsanträge, neben der Streichung von Artikel 18. In einer früheren Version des Berichts wurde dieser Umstand bereits bemängelt:

"Es besteht ein Definitionsmangel in Bezug auf die Straftaten, die durch dieses Übereinkommen abgedeckt werden. Das Ziel des Übereinkommens muss auf schwere organisierte Kriminalität beschränkt bleiben."

Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, was passiert, wenn ein Staat nicht reagiert, wenn er von einem anderen Staat über eine Ermittlung informiert wird. Einige Mitgliedsstaaten folgen dem Prinzip, dass Schweigen stillschweigende Zustimmung signalisiert. Andere sind genau der gegenteiligen Ansicht. Antonio Di Pietro möchte Artikel 18 am liebsten einfach gestrichen sehen.

"Es wird vorgeschlagen, dass dieser höchst umstrittene Artikel gestrichen wird, erstens weil er die der nationalen Sicherheit und Integrität dienenden geheimdienstlichen Aktivitäten behindern könnte, und zweitens weil er den Ermittlungsbehörden eines Mitgliedsstaates erlauben würden, Abhörmaßnahmen auf dem Boden eines anderen Mitgliedsstaates ohne dessen Zustimmung und Unterstützung durchzuführen".

An einer anderen Stelle im Bericht sagt Di Pietro: "Dieser Artikel führt uns in ein gesetzliches Minenfeld, wobei einige Mitgliedsstaaten völlig unabhängige Ermittlungen in anderen Mitgliedsstaaten ausführen möchten, im Interesse ihrer nationalen Sicherheit (und mittels des Einsatzes von Geheimagenten?), und sich dabei der zeitaufwendigen Aufgabe entledigen möchten, dafür die Zustimmung der gesetzlichen Autoritäten des anderen Landes einzuholen." Laut Di Pietro könnte das "zur Legalisierung der in einer Grauzone stattfindenden Aktivitäten der Geheimdienste" führen.

Andererseits würde Artikel 18 von den Mitgliedsstaaten verlangen, ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der "vorbeugenden Sicherheit" den gesetzlichen Behörden anderer Mitgliedsstaaten bekannt zu machen - doch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind per Definition nur zuständig, nachdem eine Straftat begangen wurde.

Aus all diesen Gründen ist Di Pietro der Ansicht, dass "die Zeit noch nicht reif ist, dieses Problemfeld zum Bestandteil der Gesetzgebung der Union zu machen". "Es handelt sich um eine sehr heikle Angelegenheit, die weiterer Überlegungen bedarf. Sorgfältige Abwägung aller möglichen Maßnahmen führt zu der Schlußfolgerung, dass die Verabschiedung von Gesetzen auf europäischer Ebene zu diesem Zeitpunkt kein weiser Schritt wäre", sagte Di Pietro. Die Meinung des Ausschusses des Europäischen Parlaments, dem Antonio di Pietro angehört, ist in dieser Angelegenheit allerdings nicht bindend.