Grexit wird erneut verschoben
Die EZB gibt wieder Geld, das Parlament kauft keine Siemenstelefone, Obdachlosigkeit in Athen steigt massiv an
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erklärte in Brüssel in gewohnt jovialer Form, "die Kuh muss vom Eis aber sie rutscht immer wieder aus". Damit beschreibt der stets gutgelaunt auftretende Luxemburger die griechische Krise in durchaus treffender Weise aus Sicht der EU. Die Frage, die sich Juncker nicht stellt ist, was für das Land jenseits des Eises existiert.
Während des gemeinsamen EU-Gipfels der europäischen und der südamerikanischen Staaten in Brüssel war für die Spanisch und Portugiesisch sprechenden Journalisten in Brüssel der Fokus auf ihr Anliegen, die Anbindung Europas an die ehemaligen Kolonien in Übersee, das Hauptthema.
Italienische Journalisten belagerten hingegen ihre Vertreterin, Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU und den griechischen Flüchtlings- und Immigrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Letzterer vertrat sogar den Kommissionschef Jean-Claude Juncker beim gemeinsamen Familienfoto der Konferenzteilnehmer.
Juncker spielte derweil den Vermittler zwischen dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras, der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande. Es gab in Brüssel sogar noch einen weiteren Nebenschauplatz. Die Kommission versuchte erfolglos zwischen den zerstrittenen Parteien der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien zu vermitteln.
Eine vorläufige Einigung ist in Sicht
Aus Brüsseler Sicht werden die Gespräche mit Griechenland erfolgreich sein. Abgesehen von den allseits zur medialen und politischen Dramatisierung der Lage verbreiteten Misstönen, ist eine vorläufige Einigung in Sicht. Die Entscheidung um eine Lösung des eventuell nicht nur griechischen Problems rund um den Euro wird damit erneut aufgeschoben.
Wie bereits am Mittwochnachmittag in den Fluren der Brüsseler EU-Ratsgebäude diskutiert wurde, wird Griechenland eine neunmonatige Verlängerung des zweiten Rettungspakets beantragen. Der Antrag beinhaltet von griechischer Seite aus Steuererhöhungen, soziale Einschnitte und Privatisierungen. Alles, wie gehabt also.
Zusätzlich werden Gelder des Bankenrettungsfonds umgewidmet, so dass das gesamte Procedere offiziell ohne eine neue Kreditvergabe seitens der Kreditgeber zu einem Ende geführt werden kann. Tatsächlich jedoch gab es schon wieder neues Geld. Die EZB erhöhte die Kreditlinie des ELA-Fonds für die darbenden griechischen Banken um 2,3 Milliarden Euro auf nunmehr 83 Milliarden Euro. In den vergangenen Wochen hatte die EZB den griechischen Banken buchstäblich die Liquidität abgedreht und keine Gelder genehmigt. Für die Athener Börse bedeutete dies einen Grund zum Jubel. Der Aktienindex stieg um knapp acht Prozent.
Alles eitel Sonnenschein? Kuriose Nebenschauplätze
Tatsächlich spielen sich die wahren Dramen abseits des von Juncker beschriebenen Eises ab. Zu den kleineren Geschichten gehört, dass Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou verhinderte, dass das Parlament von der Firma Siemens etwas mehr als ein Dutzend Telefone bestellt. Die resolute Präsidentin trägt der deutschen Elektronikfirma nach, dass diese die früheren Politikeliten korrumpierte. In die Abteilung kuriose Meldungen passt zunächst das folgende Bonmot über Konstantopoulou.
Weil die resolute Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou die Einsatzpolizei vor dem Parlament mehrfach recht rabiat angegangen ist, da die Uniformierten ihrerseits im wahrsten Sinn des Wortes mit Staatsgewalt Demonstranten abhielten, und weil die studierte und aktive Rechtsanwältin einen Offizier der Polizei mit barschen Worten persönlich vor dem Parlament vor laufenden Kameras zurechtstutze und zusätzlich verfügte, dass die uniformierten Einsatzpolizisten weder auf dem Vorplatz des Parlaments, noch auf die Toilette des Parlamentsgebäude dürfen, reagierte die Polizei ihrerseits. "Wir werden das Parlament nicht mehr bewachen", verkündete Grigoris Gerakorakos, Sprecher der Polizeigewerkschaft, vor dem Parlament in die Kameras des Senders Mega TV am Montagmorgen. Am Dienstagabend standen die Einsatzpolizisten jedoch wieder zur Bewachung vor dem Parlament.
