Großes Unbehagen in der Kultur
Die Filmemacher Michael Moore und Jeff Gibbs veröffentlichen anlässlich des 50. World Earth Days mit "Planet of the Humans" einen filmischen Horrortrip, der deutlich die Schwierigkeiten der "grünen" Energiewende aufzeigt
Es ist Ende April des Jahres 2020 in Wien. Es hat seit Wochen nicht oder nur sehr wenig geregnet. Eine staubtrockene Luft hängt zwischen den Häusern. Menschen mit Allergien verlassen ihre Zimmer kaum und auch wer sonst keinen "Heuschnupfen" hat, spürt die Unzahl an Pollen, die nicht aus der Luft gewaschen werden. In Niederösterreich gab es bereits ausgedehnte Waldbrände, die Gefahrenwarnstufe ist hoch. Die Böden sind tief ausgetrocknet und Landwirte befürchten Missernten. Dank Corona beschäftigt sich die Öffentlichkeit kaum mit der katastrophalen Umweltsituation unterhalb der Pandemie-Katastrophe. Um das Physical Distancing zu erleichtern, hob die Stadt Wien zeitweilig die Parkzonen auf und der Automobilverkehr in der Stadt brummt.
Szenenwechsel. Michael Moore sitzt in seinem New Yorker Appartement. Er freut sich darüber, dass die Straßen leer sind, weil erstaunlich viele der sonst so rebellischen New Yorker sich an die Ausgangsbeschränkungen halten. Moore ist in die "Late Show" von Stephen Colbert gekommen. Während der Corona-Pandemie bedeutet dies, er wird per Videokonferenz zugeschaltet. So geht Fernsehen in der Krise.
Colbert möchte wissen, um was es in dem Film "Planet of the Humans" geht und Moore ist es etwas unangenehm, das Thema zu umreißen, denn es solle nicht zu sehr nach Weltuntergang klingen. Es ginge ihm schließlich auch um Hoffnung. Zum Abschluss singt er den etwas kitschigen Song der US-Country-Sängerin Mary Chapin Carpenter "Why Shouldn't We": "God is all around/ Buddha's at the gate/ Allah hears your prayers/ It's not too late."
Wer sich zuvor noch nicht gefürchtet hat, dem wird durch diese paradoxe Intention Moores das Fürchten gelehrt.
The world according to Moore
Der ideale Filmemacher sei, laut Federico Fellini, eine Mischung aus Krawattenverkäufer und Heiligem. Michael Moore verkörpert diese idealtypisch. Seine revolutionäre Heiligkeit gewann er durch die richtige Vorhersage von Trumps Wahlsieg im Jahr 2016. Er hatte insbesondere die Strahlkraft Trumps in Moores Heimatstaat Michigan gut erkannt. Die Frage ist, ob Trumps Erfolg zunächst nicht grundsätzlich leicht zu durchschauen ist.
Die besondere Verwobenheit von Trump als Medienstar, der der Medienmaschinerie regelmäßig die benötigten Sensatiönchen liefert, ist vielen aufgefallen. Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass in einer Mediendemokratie kaum ein Kraut gegen das Gebaren Trumps gewachsen zu sein scheint. An diesem Phänomen einer gewissen Unbesiegbarkeit innerhalb der bestehenden medialen Spielregeln beißen sich die Kommentatoren regelmäßig die Zähne aus.
Michael Moore wird gerne als Gegengift zu Trump gehandelt, nicht zuletzt weil er gewisse Eigenschaften mit Trump teilt. Moore ist genau besehen zuweilen autoritär und aufgeblasen. Die Redaktion der linken US-Zeitschrift "Mother Jones" kann ein Lied davon singen. Sie haben Moore als Chefredakteur bald rausgeschmissen und wurden von diesem existenzbedrohend auf Verdienstausfall in Millionenhöhe verklagt. Mit Moore ist nicht immer gut Kumbaya.
Nachweislich hat er Szenen in seinen Dokumentarfilmen gefälscht oder zumindest frisiert, wie beispielsweise jene legendäre Szene, als er in "Bowling for Columbine" zur Eröffnung eines Kontos ein Gewehr ausgehändigt bekommt. Die Bankmitarbeiter mussten zu dieser, von der Bank nicht vorgesehenen Praxis erst überredet werden. Moore geht gerne auf den Effekt, wenn die Realität nicht genug hergibt - und das macht sicherlich einen Teil seines Erfolges aus.
