Großbritannien soll für den Brexit zahlen
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Während sich die EU-Staaten selber für ihre Härte gegen über einen Staat loben, der ein demokratisches Recht wahrnimmt, bekommen sie Unterstützung von linken Ökonomen
"Weniger als 15 Minuten dauerte das - manche behaupteten später gar, es wären weniger als 60 Sekunden gewesen, ein Gipfel-Rekord. Keiner scherte aus, die EU-27 demonstrierten Zusammenhalt." So wurde ein EU-Gipfel gefeiert, auf dem sich die EU-Staats- und Regierungschef über die Leitlinien der Verhandlungen mit Großbritannien verständigt haben.
Neben den berechtigten Anliegen, den Status von EU-Bürgern in Großbritannien und von Menschen mit britischem Pass im EU-Raum festzulegen, hat die EU finanzielle Ansprüche an London aufgestellt und kommt dabei auf die exorbitant hohe Summe von 60 Milliarden Euro. Dieser Punkt wird völlig nebulös als Vereinbarung über Verpflichtungen, die Großbritannien als EU-Mitglied eingegangen ist, bezeichnet. Warum aber ein Land, das aus dem Verein austreten will, dafür weiter zahlen soll, ist eine Frage, die sich sicher nicht nur in Großbritannien viele Menschen stellen. Hier handelt es sich eindeutig um ein Muskelspiel, um ein Mitglied für den Austritt zu sanktionieren.
Wenn darüber nicht diskutiert und die scheinbare Einigkeit noch in den Medien gefeiert wurde, ist das eine demokratische Bankrotterklärung. Während überall in den EU-Ländern die gemeinsame Basis bröckelt, die ungarische Regierung gerade eine rechtspopulistische Kampagne unter dem Motto "Stoppt Brüssel" inszeniert, Polen wegen seines nicht Deutsch-EU konformen Rechtsstaatsverständnis unter Druck gesetzt wird, und die Frage, wie weiter mit der Erdogan-Türkei umzugehen ist, was die Unfähigkeit einer gemeinsame EU-Außenpolitik deutlich machte, soll nun an einem Mitglied, das durch eine demokratische Entscheidung für den Austritt votiert hat, exekutiert werden, was mit künftigen Nachahmern geschieht, die vielleicht auch auf die Idee kommen, dass es auch ein Leben außerhalb der EU gibt.
Austritt aus der EU ist kein Austritt aus Europa
Wobei hier gleich klar gestellt werden muss, dass es hier um ein Abwenden der von Deutschland dominierten EU geht und nicht um einen Austritt aus Europa, was immer das sein soll. Selbst wenn sich ein Staat entscheiden sollte, bessere Beziehungen mit Russland einzugehen oder auch nur eine Neutralitätspolitik zwischen Russland und dem Deutsch-EU-Block favorisiert, so mag das politisch kritikabel sein, ein Austritt aus Europa ist es aber mitnichten.
Es war die deutsche Rechte, die Russland schon vor dem 1. Weltkrieg aus Europa raus drängen wollte und dieses Projekt im 2. Weltkrieg blutig durchzusetzen sich anschickte. Die besiegten Nazis gerierten sich im Kalten Krieg als Vorkämpfer des europäischen Abendlandes gegen den Bolschewismus - und nachdem auch der besiegt ist, wird wieder auf die Kampagne vor 100 Jahren zurückgegriffen. Aber nicht nur Russland ist im Visier der Deutsch-EU, was Großbritannien nun erfahren muss.
Auf neun Seiten geben die Regierungschefs vor, wie der Brexit abgewickelt wird - und zwar knallhart, ohne Rücksicht auf britische Sonderwünsche wie zum Beispiel parallele Gespräche über die Zeit nach dem Brexit. EU-Ratspräsident Donald Tusk stellte klar: Phase eins der Gespräche werde sich um drei - und nur drei - Themen drehen: "Bevor es um die künftige Beziehung zu GB geht, müssen wir erst ausreichend Klarheit bei Bürgerrechten, den Finanzen und der Grenze in Irland haben." Und wer bestimmt, was "ausreichend" heißt? Auch da seien die Brexit-Leitlinien der EU deutlich, so Tusk: "Es wird eine einstimmige Entscheidung der Regierungschefs der EU-27 sein" - also ohne Großbritannien.
