Grippeschutzimpfung: Bessere Prognose nach Herzinfarkt und Schlaganfall?

Die Influenzaimpfung ist eine weitere wichtige Maßnahme zur kardiovaskulären Prävention

Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass die Grippe (Influenza) ein Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfall ist. Diese virale Infektionskrankheit der Atemwege kann zu Entzündungen in den Blutgefäßen führen, was bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren Herzinfarkte und Schlaganfälle begünstigen kann.

Durch eine Grippeschutzimpfung könne das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall als Folge einer Influenza signifikant gesenkt werden, sagt das Robert-Koch-Institut in einer aktuellen Information über die Influenza-Impfung. Was ist davon zu halten?

Grippeschutzimpfung vermindert Sterblichkeit nach Herzinfarkt

Die pharmaunabhängige wissenschaftliche Zeitschrift Der Arzneimittelbrief hat in ihrer Oktoberausgabe neue Daten veröffentlicht, nach denen die Influenza-Impfung die Prognose nach Myokardinfarkt verbessern kann.1

Der Artikel gründet sich auf die aktuell publizierte plazebokontrollierte, randomisierte Influenza-Vaccination-after-Myocardial-Infarction-(IAMI)-Studie2, die auf Initiative einer schwedischen Forschergruppe prognostische Effekte einer Influenza-Impfung nach Myokardinfarkt untersuchte.

Schon seit Längerem gibt es Hinweise aus Registern, Fall-Kontroll-Studien und kleinen randomisierten kontrollierten Studien, dass sich eine Influenza-Impfung positiv auf künftige Ereignisse kardiovaskulärer Erkrankungen auswirkt.

Ein Cochrane-Review3 kam 2015 zu dem Schluss, dass eine Influenza-Impfung möglicherweise kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität senkt, aber Verzerrungen und inkonsistente Ergebnisse dieser Studien würden eine Bestätigung durch weitere Untersuchungen erforderlich machen.

Auch nach den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Metaanalyse4 von randomisierten Studien und Beobachtungsstudien mit fast 240.000 Patienten gehe die Influenza-Impfung mit einer signifikanten Reduktion von Gesamt- und kardiovaskulärer Mortalität einher, nicht jedoch von Myokardinfarkten innerhalb einer Nachbeobachtungszeit von 19,5 Monaten.

Methodik: In die IAMI-Studie5 wurden überwiegend Patienten mit akutem Koronarsyndrom innerhalb von 72 Stunden nach einer Herzkatheteruntersuchung eingeschlossen. Die Randomisierung erfolgte eins zu eins für eine Impfung mit einer jeweils empfohlenen Influenza-Vakzine versus Placebo (physiologische Kochsalzlösung).

Primärer Endpunkt der Untersuchung war eine Kombination aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt oder Stent-Thrombose nach zwölf Monaten. Die Nachkontrollen erfolgten mittels Telefoninterviews.

Ergebnisse: Der Einschluss von Patienten wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie frühzeitig abgebrochen, sodass die als statistisch aussagekräftig vorausberechnete Zahl von ca. 4.400 Patienten nicht erreicht wurde. Von Oktober 2016 bis März 2020 wurden während der jeweiligen Grippesaison von 30 Zentren in acht Ländern (Schweden, Dänemark, Norwegen, Lettland, Vereinigtes Königreich, Tschechische Republik, Bangladesch, Australien) 2.571 Patienten eingeschlossen.

Darunter waren 54,5 Prozent der Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt, 45,2 Prozent mit einem Nicht-Hebungsinfarkt und 0,3 Prozent mit einer stabilen Koronaren Herzkrankheit (KHK) mit hohem Risiko für kardiale Ereignisse.

Nach Randomisierung erhielten 1.290 Patienten die Influenza-Impfung und 1.281 Placebo. Während der Nachbeobachtungszeit von zwölf Monaten trat der primäre Endpunkt in der Verumgruppe (mit Grippeschutzimpfung) signifikant seltener ein als in der Kontrollgruppe (5,3 Prozent versus 7,2 Prozent; Hazard Ratio = HR: 0,72).

Auch die Gesamtmortalität (2,9 Prozent versus 4,9 Prozent; HR: 0,59) und kardiovaskuläre Mortalität (2,7 Prozent versus 4,5 Prozent; HR: 0,59) waren in der Gruppe, die die Influenza-Vakzine erhalten hatte, signifikant niedriger, nicht jedoch die Myokardinfarktrate (2,0 Prozent versus 2,4 Prozent; HR: 0,86). Nebenwirkungen traten lediglich in Form lokaler Reaktionen in der Verumgruppe signifikant häufiger auf.

Die Autoren ergänzten ihre Studienergebnisse mit Daten aus drei ähnlichen, jedoch deutlich kleineren, randomisierten, kontrollierten Studien und führten eine "explorative" Metaanalyse durch. Aus diesen gepoolten Daten ergab sich eine hochsignifikante Reduktion der kardiovaskulären Mortalität durch die Influenza-Impfung (HR: 0,51).

Interessanterweise war der positive Effekt der Influenza-Impfung auf kardiovaskuläre Ereignisse in der IAMI-Studie besonders ausgeprägt in Saison 2017/2018 und 2019/2020, in denen auch die Effektivität der verfügbaren Vakzine gegen die jeweiligen Virenstämme besonders hoch war, während er der Saison 2016/2017 und 2018/2019 weniger deutlich war.

Diskussion: Die Ergebnisse der IAMI-Studie als bisher größte randomisierte kontrollierte Studie zu dieser Frage decken sich mit den Daten bisheriger (kleinerer) Studien und Register.

Zwei mögliche Wirkmechanismen werden im Arzneimittelbrief diskutiert: Im Rahmen von Influenza-Erkrankungen ist erstens die Inzidenz akuter kardiovaskulärer Ereignisse erhöht. Dies ist seit Langem bekannt und wurde bereits in der Grippe-Pandemie der Jahre 1918 bis 1920 beobachtet. Die Verhinderung bzw. Abschwächung einer Influenza könnte somit zu weniger kardiovaskulären Akuterkrankungen führen.

Und zweitens hat die Influenza-Impfung möglicherweise einen direkten antiinflammatorischen und damit stabilisierenden Effekt auf atherosklerotische Plaques.

Auf die Frage, weshalb die Häufigkeit von Myokardinfarkten - so wie auch in der oben besprochenen Metaanalyse6 - nicht signifikant positiv beeinflusst wird, gebe es bisher keine Antworten, sagen die Autoren des Arzneimittelbriefs.

Auch ist infolge des pandemiebedingten vorzeitigen Abbruchs der IAMI-Studie die statistische Aussagekraft eingeschränkt. Somit könne die Frage, ob alle Patienten nach akuten Koronarsyndromen gegen Influenza geimpft werden sollten, noch nicht endgültig beantwortet werden. Die Autoren der Metaanalyse schlussfolgern jedoch, dass eine Influenza-Impfung nach Myokardinfarkt als Teil der Behandlung im Krankenhaus erwogen werden sollte.

Fazit:

Die bislang größte randomisierte, plazebokontrollierte Studie bestätigt Ergebnisse früherer Untersuchungen, dass eine Influenzaimpfung nach akutem Koronarsyndrom weitere kardiovaskuläre Ereignisse vermindern kann: Bei Patienten nach Myokardinfarkt reduzierte diese Impfung signifikant die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität. Die Influenzaimpfung sollte daher dieser Patientengruppe besonders angeraten werden.

Die Autoren des Arzneimittebriefs