Großbritannien weiter auf Überwachungskurs
Labour-Mehrheit drückt RIP-Überwachungsgesetz im Unterhaus durch
Monate von Beratungen und eine Mischung aus Kampagnen, konstruktiver Kritik, Rechtsgutachten und ein gewaltiges kritisches Medienecho konnten New Labour nicht abhalten, das RIP-Gesetz bei der gestrigen dritten Lesung im House of Commons mittels der eigenen massiven Parlamentsmehrheit durchzudrücken.
Das Gesetz zur "Regelung der Ermittlungsbefugnisse" sieht umstrittene Maßnahmen zur Überwachung des Internet-Traffic vor, sowie eine einzigartige Lösung des "Kryptoproblems" in Form einer sogenannten "Entschlüsselungsanordnung".
Gesetzesanhänge wurden laut FIPR, ein Think Tank, der das Gesetz bekämpft hatte, "so schnell verabschiedet wie sie vom Sprecher vorgelesen werden konnten". Stimmen der Opposition kamen dabei kaum zu Wort und "es liegt nun am House of Lords (Oberhaus), die Unordnung aufzuräumen", sagte Caspar Bowden von FIPR.
In einer ungewöhnlichen Umschichtung der Rollen der Parteien bezüglich Bürgerrechten kam die schärfste Kritik von den Konservativen, welche die Internet-Schnüfflerei auf Grund ihrer "traurigen Inadäquatheit" und wegen ihrer Inkompatibilität mit Menschenrechten kritisierten. Zugleich würden damit der in den Kinderschuhen steckenden E-Ökonomie schwere Lasten auferlegt.
Die Liberalen Demokraten beschränkten ihre Kritik auf die Inkompatibilität mit der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Dies betrifft den Abschnitt 3 über "Decryption Powers", wobei von Beschuldigten verlangt werden kann, Passwörter für verschlüsselte Dateien zu übergeben. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, liegt es an den Betroffenen zu beweisen, dass sie nicht mehr im Besitz des Passwortes sind. Diese Umkehrung der Beweislast verstößt laut einem Rechtsgutachten gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die Regierung streitet dies schlicht ab und beruft sich darauf, dass das Gesetz laut eigenem Gutachten menschenrechtskonform sei, hat es aber bisher versäumt, dieses Gutachten zur Diskussion zu stellen. "Ich habe nie verstanden, warum sich die Regierung der Veröffentlichung ihres Rechtsgutachtens widersetzt, wenn dieses doch definitionsgemäß ihre Behauptung unterstützen sollte," sagte ein Abgeordneter der Liberalen Demokraten.
Auch in der Frage der finanziellen Belastungen, die durch die Einrichtung einer Überwachungsschnittstelle auf die Provider zukommen würden, gab es keine Einigkeit zwischen Regierung und Opposition. FIPR hatte auf Basis einer Studie des Innenministeriums berechnet, dass sich die Kosten auf mindestens 30 Millionen Pfund belaufen würden. Die Regierung bleibt grundsätzlich auf Überwachungskurs, nimmt aber davon Abstand, an alle Provider die selben Anforderungen zu stellen. Neue Details dazu wurden aber nicht bekannt.
Während aber für die Überwachung der Inhalte eines Providers zumindest ein Gerichtsbeschluss notwendig ist und es auch eine Art Aufsichtsinstanz geben soll, sind die Server-Logfiles als sogenannte Verbindungsdaten eingestuft und diese können nach dem neuen Gesetz von jeder beliebigen Behörde ohne Gerichtsbeschluss angefordert werden - von Bezirksbehörden wegen vermutetem Sozialhilfebetrug bis hin zu kleineren Steuervergehen (Council Tax).
Die Regierung blieb bislang die Veröffentlichung jeglicher Verfahrensregeln für die Umsetzung der Gesetzesneuerungen schuldig und versprach diese vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu veröffentlichen. Die Mitglieder des Parlamentsausschusses, der für die Aufsicht über die britischen Geheimdienste zuständig ist, waren bei der Debatte nicht anwesend, weil sie sich zu einem offiziellem Besuch in Washington in Ausschussangelegenheiten befinden.
Falls es zu keiner Revolte im Oberhaus kommt, und damit zu einer signifikanten Verzögerung, befindet sich das Vereinigte Königreich auf der Schnellstraße hin zu einem Internet-Überwachungssystem, wie es derzeit nur in Russland praktiziert wird.