Die Mär der "wahren Preise" oder: Greenwashing bei Penny

(Bild: ElasticComputeFarm, Pixabay)

Umerziehung durch Umweltzuschläge: "Wahre Preise" im Supermarkt nähren romantische Illusionen. Hinter der Aktion dürfte nicht mehr als Marketing stehen. Ein Kommentar.

Ein Marketingerfolg war das neueste Lockangebot von Penny in jedem Fall: Die Tagesschau berichtete zur besten Sendezeit und fast jede Tageszeitung erwähnte das "Experiment".

Eine Woche lang verlangt der Discounter Penny für neun seiner mehr als 3.000 Produkte die vermeintlichen "wahren Preise" – also den Betrag, der angeblich bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden berechnet werden müsste. Ein massiver Preisaufschlag: Wiener Würstchen kosten plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro. Mozzarella statt 89 Cent nun 1,55 Euro und Fruchtjoghurt 1,56 Euro statt 1,19 Euro.

"Wahre Preise", das klingt sofort wie eine der vielen Lebenslügen des Kapitalismus. Es klingt wie: "Alles könnte besser sein". Es klingt wie Homeoffice und Nachhaltigkeit, wie Augenhöhe und Inklusion. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Manipuliert wird immer

Manipuliert wurde im Supermarkt immer. Dafür, mehr zu kaufen; dafür, teurere oder überteuerte Ware in den Einkaufswagen zu laden; Lockangebote saugten die Menschen in den Supermarkt hinein, unlogisch eingeräumte Waren und verwirrend aufgestellte Regale sorgten dafür, dass die Kunden sich darin bewegten wie Theseus im Labyrinth, aber ohne Ariadnefaden.

Was jetzt passiert, ist aber etwas anderes als die gute alte Manipulation. Es ist die Umerziehung für den vermeintlich guten Zweck. Jetzt fangen die Supermärkte also an, ihre Kunden auch zu erziehen.

Berechnet werden diese angeblich "wahren" Preise, in dem neben den üblichen Herstellungskosten auch Annahmen über die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit einberechnet werden. Wissenschaftlern der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald werden hier als Beteiligte genannt.

"Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir so tun, als hätte die heutige Lebensmittelproduktion keine versteckten Umweltfolgekosten", sagt Amelie Michalke, die an der Universität Greifswald die ökologischen und sozialen Effekte der landwirtschaftlichen Produktion untersucht. Diese Kosten spiegelten sich zwar nicht im Ladenpreis wider, doch fielen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last. Weil Ressourcen verbraucht werden, Emissionen entstehen und Menschen aufgrund möglicher Folgeerkrankungen unter Umständen häufiger ins Krankenhaus müssen.

Einseitig, künstlich und willkürlich

Was steckt dahinter? Müssten denn Lebensmittel eigentlich teurer sein? Nein! Ganz und gar nicht. Tatsächlich bilden sich Preise am Markt nach Angebot und Nachfrage. Die Penny-Waren sind nicht deshalb so billig, weil bestimmte Kosten nicht eingepreist sind, sondern weil Konsumenten für sie keine höheren Preise bezahlen würden.

Wovon Ökoaktivisten und Supermarktmanager wahrlich träumen, wenn sie von "wahren Preisen" reden, und der Umwelt nun ein Preisschild anhängen und dies auf Supermarktpreise aufschlagen, sind künstliche, nicht marktkonforme Preise. Es ist das einseitige Einpreisen bestimmter gesellschaftspolitisch als gewünscht empfundener Faktoren. Andere dagegen bleiben außen vor.

"Wahre Preise" könnten auch Preise ohne Steuern sein, oder mit reduzierter Mehrwertsteuer. "Wahre Preise" müssten jedenfalls auch eine angemessene und faire Bezahlung der Produzenten einberechnen – dies fehlt in den Berechnungen der Pennywissenschaftler ebenso wie andere Faktoren, etwa das Tierwohl.

"Wahre Preise" müssten zugleich jedenfalls auch deutlich machen, welche Zusatzkosten denn andererseits auf Staat und Bürger zukämen, wenn staatliche Förderungen – etwa für die "böse" einheimische Landwirtschaft – wegfielen.

Ein weiterer Widerspruch: Wenn Penny die Preise aufschlägt, um auch etwa höhere Steuern oder teurere Versicherungen abzudecken, deren Kosten jetzt versteckt seien, so müssten diese dann eigentlich andernorts wegfallen. So sind die Verbraucher eine Woche lang doppelt belastet.

"Anständige Menschen zahlen wahre Preise"

Klarerweise ist ausgerechnet ein Discounter-Supermarkt auch ein sehr spezieller Ort, um über wahre Preise, über Umweltkosten und Ausbeutung zu debattieren. Dieser Ort nähert nicht zuletzt die Illusion, als seien billige Preise das Hauptproblem und als gäbe es in teuren Geschäften oder in politisch korrekten Einkaufsorten weniger Ausbeutung und versteckte Umweltkosten. Man könnte mal die wahren Preise im Biomarkt und im Reformhaus ausweisen, oder in den Hipsterläden von Berlin-Mitte.

Tatsächlich ist die Debatte um "wahre Preise" nur eine weitere jener Luxus-Debatten, die vom Eigentlichen ablenken und nur ein paar "Happy Few" beschäftigen, während die Probleme eines Großteils der Gesellschaft auch in den Wohlfahrtsstaaten mit der Frage nach "wahren Preisen" überhaupt nicht adressiert werden. Stattdessen wird im Augenblick der Krisenmultiplikation noch ein weiteres zusätzliches Drohszenario errichtet: Als wäre die gemeine Inflation nicht genug, droht nun auch den Normalkonsumenten eine weitere künstliche Inflation durch Gutmenschenmoral. "Anständige Menschen zahlen wahre Preise" wird suggeriert.

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