Eigentlich sind auch nicht die Beamten im Visier der Parlamentspräsidentin. Konstantopoulous Groll richtet sich vielmehr gegen den Bürgerschutzminister Giannis Panoussis. Der ehemalige Vertreter der untergehenden Partei Demokratische Linke ist den Linken im SYRIZA ein Dorn im Auge. Panoussis hingegen beugt sich nicht. Im Parlament schlug er am Donnerstag vor, dass auch die Politiker zwangsweise von Psychiatern untersucht werden müssten. "Damit wir kein grenzenloses Irrenhaus werden", begründete er seine Idee.
Beobachtern ist durchaus klar, welcher Politikerin er den Besuch beim Seelendoktor ans Herz legen wollte. Konstantopoulou hingegen sieht sich als Opfer einer Kampagne. Sie führt dies daraus zurück, dass sie gegen Deutschland wegen der Kriegsschulden und gegen die Kreditgeber mit resoluten Handlungen und Untersuchungsausschüssen vorgehen würde.
Zu den Kuriosa der Woche gehört ebenfalls die Strafanzeige gegen den Sender MegaTV. Bei einer Routinekontrolle war aufgefallen, dass der Stromzähler des Senders zu Ungunsten des halbstaatlichen Energiemonopolisten DEI manipuliert worden war.
In die gleiche Kategorie passt, dass die großen Privatsender des Landes sich der "Gezahlt wird nicht"-Bewegung im Land anschließen. Um keine teueren Sendelizenzen zu erwerben, möchten sie sich überhaupt nicht darum bewerben. Alexis Tsipras wollte die Sender mit einer Ausschreibung für Lizenzen erstmals zur Kasse bitten. Die Betreiber hingegen drohen: "Soll man es doch wagen, uns zu schließen und damit Tausende zu Arbeitslosen zu machen."
Die ursprünglichen Vertreter der Zahlungsverweigerungsbewegung, also diejenigen, die sich weigerten, die überhöhten Mautgebühren ausgerechnet an die nun zahlungsunwilligen Multiunternehmer, welche die TV-Sender betreiben, zu zahlen, stehen indes als gemeine Zechpreller vor Gericht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die unabhängige Justiz nimmt den Sparkurs ins Visier
Die europäische Justiz befand hingegen, dass der erzwungene, nominell freiwillige Haircut der griechischen Staatspapiere von 2012 nicht ganz legal war. Zumindest die deutschen Anleger können nun ihre Verluste einklagen, befand der europäische Gerichtshof.
In Griechenland urteilte dagegen das oberste zuständige Gericht, der Staatsrat, dass die von der Troika verordneten Rentenkürzungen nicht gesetzes- und verfassungskonform sind. Auch hier muss der Staat nun zahlen. Und die ernste Seite des Lebens
Der durch die zum großen Teil in ihrer Auswirkung katastrophalen Sparmaßnahmen entkräftete Staat kann seine Bevölkerung nicht mehr vor Armut und Hunger bewahren. Allein in Athen leben 17.700 so genannte "homeless People" vollkommen obdachlos auf der Straße. Bis zu 500.000 Menschen der Millionenstadt hausen dagegen in Autos und in ähnlich unpassenden Unterkünften, antwortete die Vizeministerin Theano Fotiou am Donnerstag im Parlament auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage des Parlamentsvizepräsidenten Spyros Lykoudis.
Ebenso dramatisch, zudem mit einer Auswirkung auf alle Bewohner des attischen Großraums, ist das Versagen des Staates in der Katastrophenbekämpfung. Seit sechs Tagen brennt in Aspropyrgos bei Athen eine Recyclingfabrik. Offenbar wurde das pleite gegangene Unternehmen von Brandstiftern angezündet. Diese wollten mit ihrer Tat die Metallrückstände im Abfall vom Rest trennen. Als Konsequenz ist im gesamten attischen Raum ein strenger Gestank verbrennenden Plastiks riechbar.
Wissenschaftlich beurteilt bedeutet dies, dass die Athener und die Bewohner der Umgebung zehnfach erhöhte Dioxin- und sonstige Giftwerte einatmen müssen. Die Feuerwehr verfügt weder über Mittel noch über Ausrüstung, um den Brand zu löschen. Das Feuer wird noch einige Tage brennen.
Demnach sollte analog zur Vision Jean-Claude Junckers deutlich sein, dass die Kuh, wenn sie denn auf die bisher konzipierte Weise vom Eis ist, schlicht ins Eiswasser stürzen wird.