Planet der Menschen
Auch der von Moore produzierte Film "Planet of the Humans" ist unverkennbar manipulativ gestaltet und muss deshalb mit gewisser Vorsicht genossen werden. In den USA wird er gerade von verschiedenen Umweltorganisationen aufs heftigste kritisiert. Gleichzeitig hat der Film manche Organisationen bereits zu Eingeständnissen bewogen, indem diese gewisse Geschäftszweige und die Bewerbung einiger Fonds aufgegeben haben.
Die NGOs in den USA sind wie Konzerne organisiert und allein dies spricht Bände. Dass der Film deren Praxis überprüft, ist gut und überhaupt kann der Film vieles eindrucksvoll aufzeigen. Er beginnt mit einem nächtlichen Flug über die nächtliche Erde und erinnert in seiner Gestaltung an ein Science Fiction B-Movie. Der Blick vom Raumschiff auf die Erde zeigt, dass da unten wirklich viel Licht leuchtet. Sicherlich sind die Aufnahmen nachbearbeitet, aber keine Frage, es brennt eine Riesenmenge Straßenlaternen neben den unzähligen Straßen und Wegen auf Erden und die müssen irgendwoher ihre Energie nehmen.
Der Regisseur des Films Jeff Gibbs, der mit Moore gut befreundet ist, personalisiert seine Spurensuche in der Umweltbewegung geschickt. Bereits als Neunjähriger habe er Sand in den Tank eines Bulldozers gegossen, der Bäume planieren sollte, und dafür muss man Gibbs ein wenig mögen. Bald fallen dem jungen Umweltaktivisten Gibbs allerdings gewisse Widersprüche auf und er wird zum Skeptiker.
Eindrucksvoll kann Gibbs dies an der Präsidentschaft Barack Obamas festmachen. Mit dem Hopey-Changey-Präsidenten (Sarah Palin) sollte eine Welle der grünen Energie die Welt beglücken. Dass an der Sache etwas faul war, fiel auch den nur halbaufmerksamen Beobachtern spätestens dann auf, als Sir Richard Branson die Bühne betrat. Der stets gut gelaunte Milliardär Branson mit interstellaren Ambitionen wollte zuletzt wegen der Corona-Krise seine Virgin-Airline vom britischen Staat retten lassen und bot dafür seine Insel Neckar-Island als Sicherheit an. Die Story zeigt gut, wieviel Chuzpe in Branson steckt.
Als "Sicherheit" für britische Steuergelder, die er nicht bezahlt hat, denn er lebt ja schließlich in der Karibik, bietet er eine Insel auf, die gerade in eben diesem karibischen Meer versinkt. Und sie versinkt übrigens wegen des steigenden Meeresspiegels aufgrund der globalen Erwärmung, die wiederum einiges mit dem ständig steigenden Flugverkehr zu tun haben könnte, an dem Bransons Virgin-Airline nicht ganz unschuldig ist. Bond-Bösewichte müssten sicherlich mit der Zunge schnalzen, angesichts des milliardenschweren ausbeuterischen Imperiums und gleichzeitig der Unverschämtheit Bransons, sich als Weltretter zu gebärden.
Richard Branson ficht dies alles nicht an, das Fliegen sei schneller ökologisch, als jemand "Betrüger" rufen kann, denn schließlich wurde bereits ein Flug über den Ozean mit Palmöl im Tank absolviert. Die Affen hatte man zu diesem Zweck kurz von den Bäumen gebeten, damit ausreichend Palmen gepflanzt werden konnten.
Ex-Präsident Barack Obama nun ist ein guter Freund Bransons und alle von der Obama-Administration initiierten Initiativen zur ökologischen Umgestaltung der Wirtschaft gingen nach hinten los. Die Milliardeninvestitionen führten zu keinerlei Verbesserung. Jeder Mensch im globalen Norden kann dies am eigenen Leben gut festmachen. Wer lebte vor zehn Jahren nicht ökologischer, weil energieärmer als heute? Um von vor zwanzig oder dreißig Jahren einmal zu schweigen.
Ständige Flugreisen, tägliche Paketpost, Funktelefone und frische Erdbeeren in der Weihnachtszeit waren damals noch unbekannt. Der Film zeigt gut auf, wenn Milliardäre, seien es Branson, Bloomberg oder die berüchtigten Koch-Zwillinge, investieren, dann tun sie dies zur Steigerung ihrer Profite und die bedürfen eben der Ausweitung der handelbaren Güter und des Zuwachses an Energie. Letztere kann gerne auch als "grün" gelabelt werden, wichtig ist, dass sie hinzukommt zu dem bisherigen Berg gigantischer Konsumation.