Polen - zwischen Deutschlandschelte und Anpassung
Nun ist erst einige Wochen her, dass dieser Tusk eine kleine Krise in der EU ausgelöst hat. Die nationalkonservative Regierung wollte eine erneute Nominierung des Ratspräsidenten aus Polen verhindern und bot sogar einen chancenlosen Gegenkandidaten auf. Offiziell wurden Strafverfahren in Polen als Grund genannt, doch eigentlich handelte es sich um einen Streit zwischen der deutschlandkritischen und der prodeutschen Rechten in Polen. Tusk gehört zu letzterer und die gegenwärtige Regierung hat denn auch kräftig gegen "Merkels Mann in Brüssel" gewettert. Polnische Regierungsvertreter zeterten nach Tusks Wiederwahl gar über ein "Diktat aus Berlin".
Nun könnte man denken, dass diese polnische Regierung nun Deutsch-Europa bremst, wenn es um die Bestrafung Großbritanniens wegen des Brexits geht. Tatsächlich gab es solche Signale aus Warschau. Weil viele polnische Arbeitsmigranten, die in Großbritannien leben, betroffen waren, hatte die Regierung in Warschau auf einen Kompromiss unter der Bedingung gedrängt, dass die polnischen Arbeiter nicht zum Faustfand werden
Tatsächlich sah die nationalkonservative Regierung in den britischen Konservativen, mit der sie in derselben Parlamentsfraktion war, politische Verbündete gegen die deutsche Hegemonie. Daher war der Brexit für sie besonders schmerzlich, weil es auch ein politischer Rückschlag im Machtkampf innerhalb der EU bedeutete. Die Art, wie die polnische Regierung von den EU-Verantwortlichen für ihre Opposition gegen die erneute Kandidatur von Tusk behandelt wurde, machte den Regierenden in Warschau aber auch klar, wo die Macht in der EU liegt. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass es von Warschau keine Opposition gegen den harten Kurs der Deutsch-EU bei den Austrittsgesprächen gibt. Doch wie weit die Einigkeit reicht, muss sich noch zeigen.
Das gilt auch für die nationalkonservative ungarische Regierung, der auch schon von der Deutsch-EU-freundlichen Presse vorgeworfen wurde, der EU in den Rücken zu fallen. Die ungarische Regierung wollte eine Regelung für die Arbeitsmigranten in Großbritannien und sei dafür zu Zugeständnissen gegenüber London auf anderen Gebieten bereit, hieß es da. Deshalb darf der aktuelle Verhandlungstext mit der harten Haltung gegenüber Großbritannien auch nicht überbewertet werden. Dass es keine strittige Diskussion gab, könnte auch ein Zeichen dafür, dass der Streit erst beginnt, wenn es um Grundsätzliches geht. Dann dürfte der Risse im deutsch-europäischen Block noch deutlich werden.
Allerdings darf natürlich nicht übersehen werden, dass es auch politische Gemeinsamkeiten der polnischen und ungarischen Regierung mit dem deutsch-europäischen Block gab und gibt, wenn es um die Durchsetzung der Austeritätspolitik beispielsweise gegen die Länder der europäischen Peripherie geht. Gemeinsam hatten sie ein Interesse daran, jegliche Versuche, ein sozialeres Europa aufzubauen, im Kein zu ersticken. Die Töne gegen die Syriza-Regierung aus Warschau und Budapest waren teilweise noch harscher als die aus Berlin. So gibt es hier gemeinsame Interessen, die stärker sind, als die Zerwürfnisse innerhalb der EU. Es wird sich nun zeigen, ob es diese gemeinsamen Interessen auch bei der Verhandlungsstrategie gegenüber Großbritannien gibt.