Große Show, kleine Substanz: Die Schattenseiten von Pennys "True Cost"-Kampagne

Ansteigender Barcode mit Wasserhahn, Pflanzen, Äskulapstab und Thermometer

Discounter Penny wollte 2023 Bewusstsein für Umwelt-kosten schaffen. Doch die Studie hinter der Kampagne weist erhebliche Mängel auf. Wie seriös war das Ganze wirklich?

Neun Lebensmittel, vier Bio- und fünf konventionelle Produkte von insgesamt mehr als 3.000 Artikeln, hatte der Discounter im August 2024 drastisch verteuert. Konkret wurden vier Produkte aus der Tierhaltung bewertet (Joghurt, Käse, Wiener Würstchen, Mozzarella), jeweils aus konventioneller und aus biologischer Haltung, sowie ein veganes Produkt, ein Schnitzel auf Pflanzenbasis.

Mit diesem Schritt wollte der Discounter mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen. Laut Rewe-Gruppe, zu der die Penny-Marke gehört, wurden die Mehreinnahmen für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum gespendet.

Als Grundlage der Publikation "True cost accounting of organic and conventional food production" ("True Cost Accounting") wurden die Auswirkungen der Produktion auf Klima, Wasser, Boden und Gesundheit berechnet.

Ein Forschungsteam aus Greifswald und Nürnberg hatte für durch Penny ausgewählte konventionell und ökologisch erzeugte Produkte durch die Produktion anfallenden Auswirkungen der Faktoren Boden, Klima, Wasser und Gesundheit in den Verkaufspreis eingerechnet. Die Autoren bezogen sich dabei ausschließlich auf andere wissenschaftliche Literatur, ohne eigene Messungen und Datenerhebungen.

Die Münchner Redaktion der internationalen Nachrichtenagentur Pressenza hat die Studie eingehend analysiert und dabei erhebliche Fehler und Mängel aufgedeckt. Diese werden im Folgenden dargestellt.

Veganes Schnitzel kostete nur wenige Cent mehr

Laut Penny sind die wahren Kosten in unterschiedlichen Anteilen im Verkaufspreis erfasst. So lagen die Umweltfolgekosten im Schnitt für Bio-Lebensmittel bei 1,15 Euro, für konventionelle Lebensmittel bei 1,57 Euro.

Während sich etwa die Packung Maasdamer Käse um 94 Prozent verteuerte und die Wiener Würstchen um 88 Prozent, kostete das vegane Food For Future Schnitzel mit 14 Cent Aufpreis nur fünf Prozent mehr. Das wirft Fragen auf.

Erstens: Bedenkt man, dass vegane Produkte aus konventionellem Getreide oder Hülsenfrüchten meist aus Monokulturen stammen, die mit Pestiziden behandelt werden, die Böden ruinieren sowie Artensterben und Biodiversitätsverlust beschleunigen, ist dieser geringfügige Aufpreis nicht zu rechtfertigen.

Zweitens: Stammt das verarbeitete Getreide aus regionalem Anbau oder aus industrieller Produktion aus dem In- oder Ausland? Die Herkunft der Rohware muss unbedingt in die Berechnung einfließen.

Drittens: Bei veganen Produkten handelt es sich zumeist um sogenannte "ultra-verarbeitete" Lebensmittel (engl: ultra-processed food), die oft mit Zusatzstoffen wie Säureregulatoren, Geschmacksverstärkern und Konservierungsstoffen belastet sind. Innerhalb der EU sind für konventionell erzeugte Lebensmittel immerhin mehr als 300 Zusatzstoffe zugelassen, für Bio-Produkte nur 50.

Klima: CO2-Fußabdruck durch lange Transportwege und Anbaumethoden

Pestizideinsätze auf Monokulturen, Anheizen des Klimawandels sowie Artensterben durch Rodung der Regenwälder – all das hinterlässt einen deutlichen CO2-Fußabdruck, der in der Studie nicht vorkommt.

Zwar fließen Methanemissionen von Rindern und der CO2-Ausstoß von Traktoren mit ein. Doch was ist mit Transportwegen vom Erzeuger bis zum Supermarkt? Futtermittel in der konventionellen Tierhaltung werden üblicherweise aus Übersee hergeholt, bevor sie hierzulande im Trog landen. Bekanntes Beispiel ist Sojafutter aus Lateinamerika.