Unlösbare Probleme der Energieversorgung
Die Tücke steckt aber bereits auch im wohlmeinenden Versuch, ökologischer zu leben. Der Film erläutert dies sorgfältig. Der Regisseur Jeff Gibbs besucht ein Solarfestival, das seinen Energiebedarf ganz aus Sonnenenergie speisen will. Die Paneele liefern nach einsetzendem Regen nicht genügend Strom für die Musikanlage, obwohl diese nicht gerade viel Strom braucht. Biodiesel muss per Generator aushelfen, aber auch der reicht nicht und folglich hängt das Festival am Netz.
Es ist mit Sonnen- oder Windkraft kaum möglich, ein Stromnetz stabil zu halten, weil dieses keine Energie speichern kann. Deswegen müssen herkömmliche Kraftwerke einspringen und dies tun sie auf Kosten ihrer eigenen Effizienz. Mitunter wäre es sparsamer, die Kohlekraftwerke durchlaufen zu lassen, ohne ihre Produktion durch einsetzende Solarleistungsspitzen zu unterbrechen.
Jede "grüne Lösung" ist an ungeheure Energieinvestitionen geknüpft und immer ist Kohle und Erdgas mit im Mix. Solarpaneele müssen aus Quarz und Kohle gefertigt werden. Ihre Haltbarkeit ist nicht sonderlich hoch. Überhaupt müssen sehr viele Stoffe aus dem Boden gewonnen werden, um Elektro-Installationen, insbesondere um Batterien zu fertigen. Das ganze Konzept des "keep it in the ground" wird allein damit konterkariert. Die großen Solartürme in Kalifornien sind, wie Robert F. Kennedy Jr. im Film zugibt, eigentlich Gaskraftwerke.
Man verbindet die Gasturbinen auf einen Turm und lässt dessen Spitze von Spiegeln aufheizen. Anlaufen kann der Apparat aber nur nach stundenlangem Betrieb mit Erdgas. Die Spiegel (sie werden von der Firma Guardian Industrie hergestellt, die den beiden Erdölmagnaten Koch gehört) gehen bald kaputt, zurück bleibt eine verwüstete Wüste. Das überraschend reiche Leben in der kalifornischen Mohave-Wüste musste nämlich für den Bau der Solaranlagen zerstört werden, die nach wenigen Jahren lebensfeindliche Industrieruinen sind.
Alle Energieversorgungen brauchen ein gewisses Maß an "Mountaintop-Removal", also sehr schwerwiegende Eingriffe in die Natur. Ob für Speicherkraftwerke oder für Windparks, immer muss tief in die Natur und Landschaft eingegriffen werden und viel pflanzliches oder tierisches Leben wird dabei zerstört.
In dem US-Film wird gerne das Beispiel Deutschland als strahlendes Beispiel herangezogen für seine angebliche Energiewende. Aber auch in Deutschland ist die meiste grüne Energie Biomasse. Die Biomasseanlagen sind oftmals maskierte Gaskraftwerke und der enorme Erdgashunger Deutschlands ist offenkundig. Anhand mehrerer Anlagen in den USA wird aufgezeigt, wie beispielsweise Holzschnitzelverbrenner nie genug Brennmaterial haben. Sie werden deshalb mit anderen Stoffen befüllt, wie etwa gebrauchte Autoreifen. Dies muss teilweise auch geschehen, um genügend Hitze in den Brennkammern zu erreichen.
Der Schadstoffausstoß ist somit enorm. Die Holzschnitzel sind wiederum nicht Abfallstoffe der Holzindustrie, sondern eigens zum Verbrennen gefällte und zerhäckselte Bäume. Für den europäischen und deutschen Markt müssen die Bäume aus Brasilien oder Indonesien importiert werden, was wiederum enorme Energien verbraucht. Um annährend genügend Bäume zum Verbrennen wachsen zu lassen, ist eine Düngung der Böden nötig und diese geschieht mit Erdölprodukten. Die Katze beißt sich somit überall kräftig in den Schwanz.
Ein existenzieller Horrortrip
Der Film verdeutlicht, dass die Probleme einer Industriegesellschaft sich kaum mit industriellen Mitteln lösen lassen. Zwar ist die Energie der Sonne und des Windes "erneuerbar", aber nicht die Maschinen, die diese Energie nutzen. Diese müssen auf herkömmlichen Weg mittels Aufwendung großer Mengen Energie aus Gas, Kohle und Kernenergie hergestellt werden und bestehen selbst wiederum aus Materialien, die kaum ersetzbar sind. Die Haltbarkeit der unterschiedlichen Maschinen, der angeblich erneuerbaren Energieversorgung, ist teilweise bestürzend gering. Recycling ist mitunter unmöglich oder selbst wiederum sehr energieaufwendig.
