Grüne Lunge als Motor der Stadtentwicklung in Kairo
Beispielhafte Bauprojekte in der ägyptischen Hauptstadt zeigen, wie eine Megacity ihre städtebaulichen und infrastrukturellen Probleme lösen kann
Eine Schutthalde verwandelt sich in einen Grüngürtel. Mitten in der Wüste entsteht ein neues Quartier. Mit einer Wasserversorgung, Kanalisation und Straßen sollen die Lebensbedingungen in einem als informelle Siedelung entstanden Wohngebiet verbessert werden. Um die Lebensbedingungen in Kairo langfristig in den Griff zu bekommen, gehen die Stadtplaner am Nil neue Wege. Einige der Projekte stellt die Ifa-Galerie Berlin in der Ausstellung "Kairo - Bauen und Planen für übermorgen" vor.
Staubige Gassen und baufällige Häuser, in denen Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Ohne Kanalisation erst recht ein schwer vorstellbarer Zustand. Eine regelmäßige Müllabfuhr gibt es in Darb Al-Ahmar nicht, einem der ärmsten Quartiere in Kairo. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen betrug hier 2003 rund 200 US-Dollar im Jahr. Die Hälfte davon wenden die Ägypter für Nahrungsmittel auf und nur drei Prozent für Miete.
Ein Grund für den fortwährenden Verfall vieler Gebäude sind ausgerechnet rechtliche Regelungen, die zum Schutz der Bewohner keine Erhöhung der Miete für ein bestehendes Gebäude erlauben. Seit Jahrzehnten zahlen sie denselben Betrag für ihre Wohnungen aufgrund uralter Verträge.
Statt ihre Bauten instand zu halten, hoffen deshalb viele Eigentümer auf einen Einsturz ihrer Häuser, um nach einem Neubau deutlich höhere Mieten zu erzielen. Ein Verfahren, mit dem der günstige Wohnraum im Armenhaus der ägyptischen Hauptstadt für Bewohner verloren gehen könnte, die sich eine andere Bleibe nicht leisten können. Mit einem Umzug ginge auch der Verlust überlebensnotwendiger sozialer Netzwerke aus familiären Bindungen einher, in dem zumindest manche ihren Unterhalt mit eigenen kleinen Firnen wie Tischlereien, als Fliesenmacher oder mit anderen Handwerken bestreiten können
An diesen sozialen Zusammenhalt knüpft auch eine Initiative des Aga Khan Trust for Culture an, der zusammen mit staatlichen Institutionen und Entwicklungshilfeorganisationen die Wohn- und Arbeitssituation der Bewohner verbessern hilft. arbeitet. Die Stiftung engagiert sich in muslimischen Ländern für den Erhalt historischer Städte.
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen ermöglicht nicht nur die Renovierung von Wohnhäuser und die Restaurierung von historischen Gebäuden und Monumenten, womit die Altstadt auch für Touristen an Attraktivität gewinnt, die Geld in die Kassen von Handel und Gastronomie bringen sollen.
Wirtschaftliche Impulse erhofft sich die Stiftung auch von Mikrokrediten, die die ansässigen Gewerbetreibenden und Einzelhändler erhalten. Wichtiger noch für viele Bewohner sind aber Darlehen, die sie selbst zur Renovierung und Erhalt ihrer Mietwohnungen bekommen können. Statt einfach nur Zuschüsse zu zahlen oder die Kosten gleich ganz zu übernehmen, setzt der Trust darauf, durch die Kreditvergabe die Eigeninitiative der Bewohner und deren Wertschätzung für die von ihnen bewohnten Häuser zu fördern. Vielen Mietern ist es so erstmals überhaupt möglich, etwas an ihrer bedrückenden Wohnsituation zu ändern.
Bis 2009 sollen mit rund vier Millionen Dollar 200 Häuser saniert sein, das entspricht einem Anteil von 13 % an allen Wohnungen in dem Viertel. Das mag nicht viel sein für ein Gebiet, in dem 200.000 Menschen leben. Aber immerhin kommt so die Sanierung überhaupt erst in Gang, wo vor wenigen Jahren noch der komplette Abriss ganzer Straßenzüge geplant war.
Einen zweiten Baustein des Projekts bilden soziale Projekte, für die weitere Gelder zur Verfügung stehen. Ein Gesundheitszentrum entsteht vor Ort, das den Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtert. Neue Bildungseinrichtungen bieten Schreibkurse an, die die Chancen auf eine regelmäßige Arbeit verbessern. Und erstmals gibt es Mülltonnen, die zu festgelegten Terminen geleert werden. Ein städtisches Unternehmen transportiert nun regelmäßig den Abfall ab. Allein 2005 flossen über drei Millionen in die sozioökonomische Entwicklung von Darb Al-Ahmar. Die Hälfte davon übernahm der von KFW gespeiste in Ägypten ansässige Social Fund for Development Gelder, 30 Prozent die Stiftung sowie 20 Prozent die Ford Foundation zusammen mit dem World Monuments Fund. "Alle diese Projekte werden realisiert in enger Abstimmung mit den Anwohnern, deren Bedürfnisse und Wünsche in den Planungsprozess einfließen", heißt es im Katalog. Unklar bleibt aber, wie diese Beteiligung aussieht und nach welchen Kriterien zum Beispiel die Kredite an wen vergeben werden.
