Grimmige Gewalt, kranker Horror und unfassbare Grafik

Die Hardliner von id lassen nach sieben Jahren mit "Rage" ein wahres Monster auf die Spielergemeinde los

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Diese Texaner haben die Entwicklung der First Person Shooter geprägt wie keine andere Firma. Seit der Erfindung des Genres im Jahr 1992 mit "Wolfenstein" wurde stetig an der hauseigenen Grafikengine gearbeitet und jede neue Version mit einem von der eigenen Mannschaft programmierten Spiel der Öffentlichkeit vorgestellt. "Doom", "Quake", "Quake 2" und "Doom 3" können jeweils als Vorreiter einer neuen Generation von Computer- und Konsolenspielen betrachtet werden.

Seit jeher wurden die Spiele der Innovatoren von id aber auch für ihr spezielles Design gelobt. Ganz offensichtlich sehen die Spieldesigner um John Carmack ihren ureigensten Auftrag darin, möglichst gräßliche Höllenvisionen zu realisieren, durch die sich der Spieler kämpft, wenn er nicht gerade durch einen der berüchtigten Schockeffekte vom Stuhl gekippt ist, die id mit filmreifer Präzsion auf ihn niederfahren lässt.

Die von den Games erzählten Geschichten blieben allerdings stets rudimentär - in aller Regel wurde eine Marskolonie von Außerirdischen ("Quake") oder Höllenwesen ("Doom") ausradiert, der Spieler ist der letzte, der das monströse Geschmeiss noch besiegen kann. Welcher Mittel er sich dabei ausschließlich befleissigt, liegt auf der Hand.

Seit der Veröffentlichung des beinahe jeden der damals vorhandenen Rechner an oder über die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit führenden Horrorspektakels "Doom 3" war es sehr ruhig um id geworden. Die hauseigenen Marken wurden von Firmen wie Raven, Splash Damage oder Grey Matter weitergeführt, die durch die Bank attraktive Spiele produzierten, die sich mit Ausnahme von "Return To Castle Wolfenstein" jedoch nicht mit den Titeln messen konnten, die vom Team um John Carmack selbst produziert wurden.

Nun, nach immerhin siebenjähriger Pause, ist endlich das lange erwartete neue Spiel erschienen, das nicht nur auf einer neuen Version der "id Tech"-Engine beruht, sondern zum ersten Mal seit dem 1996 erschienenen "Quake" eine neue Serie begründet: "Rage".

Nach einem typischen Intro - die Erde wird von einem Meteoriteneinschlag verwüstet - findet sich der Spieler in einem an die "Mad Max"-Filme, aber auch an "Fist Of The North Star" erinnernden Szenario wieder.

Hat man sich nach wenigen Minuten aus seinem gestrandeten Raumschiff gekämpft, steht man fassungslos inmitten der unglaublichsten Grafik, die die aktuelle Konsolengeneration je gesehen hat. "Der Himmel sieht beinahe besser aus als der echte", denkt sich der verblüffte, noch unbewaffnete Spieler noch, kurz bevor der erste id-Patentschock für einen ersten Adrenalinstoß sorgt.

Gottlob eilt ein nicht mutierter Bewohner der Wüstenei zu Hilfe, der unseren Avatar in eine kleine menschliche Enklave mitnimmt. Für diese Gemeinde gilt es erste Aufträge auszuführen, die mit Ausrüstung und Bewaffnung vergütet werden. Diese erste halbe Stunde wurde unmerklich als eine schlaue Form des Tutorials angelegt, die mit der Bedienung von Waffen und Fahrzeugen vertraut macht, ohne den Spieler gleich in die Arme von besonders grauenvollen Gegnern zu treiben.

In dieser Phase wirkt das Spiel eher durch die revolutionär detailfreudig ausgearbeitete und sehr offene Spielwelt als durch die unbarmherzige Härte, welche die Titel der Firma sonst kennzeichnet. Keine blutrünstigen Gore-Effekte, die besiegten Gegner lösen sich nach ihrem Tod auf. Das führte dazu, dass hier und dort zu hören oder lesen ist, dass Carmack & Co. Kreide gefressen hätten, um ihr Produkt besser vermarkten zu können.