Jeff Gibbs befürchtet, die Umweltbewegung sei weitgehend einem betrügerischen Plot reicher Investoren aufgesessen, denen es geschickt gelungen ist, das alte industrielle Regime in seiner Logik aufrechtzuerhalten und ein wenig grün zu färben. Es gibt eine "grüne Revolution", bei der die Reichtums- und Machtverhältnisse bleiben und das zerstörerische Werk des Kapitalismus ungehindert fortgesetzt werden darf.
Ikonen der Umweltbewegung, wie der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore sind längst in scheinbar umweltfreundliche Firmengespinste verwoben, hinter denen immer Erdölgesellschaften zu stecken scheinen. Das ganze wäre ärgerlich genug, wenn es nicht schon längst existenzbedrohend für die menschliche Zivilisation wäre.
In einer der stärksten Sequenzen des Films besucht Jeff Gibbs den Sozialpsychologen Sheldon Solomon. In dem menschlichen Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen scheint eine eigentümliche Todesleugnung zu liegen. Rechte Auslegungen bedienen sich gerne der Religion und postulieren insgeheim, der liebe Gott würde irgendwie und irgendwo immer für ausreichend Erdöl sorgen. Die Vermutung Solomons ist, dass die "linke" und aufgeklärte Haltung kaum weniger naiv ist. Sie postuliert eine Unsterblichkeit der Spezies und ein Aufgehobensein in der jeweils eigenen Kultur, die dadurch die Zufälligkeit und Vergänglichkeit dieser Lebensumstände übersieht. Dies steht dem jetzt nötigen gemeinsamen Überlebenskampf im Wege.
Die eigenen, kulturellen Überzeugungen müssten zunächst verändert und der Gedanke gestärkt werden, dass eine Überwindung der jetzigen Form menschlicher Zivilisation nötig ist. Eine Umwertung aller Werte, die sich äußerst schwierig gestalten dürfte, insbesondere in der nurmehr knappen Zeit, die noch verbleibt. Die Gefahr tödlicher Irrtümer aus Irrglauben sei erschreckend groß. Solomon gibt als Lektüretipp noch Albert Camus mit auf den Weg. Wir müssen uns den Umweltaktivisten somit als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Von einem Film, der mit dem depressiven Beat von Radiohead unterlegt wird, darf man sich keine Aufmunterung erwarten. Sicherlich besteht die Gefahr, dass der Film sich in einer effektvoll dargelegten Ausweglosigkeit verfängt. Nur Jeff Gibbs erspart seinen Zusehern die abgedroschene Trickkiste Michael Moores weitgehend. Gibbs‘ holistische Sicht auf die Lage kann sachlich überzeugen und ist gerade deswegen so niederschmetternd. Unendliches Wachstum auf endlicher Erde sei eben Selbstmord, sagt Gibbs.
Die hier zugrundeliegende Analyse ist bereits hundert Jahre alt und damit doppelt so alt wie die Umweltbewegung. Sie stammt vom Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud. Es kann keine befriedigende industrielle Lösung für Probleme des Lebens in der Industriegesellschaft geben, weil jede Lösung die gleichen Probleme in leicht gewandelter Form erneut schafft. Das ist das "Unbehagen in der Kultur".
Vielleicht weist der Corona-Virus auf eine mögliche Lösung. In wenigen Wochen Lockdown wurde mehr für Luftqualität und Energieersparnis getan, als je durch die Ökobewegung erreicht wurde, die im Jahr 2020, am fünfzigsten Earth Day, ein ergebnisarmes Jubiläum feierte. Frühere weltweite Schadstoffeinsparungen waren immer mit Wachstumseinbußen durch Krisen einhergegangen. Die Wirtschaft schrumpft und die Natur atmet auf.
Deswegen muss eines ins allgemeine Bewusstsein sickern: Wer hofft, erneuerbare Energien würden Lösungen bieten, weil sie eines Tages effizienter sind, versucht nicht den Planeten zu retten, sondern die Illusion, es würde sich der bestehende Lebensstil durchhalten lassen. Wenn allen Menschen auf diesem Planeten ein würdiges Leben gewährleistet werden soll, dann wird dies ohne einen grundlegenden Wandel des Lebensstils nicht gehen.
Weil ohnehin alle Kinosäle auf der Erde geschlossen sind, kann der Film kostenlos im Internet angesehen werden: Planet oft he Humans.
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