Größtmögliches Glück für alle!
Richard Layard rät den Wirtschaftswissenschaften die Umstellung auf psychologische Währung
Mehr Glück für alle, auf der Basis von Erkenntnissen der empirischen Psychologie und der Ökonomie - diesem Programm hat sich der Wirtschaftswissenschaftler Richard Layard verschrieben, Co-Direktor des Centre for Economic Performance an der London School of Economics. Er empfiehlt, unser persönliches Leben, aber auch unsere Wirtschaftsordnung einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Statt auf der Logik von Geld und Markt soll die neue Ordnung auf der Psychologie des Glücks beruhen.
Obwohl sich in den USA das Realeinkommen in den letzten dreißig Jahren fast verdoppelt hat, hat die Zahl der Menschen abgenommen, die in Umfragen aussagten, mit ihrem Einkommen zufrieden zu sein. Gleiches zeigt sich im internationalen Vergleich, wie der World Database of Happiness zu entnehmen ist: der Prozentsatz glücklicher und zufriedener Menschen ist in den USA und in der Schweiz nicht höher als in Mexiko und Indonesien. Ergebnisse dieser und anderer Studien finden sich im elektronischen Anhang zu Richard Layards gerade erschienenem Buch Die glückliche Gesellschaft.
Rivalenglück
Oberhalb einer gewissen Wohlstandsgrenze wirken sich steigendes Einkommen und wachsender Lebensstandard, statistisch betrachtet, nicht auf das persönlichen Glücksempfinden aus. Was hingegen eine Rolle spielt, sind Einkommensunterschiede innerhalb einer Gesellschaft oder Statusgruppe. Eine Studie, die Layard zitiert, ergab beispielsweise:
Unser Glücksempfinden [nimmt] um ein Drittel mehr ab (...), wenn jeder außer mir ein Prozent Lohnsteigerung erhält, als es zunehmen würde, wenn ich als Einziger eine Gehaltserhöhung von einem Prozent bekäme. Wenn alle Einkommen mit meinem steigen, dann steigert das mein Glücksempfinden um ein Drittel weniger, als wenn ich allein mehr Geld bekäme.
Psychologische Umweltverschmutzung
Status und relatives Einkommen fördern unser Glück. Das Problem bei der Sache ist nur: Die Plätze im oberen Bereich der Rangliste sind begrenzt - und damit auch die Glückschancen, die mit ihnen einhergehen.
Gesamtgesellschaftlich betrachtet, wirkt sich der Konkurrenzkampf um die vordersten Plätze schädlich aus. Dem Glücksgewinn jener, die es nach oben bringen, stehen die Glückseinbußen der anderen entgegen, die bereits deswegen schon ins Hintertreffen geraten, weil andere mehr verdienen als sie.
Richard Layard, der sich mit seiner "Agenda des Glücks" in der Tradition von Jeremy Bentham und dem klassischen Utilitarismus bewegt, empfiehlt eine Abhilfe dagegen: Steuern!
Besserverdienende, so Layard, sollen als psychologische "Umweltverschmutzer" für die Glückseinbußen anderer, die durch sie bewirkt werden, aufkommen. Und zwar sollen die Steuern so weit erhöht werden, bis der Nutzen durch die Umverteilung sich die Waage hält mit den Nachteilen, die durch die Verkleinerung des insgesamt zu verteilenden Kuchens entstehen. Diese Verkleinerung wiederum wird bewirkt durch die Minderung des Leistungsanreizes bei steigenden Steuern.
Ein gewünschter Nebeneffekt: Wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit für Freunde, Freizeit und Familie - was sich wiederum glückssteigernd auswirkt. Abgesehen davon, meint Layard, würde den Gutverdienenden ihr Mehreinkommen ohnehin mehr schaden als nutzen - aus psychologischen Gründen.
Psychologische Parallelwährung
Den Überlegungen Layards liegt ein allgemeines Prinzip zu Grunde: Sowohl in der Sozialpolitik wie auch in der persönlichen Lebensplanung soll konkreter Geldwert ersetzt werden durch eine psychologische Parallelwährung.
Steigt das Einkommen, verbessert dies zwar das Wohlbefinden. Gleichzeitig aber erhöht sich die Summe dessen, was man glaubt, zum Leben zu brauchen. Man wird "süchtig". Die anfängliche Glücks-Steigerung, das haben Wirtschaftspsychologen herausgefunden, reduziert sich dadurch um vierzig Prozent: Psychologisch betrachtet, werden vierzig Prozent der zusätzlichen Gewinne des einen Jahres werden im folgenden Jahr wieder zunichte gemacht.
Losses loom larger than gains
Die Logik der Psyche soll nun an die Stelle der Logik des Geldes treten, damit mehr Glück für alle möglich wird. Kann das funktionieren? Layard stützt sich in seinen Überlegungen zum großen Teil auf Untersuchungen zur "Psychologie der Entscheidung" (so der Titel eines einschlägigen Lehrbuches zum Thema) oder, wie es allgemeiner heißt, der "Risiko-Kommunikation".