Stattdessen werden alle Futtermittel, Saatgut und andere Produkte, die von außerhalb der gegebenen lokalen Grenzen stammen, durch das lokale Äquivalent mit angepassten Gewichten und Entfernungen ersetzt.

Ob Tierfutter für die Fleisch- und Milchproduktion aus Lateinamerika oder ob Palmöl aus Monokultur-Plantagen auf abgeholzten Regenwaldflächen in Indonesien importiert wird, findet keine Beachtung.

Ob die Wiener Würstchen, Joghurt, Käse und Mozzarella mit Fleisch und Milch in Deutschland verarbeitet wurden oder aus ausländischen Importen stammen, diese Frage wurde ausgeklammert.

Auch der Transport der Rohstoffe für Futtermittel vom Anbauort zum Mischfutterwerk wurde nicht berücksichtigt. Der Transport von Futtermitteln habe nur geringe Auswirkungen auf die Gesamtergebnisse, schreiben die Autoren der Studie stattdessen lapidar.

Gesundheit: Auswirkungen auf Verbraucher kommen nicht vor

In puncto Gesundheit gehe es weniger darum, wie gesund ein Produkt beim Konsum ist, sondern vielmehr um die gesundheitlichen Schäden, die durch Pestizide oder Ammoniak in der Tierhaltung entstehen, heißt es auf der Penny-Kampagnen-Seite.

So wurde vor allem die Gesundheit von Landwirten unter die Lupe genommen. Tatsächlich wurde Parkinson durch Pestizideinsatz inzwischen als Berufskrankheit anerkannt. Dafür wurde allerdings vernachlässigt, wie sich Pestizide, Konservierungs- und Zusatzstoffe, Zucker oder künstliche Aromen auf die Verbrauchergesundheit auswirken.

In der medialen Berichterstattung hingegen wurde der Eindruck erweckt, die Verbrauchergesundheit sei berücksichtigt worden:

Diese wirklichen Kosten umfassen Auswirkungen wie Klimawandel, Fettleibigkeit, Kinderarbeit und Plastikverschmutzung, die letztendlich von der Gesellschaft oder den Steuerzahlern getragen werden.

Tagesschau

Doch ein Blick in den oben erwähnten "True Cost Accounting" zeigt, dass die Gesundheit darin als Faktor gar nicht wirklich vorkommt, ebenso wenig wie Fettleibigkeit, Kinderarbeit oder Plastik. Penny zufolge ist die Plastikverpackung jedoch mit in die Berechnung eingeflossen. Dabei fließt der Begriff "health" nicht in die Bewertung mit ein, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht.

Wasser: Verbrauch in der Lebensmittelproduktion ist kein Thema

Im Penny-Vergleich geht es lediglich um Schadstoffe, die sich negativ auf Wasserquellen auswirken. Das ist zwar wichtig zu benennen, wobei die Menge der Schadstoffe im Endprodukt landen und somit auf unseren Tellern sicher auch relevant gewesen wären.

Doch der enorme Wasserverbrauch von industriell erzeugtem Obst und Gemüse wird außen vor gelassen: Dabei wäre eine Gegenüberstellung von Avocados oder Kartoffeln im Vergleich Bio zu konventionell und/oder im Anbau lokal/regional zu national/international in Bezug auf den Wasserverbrauch ebenfalls interessant gewesen.

Böden: Nährstoffversorgung und Verarmung werden ausgeblendet

Humusreiche Böden speichern Kohlendioxid, fördern die biologische Vielfalt, erhöhen den Nährstoffgehalt und neutralisieren somit die Treibhausgase der Wiederkäuer.

Doch in dem Vergleich wahrer Kosten von Bio und konventioneller Produktion werden weder regenerative, wasserspeichernde Anbaumethoden einbezogen, noch deren Beschaffenheit und Qualität in Bezug auf ökologische und ernährungsphysiologische Gesichtspunkte untersucht.

