Großbritannien: Boris Johnson darf ein wenig weiterregieren

Bild: Carsten ten Brink, CC BY-NC-ND 2.0

Premier sprang Teufel erneut von der Schippe. Doch mit so knapper Mehrheit, dass er einer ungewissen Zukunft entgegensieht, ebenso wie seine Partei

Am Montagabend um 20 Uhr Londoner Zeit entschied im britischen Unterhaus das sogenannte "1922-Komitee" der Conservative Party über die Zukunft ihres Premierministers Boris Johnson. Zuvor waren die nötigen 54 Briefe beim Komitee eingegangen, die dem Premier schriftlich das Vertrauen entzogen.

Aufgrund der Fraktionsstärke der Tories im Unterhaus musste genau diese Anzahl an Briefen eintreffen, damit die Grenze von 15 Prozent der Abgeordneten überschritten wurde.

Vermutlich war die genügend große Anzahl an Stimme gegen Johnson bereits letzte Woche beisammen. Die höflichen konservativen Abgeordneten wollten aber Rod Stewart nicht die Show stehlen, der bekanntlich bei den Feierlichkeiten zum "Platinum Jubilee" am Samstag aufgetreten war.

Die Queen selbst war zu fragil und deshalb vielen Veranstaltungen zu ihren Ehren, wie dem Rockkonzert vor dem Buckingham Palace, lieber ferngeblieben. Kaum waren die pompösen royalen Shows zu Ende, brach der Machtkampf in Westminster los.

Schlechter als Theresa May 2018

Laut Ergebnis sprachen 211 Abgeordnete Johnson das Vertrauen aus, 148 entzogen es ihm.

Der Premierminister hat damit nur mehr 59 Prozent seiner Abgeordneten hinter sich. Ein schlechteres Ergebnis als jenes von Theresa May, die im Dezember 2018 immerhin 63 Prozent der Abgeordneten von sich überzeugen konnte.

Zuvor hatte sich das Team um Johnson bereits bemüht, den Spin zu verbreiten, die Abstimmung sei auch mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit gewonnen und damit wäre ein unmittelbarer Kampf um die Parteiführung vermieden. Er fand in einem ersten Statement das Ergebnis "extrem gut".

Die Geschichte unterstützt diese Deutung nicht. Theresa May musste sechs Monate nach ihrem überstandenen Misstrauensvotum zurücktreten. Die knappe Mehrheit von nur 32 Stimmen für Johnson muss auch in dem Kontext gesehen werden, dass gut 160 der 359 Tory-Abgeordneten Regierungsaufgaben unterschiedlicher Funktion bekleiden. Sie würden sich mit erklärtem Misstrauen selbst aus dem Amt wählen.

Die Hinterbänkler hingegen, die sich vornehmlich um die eigene Wiederwahl bei den nächsten Unterhauswahlen sorgen, haben zu 75 Prozent gegen Johnson gestimmt. Ein Rückhalt in der Partei kann aus diesem Ergebnis somit nur mehr schwer abgelesen werden.

Die Hoffnung auf den angekündigten "Schlussstrich" dürfte mit diesem Ergebnis somit vom Tisch sein.

Zuvor hatte Johnson verkündet, die eigene Partei dürfe nicht zu sehr nach der Pfeife der Medien tanzen. Eine ziemlich bizarre Aussage des ehemaligen Journalisten, dem Freunde, aber auch Kritiker zubilligen, vor allem gut in der Manipulation öffentlicher Meinung zu sein. Es stellt sich somit die Frage, wenn Johnson nicht ein gutes Bild in den Medien liefert, was hat er dann zu bieten?

Seine Fähigkeiten liegen sicherlich eher im Wahlkampf als im Regieren. Deshalb wird nun von seinen Unterstützern gebetsmühlenartig wiederholt, welch formidables Ergebnis Johnson für die Konservativen eingefahren hatte.

Tatsächlich hatten die Tories unter Johnson so viele Sitze bei den letzten Unterhauswahlen errungen wie seit Thatcher nicht mehr – ganze 14 Millionen Stimmen. Es ist eine breite Koalition, die ziemlich divergierende Erwartungen an Johnson hat. Bezeichnenderweise gelang es ihm, diese gerade durch seine berüchtigte Inkohärenz an sich zu binden. Nur irgendwann lassen sich die Widersprüche nicht mehr überdecken.

Das Rumoren war im Partygate-Skandal unüberhörbar geworden. Die Vermutung vieler Abgeordneter ist, dass Johnson unmöglich seinen Wahlerfolg wird wiederholen können.

Martialisch warte Boris Johnson von der Gefahr eines "Bürgerkrieges" in der Partei, der nun wohl schon längst in Gang ist. Sein schlechtes Ergebnis ist nämlich allein auch deshalb so verwunderlich, weil seinen Gegnern die klare Alternative fehlt. Niemand wagte sich aus der Deckung und baute sich als möglicher neuer Regierungschef oder Chefin auf.

Die Aufständischen wissen, dass weder Ausrichtung der Partei, noch frisches Personal zur Hand ist. Sie wissen aber auch, dass Boris Johnson sein Pulver verschossen hat. Er sollte Jeremy Corbyn verhindern, den Brexit liefern und später die Pandemie "besiegen".

Das ergibt heute kein zukunftsträchtiges Programm mehr. Ukrainekrieg und das immer am Rand zur Lächerlichkeit vorbeistreifende Thronjubiläum dienten bestenfalls als willkommene Ablenkungen. Den eigentlichen Zukunftsproblemen des Landes weicht Johnson aber lieber aus und mach blumige Ankündigungen.