Größenwahn im Leistungssport
Florentino Perez, Real Madrid und die Grenzen der unternehmerischen Macht im Fußball
Maradona hat eine eigene TV-Show in Argentinien. Pelé arbeitet als Brasiliens Sportminister. Aber machen sie diese Jobs zu Managern der Tat im Fußball? Die wahrhaft Mächtigen kaufen locker mal einen Fußballklub für 1,2 Milliarden Euro, verwandeln Stadien in Freizeitkomplexe von morgen oder inszenieren sich selbst als Werbe-Popstar, Business-Multi und Moralapostel zugleich. Sie haben klangvolle Namen wie Franz Beckenbauer, Malcom Glazer oder José Mourinho. Letzterer ist zwar „nur“ ein Coach, benimmt sich aber wie ein beinharter Geschäftsmann. Mit dem Untergang des Florentino Perez als Präsident von Real Madrid wird in der unendlichen Erfolgsgeschichte der großen Männer im Fußball nun ein längst fälliges Kapitel geschrieben, das von den Grenzen der Macht erzählt.
Als Florentino Perez am 27. Februar seinen Rücktritt erklärte, war die Überraschung groß. Im Grunde sind die Schockwellen, die sein Schritt nach sich zog bis heute nicht verklungen. Der Resonanzkörper Massenmedien schwingt noch nach: Sein Gesicht auf den Titelblättern aller spanischer Printmedien, Interviews mit den Spielern seines Caders, zu denen so prominente Vertreter ihres Sports zählen wie die mehrfachen Weltfußballer Zidane und Ronlado, aber auch der neben Tiger Woods und Michael Jordan wohl höchst dotierte Sportstar der Welt: David Beckham. Mehrfache TV-Auftritte ergänzen das Medienecho. Das grandiose Scheitern eines der mächtigsten spanischen Unternehmer ist auf diese Weise zu einem medialen Trauerritual geworden, das mit dem stolzen Resultat einer zähen Marketinganstrengung vergleichbar ist – der Rücktritt des großen Mannes als galaktisches Spektakel.
Eine bessere Resonanz hätte der Abgang von Perez nicht bekommen können. Einen unliebsameren Schritt hätte er nicht machen können. Denn einen Rücktritt hat er während seiner sechsjährigen Präsidentschaft wohl zu keinem Zeitpunkt vor Augen gehabt. Er wollte Großes erreichen. Real Madrid sollte wie die großen Weltreligionen ein Universalprodukt werden, hat er mal gesagt. Wie viele von seinen hochgesteckten Zielen hat er wirklich erreicht? Als der mächtigste Bauunternehmer Spaniens sein Amt bei Real antrat, zögerte er nicht lange, um seine Erfahrungen aus der Wirtschaft, auf den Fußballklub anzuwenden. Zunächst verkaufte er den Boden, auf dem das königliche Team trainierte, für stolze 394 Millionen Euro an die Stadt Madrid. Es war das Startkapital für einen Mann, der nicht Beckenbauer oder Pelé, sondern den Comic-Zeichner Walt Disney als sein Vorbild benennt.
Ein Disneyland des Fußballs
Von den 394 Millionen kaufte er die namhaftesten Spieler der Welt und ließ die bald als „die Galaktischen“ Titulierten fortan in der Nähe des Flughafens trainieren, als wollte er sie an die neue Atmosphäre ihrer künftigen Auftritte gewöhnen. Denn das Bernabeu-Stadion, so versprach er, sollte bis 2008 in einen futuristischen Baukörper verwandelt werden: Eine 80.000 Zuschauer fassende Gals-und-Stahl-Konstruktion. Das war noch lange nicht alles. „Es gibt eine Idee, die mich unglaublich begeistert“, sagt er damals: „Eine große Stadt zu bauen, eine Art Disneyland, besucht von Millionen Menschen.“ Eine Stadt, gewidmet der Huldigung Reals und Madrids.