Zum Motor des von der Aga Khan-Stiftung angestoßen Projekts wurde die Umwandlung einer Schutthalde in den Al-Azhar-Park. Eine fantastische Kulisse im Kontrast zu den fahlen hellen Häusern der unmittelbar angrenzenden Altstadt. Eine Rarität in einem Klima, das mit seinen hohen Temperaturen, einer geringen Luftfeuchtigkeit und wenig Regen alles andere als günstige Voraussetzungen für eine Grünanlage von 30 Hektar bietet.
Die riesige Fläche ist aufgeteilt in einen streng geometrisch angelegten islamischen Garten und einem nach englischen Vorbild gestalteten Landschaftspark, in dem sich die Wege durchs Gelände winden und zum Spazieren gehen einladen. Die größte Attraktion ist ein See mit einem Palmenhain, dem Symbol für die in der Wüste überlebenswichtige Oase.
Grünanlage als Meltingpoint
Der Park sei ein gesellschaftliches Novum, so Stefano Bianco von der Aga Khan-Stiftung. Anders als für vergleichbare Anlagen in Afrika und Arabien, die laut Bianco als Prestigeobjekte entstehen und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, steht die grüne Lunge Kairos allen Einwohnern offen. "Dabei kam es darauf an, eine soziale Kompatibilität aller Schichten beim Parkbesuch zu ermöglichen", sagt Bianco.
Die Einwohner von Darb Al-Ahmar, das Viertel grenzt direkt an den Park, zahlen umgerechnet nur wenige Cent Eintritt. Freilich dürften für sie die schicken Restaurants unerschwinglich sein, von denen man einen traumhaften Blick über das Gelände und in die Stadt genießen kann, mit dem wohlhabende Kreise in den Park gelockt werden. Dabei versteht der Aga Kahn-Trust diese exklusiven Angebote als einen Versuch, die strenge Segregation der ägyptischen Bevölkerung zu durchbrechen. Der Park erfreue sich auch bei der Oberschicht großer Beliebtheit, so Bianco, die bisher die Altstadt mied. Das Viertel und sein reiches Kulturerbe profitiere nun von der unmittelbaren Lage am Park. und erfahre so eine Aufwertung. Ob das auch langfristig die angestoßene Stadtentwicklung fördern wird, ist aber heute noch völlig unklar. Wirksamer und hilfreichen sind in jedem Fall Bildungs- und Gesundheitsangebote, wie sie im Stadtteil nun angeboten werden.
Hilfe zur Selbsthilfe
Ein Problem vieler Megacities, aber zugleich auch eine Chance für die Stadtentwicklung, auf vorhandene soziale Strukturen aufzubauen, sind informelle Siedelungen, in denen sich Zuwanderer aus den ländlichen Gebieten niedergelassen haben. Im Kairoer Ballungsraum lebt mittlerweile jeder zweite Bewohner in solchen Gebieten. Aber nicht immer entstehen daraus planlos und unkontrolliert wachsende Slums, in denen die Menschen in katastrophalen Verhältnissen hausen.
Manshiet Nasser zum Beispiel ist ein mit mehrstöckigen Häusern bebaute illegaler Stadtteil Kairos. Auf den Geschäftsstraßen mit ihren Teehäusern, Läden und Handwerksbetrieben herrscht reges Treiben. Die Häuser sind meist schlichte Würfel, die sich über das felsige Wüstenland ausbreiten.
Heute leben 600.0000 Einwohner in dem Quartier, das seit den 1960er Jahren entstand. Zuwanderer aus Oberägypten und verarmte, aus dem Kairoer Zentrum vertriebene Bevölkerungsteile besetzten das brach liegende Land. Ohne Baugenehmigung errichteten sie auf staatlichem Grund ihre Wohnungen.
Nicht anders als in Darb Al-Ahmar ist die Infrastruktur schlecht oder gar nicht ausgebaut. Nach über 30 Jahren plante das Wohnungsministerium schließlich, Manshiet Nasser abzureißen. Erst nach dem die Entwicklungshilfeorganisation GTZ ein Pilotprojekt startete, stimmten auch weitere Behörden dem Erhalt des Viertels zu.
Dabei musste die Organisation auch die schwierige Kooperation verschiedener Verwaltungen moderieren, von denen jede erst vom Sinn und der Notwendigkeit des Vorhabens überzeugt werden musste. Dass mehre Ämter statt sich zu blockieren am selben Strang ziehen, scheint für ägyptische Verhältnisse nicht selbstverständlich zu sein. "Die Partizipation der Bürger ist im Alltag der autoritär geprägten Verwaltung nach wie vor ein Fremdwort" schreibt Thomas Vester in einem Bericht für die GTZ.
