Greta und Goethe

Feuer an der Grenze Bolivien-Brasilien am 25. August. Bld: Nasa

Oder: Tipps für die letzten lauen Sommerabende

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Während Greta nach New York segelt, vernichtet Brasilien den wichtigsten Wald des Planeten. Zwischendrin erschreckt uns die Botschaft, wir haben die 2019er-Ressourcen von Mutter Erde dieses Jahr schon Ende Juli aufgebraucht (Earth Overshoot). Zum Vergleich: 1987, also vor rund 30 Jahren, fiel der Earth Overshoot Day auf den 19. Dezember.

Im Wunderland Deutschland war es mit dem Ausverkauf schon am 3. Mai so weit. Das bedeutet: Würde die gesamte Weltbevölkerung auf dem Konsumniveau von Deutschland leben, bräuchten wir mindestens 3 Erden. Nur die USA, Australien und Russland treiben es noch heftiger. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten etwa legt einen Ressourcenhunger an den Tag, der 5 Erden bräuchte, würde man das Konsumniveau allen Erdbewohnern zubilligen.

Ist der Erdüberlastungstag erreicht, lebt die Menschheit den Rest des Jahres auf Pump. Wir verbrauchen dann weiter Brennstoffe oder Nahrungsmittel, die die Erde nicht mehr ersetzen kann, produzieren weiter Müll und erzeugen weiter Treibhausgase, die die Erde nicht verkraften kann.

"Bezahle, locke, presse bei!"

Hilft vielleicht ein Fleischrechner? Oder verdirbt er uns bloß die letzten lauen Sommerabende?

Dass Bolsonaros brennende Bäume was mit unsrem Fleischverzehr zu tun haben, hat sich inzwischen rumgesprochen. Aber wie warnte schon Goethe (ein deutscher Klassiker) in seinem Faust, II. Teil: Der erblindende titanische Mensch (der Mann der gewissenlosen Tat) kolonisiert das Land und meint die Signale des Fortschritts zu vernehmen, wo er in Wahrheit doch bereits die Grabgeräusche der Lemuren hört. Was wird denn grade ausgehoben? SEIN EIGENES GRAB!

FAUST.
Wie es auch möglich sei,
Arbeiter schaffe Meng auf Menge!
Ermuntere durch Genuß und Strenge!
Bezahle, locke, presse bei! Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,
Wie sich verlängt der unternommene Graben.
MEPHISTOPHELES halblaut.
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.

FAUST II, Mitternacht

Wir lernen aus den Lehren nichts. Unseren Vätern wurde erzählt, zum Fortschritt gehöre es, sich die Erde untertan zu machen. Nutzloser Boden (Urwald zum Beispiel) kann kapitalisiert werden. Nutzlose Mieter (ein Beispiel aus den bewohnten Zonen) lassen sich durch nützliche ersetzen.

An die gerätegebundene Industrialisierung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen haben wir uns schon derart gewöhnt, dass wir lauthals protestieren, wenn wir gerade irgendwo im Funkloch stecken. Die schrittweise Industrialisierung des Fußgängers, der die Städte bevölkert, nimmt gerade ihren Anfang, so dass früher ganz normale Menschen jetzt als glückliche Kunden elektrobetriebener Geh-Ersatzmaschinen über Bürgersteige, Straßen, Plätze und Standstreifen abzischen. Gehen allein ist nicht genug! So lautet die Botschaft unter der Hand.

Besser ist es, das Gehen zu kapitalisieren, es zur Ware umzufunktionieren. Benutze ein Gerät und bezahle dafür! Denk dabei in erster Linie an dich! Die Rückständigen und Spaßbremsen sollen sich gefälligst nicht so anstellen. Sie hören nicht den Ruf nach Verbesserung (gelegentlich spüren sie ihre Rückständigkeit, wen ihnen jemand vor die Birne kracht).

Schrecknisse und Tröstungen

Wird Greta die Welt retten oder werden Goethes Lemuren triumphieren?

Der deutsche Sommer (sagen wir mal so) geht zu Ende. September of our year. Die Grillzange hatte vielleicht schon mal Pause, unfreiwillig, dank Sturzregen, 40 Grad im Schatten oder dank Unlust angesichts anderer Vorboten am Horizont einer stressgeplagten Erde? Na, kaum. Die Abendnachrichten zeigen derweil Rauchschwaden, fotografiert und teleportiert aus dem Erkundungsflugzeug über den sterbenden Regenwäldern. Wir erhalten die Schrecknisse aus dem Weltphantom direkt auf die Terrasse und auf die Couch (natürlich auf's Smartphone) geliefert.

Letzte Nachricht: Lichtgestalt Greta ist in Manhattan angekommen! Und dann sind da noch kluge Leute in Staatsuniform, die trösten uns. Wir benutzen in Zukunft mehr Papiertüten, schimpfen gehörig auf die Kohle, fahren den SUV wirklich nur, wenn's nötig ist und fliegen ab sofort auch weniger. In den Braunkohletagebauen werden Bundesbehörden angesiedelt. Unser Leben wird batteriebetrieben.

Wenn das alles nicht reicht, verzichten wir auch noch auf's spätsommerliche Grillen. Das rettet (vielleicht) die brasilianischen Wälder. Zumindest hilft es unsrem Bauchumfang (nebenbei ein Beitrag, den CO2-Ausstoß zu verringern).

Mehr geht echt nicht.

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