Das sagt jedoch weder etwas über id noch über ihr aktuelles Spiel aus, sondern zeigt nur an, wie viel Zeit solche Kritiker investiert haben, um sich eine Meinung zu bilden - über die Tutorial-Level können sie nicht hinausgekommen sein. Im weiteren Verlauf gerät "Rage" nämlich zu einem absolut blutrünstigen Schocker, verlässt sich dabei jedoch keineswegs auf exzessive Gewaltdarstellung.

Die Sandbox-Struktur des Spiels ist nicht nur vorhanden, weil es gerade so schick ist - vielmehr wurde sie von den Designern als hervorragende Alternative zum bis "Doom 3" absolut linearen Leveldesign erkannt und ausgestaltet. Die Spielwelt ist von diversen Städten und Städtchen geprägt, manche von mehr oder weniger freundlich gesonnenen Menschen, andere von üblen Mutanten bewohnt.

Jede der Ansiedlungen - die der "Guten" wie die der "Bösen" - wurde als Gelegenheit genutzt, dem in den früheren Spielen gelegentlich etwas eintönigen Dauergemetzel einen großen Variantenreichtum entgegenzusetzen. So bietet die "Stadt der Toten" eine völlig andere Atmosphäre als etwa die Garage der "Wasted" oder das zauberhafte Steampunk-Städtchen Wellspring. Die atmosphärische Klammer bildet dabei das id-typische Design, das zu dieser apokalyptischen Welt hervorragend passt.

Eine weitere Stärke von "Rage" : Das erstklassig umgesetztes Endzeit-Autorennspiel, das dem Spieler nach Erreichen von Wellspring stets zur Verfügung steht. "Mutant Bash TV" ist dagegen ein Ego Shooter im Ego Shooter. Der Spieler fungiert dabei als Kandidat einer bizarren Snuff-TV-Show mit krankhafter Rummelplatzoptik.

Neben diversen Minigames sind es die Rollenspielelemente, die eine weitere Auflockerung des FPS-Grundmusters darstellen: Rüstung und Waffen werden aufgelevelt, aus gefundenen oder bei diversen Händlern gekauften Gegenständen können neue Waffen, Verbandsmaterial und dergleichen hergestellt werden.

Auch die "Bevölkerung" dieser Welt wurde hervorragend umgesetzt, die Animationen von Freund und Feind sind überragend. Die KI der Gegner überzeugt. Diese weichen nicht nur aus oder ziehen sich vor einer neuen Attacke kurz zurück, sondern verhalten sich auch beim zweiten Versuch anders als beim ersten.

Für altgediente FPS-Kämpfer ist es nicht einfach, ein neues Spiel dieser Firma halbwegs objektiv zu bewerten. Egal. Das hier gebotene Erlebnis spricht für sich selbst. Wer bereits von den früheren id-Titeln begeistert war, wird "Rage" lieben, wenn er sich nicht auf absolute Linearität versteift. Dasselbe gilt für den Fan von Open World-Games wie "Just Cause 2" oder "Borderland" - falls er mit der grimmigen Gewalttätigkeit und dem kranken Horror zurechtkommt, den auch dieses Werk der sagenumwobenen Spieleschmiede kennzeichnet.

Grimmige Gewalt, kranker Horror und unfassbare Grafik (12 Bilder)

Viele Besitzer von PC’s, aber auch der technisch prinzipiell sehr mächtigen PS3, beklagen die Schwierigkeiten, die ihre Systeme mit der Darstellung der aufwendigen, sich nie wiederholenden Texturen haben. Den Computerspielern wurde bereits per Patch geholfen, während die Sony-Jünger mit einem kurzen Flackern leben müssen, das gelegentlich auftritt, wenn eine Textur mit minimaler Verzögerung nachlädt. Auf der Xbox 360, Entwicklungsplatform auch für diesen Titel, ist "Rage" schlicht unschlagbar. Mit dem entsprechenden TV-Gerät ausgestattet könnte man angesichts der Grafikpracht beinahe glauben, man hätte bereits die nächste Konsolengeneration zu Hause stehen.

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