"True Cost Accounting" lässt wichtige Aspekte außen vor

Glaubt man der Penny-Studie, ist Bio nur geringfügig besser als konventionell. Was fehlt, ist einerseits die Benennung der Nachteile für das Klima durch industrielle Monokulturen mit hohem Wasserverbrauch sowie andererseits die Vorteile von ökologischer Bewirtschaftung durch Erhalten von Biodiversität und Aufbau von gesundem Boden, inklusive dessen CO2-Speicherkapazität.

Außen vor gelassen werden auch soziale Aspekte wie Menschenrechtsverletzungen durch Landraub in Anbauländern und Ausbeutung von Saisonarbeitern. Komplett ausgeblendet wird der globale Handel – der nicht ohne fossile Energie auskommt – mit seinen langen Transportstrecken. Regionale und ökologische Erzeugung hingegen wird kleingerechnet.

Klimafreundlich einkaufen? Nicht bei Penny

Berücksichtigt man die Tatsache, dass die derzeitigen Erzeugerpreise für ökologische Produkte unverhältnismäßig höher sind als die für konventionelle Produkte, so sind die "wahren Preise" (Marktpreis + externe Kosten) für ökologische Produkte nicht niedriger als die für konventionelle Produkte, heißt es in der Zusammenfassung der Studie.

Wenn Bio-Lebensmittel in ihren "wahren Kosten" nur geringfügig besser abschneiden, als konventionell erzeugte Lebensmittel (1,15 versus 1,57 €), könnte der Verbraucher dann nicht daraus schlussfolgern, künftig besser wieder konventionell einzukaufen?

Die Penny-Aktion schert alle Produkte über einen Kamm, lässt die Gesundheit der Verbraucher außen vor und gibt "Bio" im Vergleich zu veganen Fleischersatzprodukten aus industrieller Produktion als ineffizient aus, ohne hier genau zu differenzieren.

Die gesamte Aktion ist somit ein Geschenk für die konventionelle Agrarindustrie, die angeblich keine nennenswerten ökologischen Nachteile gegenüber biologisch erzeugten Produkten aufweist.

Wer es sich leisten kann, kauft im Bioladen ein

Die Kampagne zu den wahren Preisen von Lebensmitteln helfe maßgeblich, das Bewusstsein der Menschen dafür zu stärken. Allerdings sei ein Preisaufschlag, der ökologische Folgekosten der Lebensmittelproduktion abdeckt, zu teuer, resümieren die Autoren in der 2024 präsentierten Auswertung der Kampagne.

Konnten oder wollten die Kunden während der Aktionswoche den aufgeschlagenen Preis nicht zahlen? Denn wer Bürgergeld bezieht, dem fällt es schwerer, die höheren Preise zu zahlen. Wer sich die teureren Bioprodukte aber leisten kann, kauft nicht bei Penny ein, sondern gleich im Bioladen oder direkt auf dem Hof.

"Kleine Preise ganz groß" – Penny zurück im Business as usual

Anfang September 2024 warb der Discounter für vier Wochen mit kleinen Preisen groß auf Verpackungen fünf ausgewählter Eigenmarken-Artikel: "… mit einer optisch attraktiven Limited Edition, die plakativ zeigt, dass unsere Eigenmarken immer die günstigste Wahl sind", wie es in einer Pressemitteilung heißt. Willkommen zurück in der Wunderwelt der Ramschpreise!

War die Kampagne vom letzten Jahr etwa nichts anderes als eine geschickte und erfolgreiche Werbemaßnahme?

Zumindest zog sie enorme mediale Aufmerksamkeit auf sich, von welcher der Konzern profitieren konnte. Was dafür spricht: Penny investierte 2023 – im Jahr der Kampagne – etwa 190 Millionen Euro in traditionelle Werbemaßnahmen, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Ausgaben führten zu einem Umsatzwachstum von 8,6 Prozent. Der Umsatz ist somit auf 9,5 Milliarden Euro gestiegen.

In Deutschland betreibt die Rewe-Gruppe, zu der Penny gehört, übrigens rund 2.150 Penny-Filialen. Penny-Märkte gibt es auch in Österreich, Italien, Tschechien, Ungarn und Rumänien. Bis 2025 plant Rewe fünf Milliarden in die Auslandsexpansion zu investieren.