Die Bewohner waren von Anfang an in die Planungen mit einbezogen, über deren Beteiligung aber weder die Ausstellung noch der Katalog genaueres berichten. Thomas Vester schreibt dazu: "Sie wünschen sich ein Zentrum zur Förderung des Kleingewerbes, ein Beratungsbüro für Gewerbetreibende und Möglichkeiten für die Jugend, sich an Computern auszubilden Die Behörden ließen sich halbherzig überzeugen. Nur langsam sehen sie ein, dass ihre gut gemeinten aber häufig teuren und von oben verordneten Großprojekte an den vitalen Interessen der Menschen vorbeigeplant waren." Immerhin erfährt man im Katalog, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit, sich als erfolgreicher und nachhaltiger erwiesen habe als die reine Verwaltung und Planung `von oben´.
Laut Vester seien Erfolge schnell sichtbar geworden. Straßen, eine Wasserversorgung und Kanalisation werden gebaut, Schulen und kleine Parkanlagen. Um die größten Missstände beheben zu können und für alle, die illegal gebaut haben, Rechtssicherheit zu schaffen, müssen aber die Besitzverhältnisse der bestehenden Häuser noch legalisiert werden. Bauherren, die zugleich Besitzer und Vermieter sind, können den Grund und Boden nachträglich von der Stadt erwerben.
"In den Gassen von Manshiet Nasser und Boulaq El Dakrour (einem benachbarten Viertel) errichten Siedler und Privatinvestoren inzwischen solide Backstein- und Stahlbetonhäuser. Wenn das Erdgeschoss steht, wird je nach Budget aufgestockt. Bisweilen kann sich der Bauherr fünf bis sechs Etagen für die gesamte Familie leisten. Die bessere Planung der Infrastruktur trägt dazu bei, dass die Menschen in den informellen Wohnvierteln am ehesten noch ein Auskommen finden", so Vester weiter. Allein Ägyptens informelle Privatwirtschaft biete in diesen Gebieten mit ihrem komplexen Beziehungsgeflecht inzwischen schon rund 80 Prozent der Bevölkerung eine Arbeit.
Bauen in der Wüste
Während in Manshiet Nasser überhaupt erst grundlegende Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben geschaffen werden müssen, entstehen Luxuswohnungen in einer Satellitenstadt inmitten der Wüste für 2,5 Millionen Einwohner. Eine städtebauliche Idee scheint mit dem Bau von "New Cairo" nicht verbunden zu sein, das die Ifa-Galerie als eines der ambitionierten Neubauprojekte in Ägypten vorstellt. Immerhin, wer aus der übervölkerten Kernstadt in die "gated communities" ausweicht, in umzäunte und hoch gesicherte Wohnsiedelungen, der genießt vielleicht frischere Luft als den Kairoer Smog. Ansonsten bietet das Areal auch architektonisch nichts Bemerkenswertes. Die Villen und Apartmenthäuser könnten ebenso so gut rund um Las Vegas oder auf Mallorca stehen.
Aber auch in Kairo wird architektonisch anspruchsvoller geplant. Für den Neubau des Ägyptischen Museums wurde sogar zum zweiten Mal bei einem öffentlichen Bauvorhaben ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Eine Tatsache, die weniger architektonisch als politisch von Bedeutung ist, steht sie doch auch für die Öffnung und Demokratisierung Ägyptens. Und ist deshalb in einer Ausstellung über das Bauen für Übermorgen in Kairo wohl eine Erwähnung wert.
Ein Neubau gigantischen Ausmaßes soll in der Nähe der Pyramiden entstehen, gigantisch wie die historischen Monumente selbst. 92.000 Quadratmeter groß ist die überbaute Grundfläche des Museums, das vom irischen Architekturbüro Heneghan. Peng. Architects entworfen wurde. Das Büro, dessen Entwurf mit dem ersten Preis prämiert wurde, stellt sich das Gebäude wie ein Labyrinth aus vielen schräg stehenden Glasflächen vor. Neben der Bewahrung eines einzigartigen historischen Erbes geht von dem neuen Museum natürlich auch ein wirtschaftlicher Impuls aus für Kairo. 15. 000 Besucher täglich soll es anlocken, viele darunter Touristen.
Ob die vorgestellten Projekte wegweisend für die zukünftige Stadtentwicklung in Kairo sein werden, lässt sich heute noch nicht absehen. Dafür lässt die Ausstellung in der Ifa-Galerie auch zu viele Fragen offen. Eher gewinnt man den Eindruck, dass es sich hier um einzelne Maßnahmen handelt, die im Kleinen eine große Wirkung entfalten, aber nicht auf die Stadt insgesamt ausstrahlen.
Das Bauen und Planen für die Megacity am Nil im 21. Jahrhundert stößt immer wieder nicht zuletzt an finanzielle Grenzen. So entsteht zwar mit New Cairo City ein ganzer Stadtteil neu. Für eine Anbindung an das Zentrum über den öffentlichen Nahverkehr etwa mit einer U-Bahn fehlt nun aber das Geld. Und nicht nur für große Verkehrsprojekte stehen keine Mittel bereit. Umso wichtiger und chancenreicher sind Vorhaben in den Vierteln selbst wie in Manshiet Nasser oder Darb Al-Ahmar, die mit der Hilfe zur Selbsthilfe auch die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner zum Ausgangspunkt der Stadtplanung machen.