Großer Erfolg, wenig Presse

Ausländische Absolventen können problemlos Stellen annehmen

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Während sich die Große Koalition mit der höchst hypothetischen Frage des Abschusses entführter Passagiermaschinen vordergründig in eine Krise redet, fallen im Hintergrund wichtige und, mitunter, höchst sinnvolle Entscheidungen.

Bei der Kabinettsklausur von Meseberg im August war auch der Zugang zum Arbeitsmarkt ein Thema. Neben der Abschaffung der Vorrangprüfung (dazu unten mehr) für bestimmte Ingenieure aus den zehn osteuropäischen EU-Staaten ging es auch um Erleichterungen für alle Ausländer, die einen Abschluss an einer deutschen Universität abgelegt haben. In den ersten Meldungen hieß es, dass sie ohne Vorrangprüfung drei Jahre in ihrem Beruf arbeiten können.

Nunmehr liegt der Verordnungsentwurf des Arbeitsministeriums vor - und von drei Jahren ist nicht mehr die Rede. Wer einen Abschluss an einer deutschen Hochschule erwirbt, kann unabhängig von der Staatsangehörigkeit (d.h. die Regelungen gelten gleichermaßen für nicht-EU-Bürger!) eine Beschäftigung aufnehmen, der seiner Ausbildung entspricht.

Die Vorrangprüfung

Dies ist eine nicht zu unterschätzende Wende. Denn bislang war dies theoretisch auch möglich, doch praktisch war erst die so genannte Vorrangprüfung zu überstehen. Sie soll garantieren, dass kein „bevorrechtigter Arbeitnehmer“ (d.h. Deutscher, Angehöriger eines anderes EU-15-Staats oder sonstiger Inhaber einer Arbeitserlaubnis) für den Platz zur Verfügung steht. Der Arbeitgeber muss seine Bemühungen, einen bevorrechtigten Arbeitnehmer zu finden, nachweisen, und die Bundesagentur kann auch selbst geeignete, bevorrechtigte Bewerber vorschlagen, die der Arbeitgeber nur zurückweisen darf, wenn er dafür objektive Gründe ins Feld führen kann.

Das Verfahren mag im Bereich der gering qualifizierten Arbeitslosen sinnvoll sein, doch bei den Hochqualifizierten war es dies nie. Denn ob ein Bewerber eine Stelle bekam, hing so nämlich mehr von Zufällen und seiner Findigkeit (bzw. der des Arbeitgebers) ab, als von seiner Qualifikation.

Angenommen, eine kleine Softwarefirma wollte unbedingt einen mongolischen Mathematik-Absolventen anstellen: War der Chef schlau genug, schrieb er „1. Java, C++, 2. Monglische Sprachkenntnisse (fließend)“ in die Stellenbeschreibung, und die Bemühung der Arbeitsagentur, bevorrechtigte Ausländer aufzutreiben, dürften sich damit auf einen sehr überschaubaren Personenkreis beschränken. War der Student/Absolvent findig genug, erklärte der dem Chef vielleicht sogar vorher, wie das Spiel funktioniert.

Bei Großfirmen war die Angelegenheit vergleichbar. Zwar mag es dort stets Abteilungen geben, die sich mit der Prozedur auskennen - was aber nicht heißen muss, dass dies überall bekannt ist. Zwei Anekdoten aus dem persönlichen Bekanntenkreis. Eine Person hatte bereits eine feste Zusage für eine Stelle bei einem DAX-Unternehmen und sagte dem Abteilungsleiter noch, man müsse eben die Vorrangprüfungszeremonie hinter sich bringen. Der meinte, er habe noch nie so etwas gemacht und wüsste auch nicht, wer im Konzern dafür zuständig sei. Ein paar Tage später kam die schriftliche Absage. Anderes DAX-Unternehmen: Ein ausländischer Werkstudent hatte seine 90 Tage ausgeschöpft, der Abteilungsleiter wollte ihn weiterbeschäftigen. Der Student erklärt ihm, das gehe nicht. Der Abteilungsleiter lacht und meint, das mit der Vorrangprüfung sei Routine, und es gebe Leute im Konzern, die sich nur darum kümmern. Die Verlängerung war kein Problem.

Im bisherigen Modell konnten also die Absolventen im Land gehalten werden, die entweder selbst erfahren genug im Behördenkleinkrieg waren oder aber das Glück hatten, an clevere Einsteller zu gelangen. Wer nichts von diesen Möglichkeiten wusste, sich bei den falschen Firmen bewarb oder Papierkrieg scheute, ging ins Heimatland zurück oder wich in Länder aus, die hochqualifizierten Bewerbern weniger Steine in den Weg legten.

Die Neuregelung beendet auch die groteske Situation, dass z. B. ein singapurischer Student in Deutschland im Vergleich zur Heimat einen Bruchteil an Studiengebühren zahlt, er aber nur unter Schwierigkeiten die Möglichkeit hatte, dies als künftiger deutscher Steuerzahler zurückzuzahlen. Umgekehrt würde ein Deutscher, der für wenig oder kein Geld in Deutschland studiert hat, mit Handkuss in Singapur genommen.

Praktische Informationen zur Neuregelung

Erstens wird sie am 1. November in Kraft treten. Ausländer, die derzeit an ihrem Abschluss arbeiten und sich auf Jobs mit Arbeitsantritt nach dem 1. November bewerben wollen, können dies bereits mit Verweis auf den Entfall der Vorrangprüfung, da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist und deswegen mit relativ großer Sicherheit zu diesem Termin kommen wird.

Zweitens gilt der Entfall der Vorrangprüfung für „jede ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung“. Das mag unproblematisch für Ingenieure, Ärzte oder andere Brotberufe sein. Aber der arbeitslose guatemaltekische Soziologie-Absolvent könnte auf Schwierigkeiten stoßen, falls er einen Job im selben Taxi-Unternehmen annehmen will wie seine deutschen Ex-Kommilitonen und darlegt, dass dies die seiner Ausbildung entsprechende Beschäftigung ist. Da es noch keinerlei Ausführungsbestimmungen gibt, ist unklar, wie dies genau gehandhabt wird. Bei geisteswissenschaftlichen Studienfächern ohne klares Berufsbild könnte es also möglicherweise Schwierigkeiten geben, wenn dem Beamten nicht klar ist, dass dies übliche Berufe für derartige Absolventen sind (so sind etwa PR-Agenturen von Geisteswissenschaftlern aller Fachrichtungen besetzt, ohne dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Studieninhalt und Tätigkeit gibt).

Drittens haben ausländische Hochschulabsolventen bereits seit dem Zuwanderungsgesetz (also seit 1.1.2005) die Möglichkeit, ein weiteres Jahr in Deutschland zur Suche eines Arbeitsplatzes zu verbleiben. Insofern bleibt also genug Zeit für die Stellensuche.