Noch bevor seine Träume wahr werden konnten – wir schreiben das Jahr 2005 – verdrängte sein Klub Manchester United vom Sockel des wirtschaftlich erfolgreichsten Fußballvereins der Welt. Perez hatte aus dem Schuldenberg – das Unternehmen war bei seinem Antritt mit 250 Millionen Euro verschuldet – eine Goldgrube gemacht, die zunächst Einnahmen von 276 Millionen Euro im Jahr abwarf. Allein die Marketingverträge mit Sportartikel-, Getränke- und Elektronikherstellern machten Real Madrid reicher als alle Konkurrenten in der Champions League. Hinzu kam der enorm ertragreiche Verkauf von Zidane-Socken, Ronaldo-Schals, Figo-T-Shirts und Beckham-Schweißbändern. Die Merchandising-Maschine ist bis heute nicht zu (s)toppen und brachte Perez auf den besten Weg, aus dem Fußballclub Real die größte Freizeitattraktion im Lande zu machen.
Die Medien haben die Geschicke des Klubpräsidenten wie kaum einen anderen großen Manager der Tat im Fußball wort- und bildträchtig begleitet. Während er in seiner Eigenschaft als Boss der Baufirma ACS selten ins Rampenlicht trat, wurde er in den Massenmedien kontinuierlich portraitiert, beispielsweise von der britischen Zeitung „The Observer“. Es handelte sich großenteils um hymnische Annäherungen mit Titeln wie „The real dealer“. Perez, der auch zum Präsident der G14 avancierte, wurde bald so berühmt wie seine Spieler. Kein Wunder, damals konnte man auch noch Titel bringen wie “Real Madrid Madrid: the best team ever?”. Nach 2003 ging es jedoch nur noch bergab – nicht finanziell, sondern sportlich. Seit drei Jahren ist es Real Madrid verwehrt geblieben, einen wichtigen Titel zu gewinnen. Den Meistertitel der spanischen Primera División holte letztes Jahr der FC Barcelona und auch in diesem Jahr sieht es nicht gerade danach aus, als könnte Real dem sagenhaft aufgelegten „Barca“ das Wasser reichen.
Die deutliche Heimniederlage gegen den Erzrivalen aus Katalonien November 2005 muss besonders demütigend gewesen sein – es war ein Kampf zwischen zwei ungleichen Gegnern, vergleichbar mit dem „Vorführeffekt“ des Länderspiels zwischen Italien und Deutschland. Doch erst das 1:2 gegen RCD Mallorca und das 0:1 gegen Arsenal London haben gezeigt, dass die sportliche Durststrecke in absehbarer Zeit kein Ende nehmen wird. Dass es nicht reicht, Trainer um Trainer zu feuern. Dass nun der Big Boss selbst gehen muss. Diese Einsicht gibt Perez jedenfalls zu Protokoll, wenn er nach seinen Gründen befragt wird. Mehr noch: Die 1:2-Niederlage bei Mallorca öffnete dem 58 Jahre alten Bauunternehmer in eine andere Richtung die Augen. Torjäger Ronaldo und Kapitän Raúl beschimpften sich öffentlich. Und als der Jungnationalspieler Sergio Ramos Real in Führung schoss, drehten die Real-Stars ohne Jubel ab. Perez hatte eine launische und zerstrittene Gruppe von Diven herangezüchtet. Auch das habe er erkannt.
Vor diesem Hintergrund dürfte das Gespräch, das nach seinem Rücktritt über seine Hinterlassenschaft entbrannt ist, verwundern. Denn wofür er in Erinnerung bleiben möchte, wurde er schon während seines Höhenflugs im Amt des Klubpräsidenten nicht müde zu betonen. Und er hat es auch jetzt in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung „El Pais“ wiederholt, die schreibt:
Tras ser preguntado cómo le gustaría ser recordado, Florentino Pérez ha dicho que como „la persona que trajo a Zidane, Figo, Ronaldo, Beckham“ y que „creó un equipo de ensueño“ con jugadores que ya estaban como Roberto Carlos o Raúl. También ha recalcado que se siente tan orgulloso de esto como de la Ciudad del Real Madrid o como de los ingresos del club.
