Grönland auf dem Weg in die Unabhängigkeit
Drei Viertel stimmen für mehr Selbstverwaltung. Die nun verabschiedete Regelung wird auch als Ermutigung für andere von Eskimos besiedelte Regionen gewertet
Nach dem gestern bekannt gemachten Auszählungsergebnis wurde das Regelwerk, auf das sich eine dänisch-grönländische Regierungskommission nach dreieinhalbjährigen Verhandlungen verständigt hatte, mit einer Mehrheit von knapp 76 Prozent angenommen. Nun muss der Entwurf noch von den beiden Parlamenten abgesegnet werden, was allerdings als sicher gilt. Dem grönländischen Premierminister Hans Enoksen zufolge soll der daraus resultierende neue Status seiner Heimat aber nur eine Zwischenlösung sein. Er strebt innerhalb der nächsten 12 Jahre ein Referendum über die vollständige Unabhängigkeit von Dänemark an.
Nachdem sich eine mittelalterliche Wikingersiedlung nicht dauerhaft halten konnte, hatte Dänemark die Arktisinsel seit 1721 über Stützpunkte kolonisiert. 1950 wurde das dänische Handelsmonopol aufgehoben, drei Jahre später auch der Status einer Kolonie, danach galt Grönland als gleichberechtigte Provinz. In den 1960er Jahren formierte sich unter den Eskimos eine Nationalbewegung, die in dem Jahrzehnt darauf stark an Bedeutung gewann. Eine wichtige wirtschaftliche Grundlage dieser Entwicklung war der 1973 erfolgte Beitritt Dänemarks zur Europäischen Gemeinschaft, der eine Überfischung der heimischen Gewässer durch Fangflotten anderer Nationen mit sich brachte. Nachdem der Insel 1979 Autonomie gewährt wurde, entschied sich drei Jahre darauf eine Mehrheit der Grönländer für einen Austritt aus der EG.
Die nun angenommene Selbstverwaltungsordnung, die auf der Autonomieregelung von 1979 aufbaut, belässt lediglich die Zuständigkeiten für Währungs-, Sicherheits- und Teile der Außenpolitik in dänischen Händen. Für Wirtschaft und Justiz sollen dagegen zukünftig die Selbstverwaltungsorgane allein zuständig sein. Die Position des Kalaallisut, bisher schon Amtssprache, wird durch die neue Regelung deutlich gestärkt. Die verschriftlichte Eskimomundart ist zwar nur eine von drei auf der Insel gesprochenen, allerdings bilden die Dialekte ein Kontinuum, dessen einzelne Elemente sich verhältnismäßig ähnlich sind.
Die Regierungskoalition aus der sozialdemokratischen Siumut, der linksnationalistischen Inuit Ataqatigiit und der liberalen Atassut war für das Abkommen. Nur die konservative Demokratische Partei, die viertgrößte der Insel, hatte für ein "Nein" geworben. Ihre Vertreter bemängelten ein Missverhältnis von Volkseinkommen und Verwaltungsausgaben und mutmaßten, dass die Erwartungen an Ressourcen möglicherweise überschätzt würden, weshalb sich die neuen Regeln zur Aufteilung der Einnahmen aus Bodenschätzen und zu den beträchtlichen dänischen Subvention als schlechter herausstellen könnten als die aktuell geltenden.
Die Rede vom Klimawandel beflügelte die Vorstellungen zukünftiger wirtschaftlicher Möglichkeiten: Derzeit macht die Fischereiindustrie etwa 90 Prozent der Exporte aus. Für die Zukunft rechnen die Grönländer mit stark steigenden Einnahmen aus Tourismus, Bodenschätzen und der Energieerzeugung. Das schmelzende Eis soll auf dem Festland und dem Meeresgrund den Zugang zu wertvollen Metallen und Energierohstoffen gewähren. Die Gletscherschmelze selbst soll für Wasserkraftwerke genutzt, der damit produzierte Strom zur Aluminiumherstellung verwendet oder über noch zu legende Seekabel in andere Länder exportiert werden. Ob diese Rechnungen aufgehen, ist allerdings nicht sicher: Die kanadische Crew Gold Corporation schloss in diesem Monat eine grönländische Goldmine, weil sich deren Betrieb nur bei einem sehr hohen Weltmarktpreis lohnt. Andererseits stieg die Produktivität auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen der Arktisinsel in den letzten zehn Jahren ohne weiteres Zutun um beachtliche 50 Prozent.
Innerhalb der Regierungskoalition war man dagegen vor allem mit den außenpolitischen Zuständigkeiten unzufrieden, die sich Dänemark vorbehielt. In diesem Zusammenhang spielte unter anderem die Ausübung von Druck auf die USA (die in den 1950er Jahren eine Atombombe im Land "verloren") und die Beziehungen zu anderen Eskimo-Regionen eine Rolle. Insgesamt gibt es – je nach Zählweise – zwischen 90.000 und 160.000 "Inuit", "Yupik" und "Iñupiat" in den Gebieten rund um die Arktis. Die nun verabschiedete Regelung wird auch als Ermutigung für andere von Eskimos besiedelte Regionen gewertet, selbst nach mehr Unabhängigkeit zu streben.
Die wichtigste davon ist Nunavut, ein 1999 geschaffenes autonomes Territorium im Norden Kanadas. Die etwa 31.000 Einwohner dieser Region sind zu 85 Prozent Eskimos. Als Amtssprachen gelten dort neben Englisch und Französisch auch die Eskimodialekte Inuktitut und Inuinnaqtun. Weniger selbständig ist das zur Provinz Québec gehörende Nunavik im Norden der Labrador-Halbinsel, dessen 11.000 Einwohner zu 90 Prozent Eskimos sind. Seit Ende der 1970er Jahre haben sie zwar eine "Kativik" genannte Regionalregierung, streben aber weitgehendere Autonomierechte an, unter anderem hinsichtlich der Ausbeutung von Bodenschätzen.
In Alaska gibt es seit 1973 den teilautonomen North Slope Borough, der aus Protesten und Prozessen gegen eine mangelnde Beteiligung der dort lebenden Jäger und Fischer an den Einnahmen aus der Ölförderung entstand. Auch in den zwei südlich davon gelegenen Bezirken Northwest Arctic und Nome stellen Eskimos eine Mehrheit. In Russland leben die gut 1.500 Yupik im Autonomen Okrug der Tschuktschen, einem paläosibirischen Rentierzüchtervolk.