Als Phänomene der "Risiko-Kommunikation" untersuchen Wirtschaftswissenschaftler und Psychologen (wie etwa der Nobelpreisträger David Kahneman Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, dass wir uns in Wettsituationen häufig anders entscheiden, als dies nach Maßgabe einer idealen Rationalität geboten wäre. Leute spielen Lotto, obwohl dies, gegeben die geringen Gewinnchancen, mathematischer Unfug ist. Sie schließen Versicherungen ab, deren Beitragssätze in keiner Relation zu Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des Schadensfalles stehen. Und sie bewerten Verluste höher als Gewinne: Das Angebot, an einer Lotterie teilzunehmen, an der sie mit großer Wahrscheinlichkeit einen mittleren Betrag gewinnen, mit minimaler Wahrscheinlichkeit aber einen hohen Betrag verlieren, schlagen die meisten Menschen aus - selbst wenn, rechnerisch betrachtet, sich das Spiel für sie lohnen würde. Das Phänomen ist bekannt unter dem Namen "losses loom larger than gains".
Lieber keine Gehaltserhöhung
Wenn man Präferenzen in einem Lotteriespiel als Indikatoren für subjektives Glücksempfinden interpretiert, ergibt sich eine erstaunliche Schlussfolgerung: Gegeben, dass Effekte ähnlich denen der Sucht den subjektiven Nutzen von Einkommenssteigerungen schmälern und langfristig sogar vollständig annullieren, und gegeben weiterhin, dass eine Gehaltsminderung in der Zukunft das Glück stärker trübt als, als eine gleich hohe Gehaltserhöhung das Glück in der Gegenwart mehrt, dann müsste es eigentlich vernünftig sein, aus freien Stücken auf angebotene Gehaltserhöhungen zu verzichten. Aber wer würde das tun?
Die Logik der Psyche
Die skizzierte Überlegung ist nicht schlichtweg falsch. Aber sie bewegt sich auf schwankendem Terrain. Denn ersetzt man konkrete Geldwerte durch psychologische Währung (in der Sprache der Entscheidungstheorie: "subjective expected utility" - subjektiven Erwartungsnutzen), muss man darauf gefasst sein, dass die normalen Regeln des Schlussfolgerns außer Kraft gesetzt werden. Denn zahlreiche Mechanismen (wie der Framing Effekt oder das Allais-Paradoxon), lenken unser Urteil mal in diese, mal in jene Bahn, so dass wir uns in unseren Entscheidungen in alle möglichen Inkohärenzen verwickeln - ohne dass dies in den meisten Fällen von der Psychologie als irrational eingestuft wird.
Unter normalen Umständen zum Beispiel vernachlässigen wir in unseren Entscheidungen Risiken, die im Größenbereich von unterhalb von eins zu einer Million liegen. Wir gehen diese Risiken ein, selbst wenn die Kosten, um sie zu vermeiden, gering wären gemessen an den möglichen Folgen: Wir gehen bei Rot über die Straße oder fahren in den Urlaub, ohne ständig daran zu denken, dass wir unterwegs verunglücken könnten. Auf der anderen Seite sind wir bereit, uns auch gegen noch so geringe Risiken zu versichern, wenn uns diese besonders katastrophal und grauenvoll erscheinen. Rein rechnerisch betrachtet, setzen wir demzufolge paradoxerweise den Wert unsere Lebens einmal höher und einmal tiefer an - abhängig von dem Schadensfall, den wir ins Auge fassen.
Eine Agenda des Glücks
Die Logik der Psyche ist ein mit Paradoxien dieser Art vermintes Feld. Das erklärt auch, warum Layards Überlegungen so einleuchtend wirken, man andererseits aber kaum nach ihnen handeln mag. Der Common Sense gebietet, eine Wette auszuschlagen, bei der man wahrscheinlich einiges gewinnt, vielleicht aber auch vieles verliert. Aber er gebietet deshalb nicht auch, eine Gehaltserhöhung abzulehnen, die das persönliche Wohlbefinden mit Sicherheit in naher Zukunft geringfügig steigern wird, langfristig aber der persönlichen Glücksbilanz mehr schaden könnte. Eines folgt nicht aus dem anderen.
Richard Layards weitere Vorschläge zur Ermöglichung des allgemeinen Glücks sind ungleich simpler: mehr soziale Stabilität, mehr Geld zur Bekämpfung psychischer Krankheiten, mehr Zeit für Freunde, Freizeit und Familie. Schwierige politische Entscheidungen Experten oder der Regierung überlassen. Weniger Mobilität, außerehelicher Sex und Fernsehen. Und bald, verspricht Richard Layard, wird man das Glück sogar mit einem Hirnscanner messen können. Dann sollen es keine Zweifel mehr daran geben, was das Glück fördert und was ihm schadet.