Der geplante Wahnsinn eines Bauingenieurs
Sein Vermächtnis sei es, ein Traumteam zusammengestellt zu haben. Auf alle Zeiten soll diese Auswahl von Spitzenspielern im Gedächtnis bleiben. Aber genau darum dreht sich nun die Debatte. Denn nicht wenige finden, dass dieser Anspruch und die damit verbundenen Erwartungen, der Mannschaft zum Verhängnis geworden sind. Kritische Stimmen werden selbst in den eigenen Reihen laut. Raul beispielsweise erklärte, dass der Terminus „die Galaktischen“ eigentlich nur Schaden angerichtet habe: „Es la palabra que más daño ha hecho al Madrid en los últimos años“. In einem langen Interview mit der spanischen Tageszeitung ABC muss sich Perez Vergleichbares aber auch von dem fragenden Reporter anhören. Liege es nicht auf der Hand, dass er ein Monstrum kreiert habe, das man nicht mehr kontrollieren kann, heißt es da beispielsweise („Reconozca que usted ha sido quien ha creado este monstruo que ahora no puede controlar“).
Doch ein Monstrum würde Perez seine Schöpfung nicht nennen. Auf keinen Fall. Er gesteht sich ein Fehler gemacht zu haben. Aber wenn schon: Kann es überhaupt eine Führungsperson geben, die in der Lage ist, soviel Talent „zu administrieren“? Wenn Perez diese rhetorische Frage stellt und sagt, dass dies „schwierig“ sei, sagt er nur deshalb nicht „absolut unmöglich“, weil er der Nachwelt das galaktische Traumteam nicht als vollkommen verplantes Jahrhundertbauwerk verkaufen will. Sondern als eine zähe, aber lohnende Herausforderung. So könnte Florentino Perez zumindest für zweierlei in Erinnerung bleiben: Für einen größenwahnsinnigen Ingenieur, der, lange nachdem das Zeitalter der großen Utopien vergangen ist, keine Mühen scheute, um das Unmögliche möglich zu machen. Und für ein nationales Großprojekt, das zum Ziel hatte, dem königlichen Klub, der in Zeiten gegründet wurde, als man das spanische Reich zu Grabe trug, zu imperialem Glanz zu verhelfen.
Alle werden jetzt vermutlich sagen, dass sie es schon immer gewusst haben. Schon vor Jahren war klar, dass der Weg kurz ist „von der Genialität zum Größenwahn, von der Großmachtsstrategie zur großen Pleite, gerade im Fußball, wo Winzigkeiten Welten teilen, nur eine Unebenheit, ein kleiner Hopser.“ (Ronald Reng) Doch gerade der Untergang macht Perez zum Helden. Wenn ein Mann wie Mourinho mit einem Diktator verglichen wird (The Observer) und ein Glazer mit einem Kolonialherren (Der Spiegel), dann darf Perez getrost als Kaiser in die Geschichte eingehen. Als ein Kaiser, der die Grenzen seines Imperiums zu weit ausdehnte und den im Jahre 2006 unverhofft der Kassandraruf ereilte – so, wie jeden großen Kaiser in der Historie.
Und auch, wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Sein Nachfolger, der früher seine rechte Hand war, kann dem Ansehen von Perez nicht gefährlich werden: Der Immobilienunternehmer Fernando Martin Alvarez hat bereits mit eiserner Bestimmtheit verkündet, dass er das galaktische Projekt nicht fortführen wird. Es sieht also ganz danach aus, als sei das streitbare „Vermächtnis“ von Florentino Perez bereits jetzt Geschichte.