Grüner Schleim statt rotem Blut
Wie gefährlich sind Computerspiele wirklich und reicht die Selbstkontrolle der Softwareindustrie zum Schutz der Kids?
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle setzt sich seit fünf Jahren für den Jugendschutz bei Computerspielen ein. Doch weiß sie wirklich, was gespielt wird? Die Debatte um Jugendschutz bei Computerspielen und die Zukunft der Selbstkontrolle geht in die nächste Runde: Das Bundesjugendministerium will auf die in der Softwarebranche angesiedelten Fachkenntnisse nicht verzichten, fordert aber eine Gleichbehandlung des Spielesektors mit der Film- und Fernsehbranche.
Nirgends rollen die Köpfe so schnell, nirgends spritzt das Blut so rot wie in beliebten Ballerspielen für den PC. Die Games mit den "3D-Shootern" heißen Doom, Quake, Turbo oder Highlander und sind bei den in die Heldenrolle schlüpfenden Kids am Drücker so beliebt, dass die Fortsetzungen nicht lange auf sich warten lassen.
Rund 750 Spiele erscheinen jedes Jahr auf dem deutschen Markt, der dem Geschäftsführer des Gameherstellers THQ, Jürgen Goeldner, zufolge beim Umsatz weltweit die zweite Stelle einnimmt. Oft verraten die Cover der CD-ROMs schon, dass Pixelblut im Spiel fließen wird. Doch sicher sein können sich die Spieler oder die besorgten Eltern auch bei zunächst harmlos erscheinenden Adventures nie, hinter welchem Strauch und auf welcher Ebene eines Games ein Killer auftauchen oder eine Kettensäge versteckt sein könnte. In einer Diskussionsrunde zum fünften Geburtstag der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) am Donnerstag im Berliner Hotel Interconti versuchten Experten daher zu klären, "was eigentlich gespielt wird" und ob der Jugendschutz im nächsten Jahrhundert noch zu gewährleisten sei.
In einem waren sich die Wissenschaftler, Politiker und Industrieabgesandten schnell einig: es gibt noch keine klaren Forschungsergebnisse, wie Spiele das Weltbild der Gameboy-Generation prägen. Medienwirkungsforschung ist auch beim Fernsehen ein umstrittenes Terrain, doch bei Computerspielen stehe man noch völlig am Anfang, sagte Elke Monssen-Engberding. Die Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BpjS) hat sich selbst in ihrer bisher neunjährigen Amtszeit über 3000 Videos und ebenso viele Computerspiele angeschaut, dabei so manches Werk auf den Index und sich selbst zwischen alle Stühle gesetzt. "Bestimmte Wirkungen" sind ihrer Ansicht nach nicht von der Hand zu weisen. So könnte ein Kind, das vor dem Medienkonsum Konflikte vielleicht verbal gelöst hätte, "dann eben zuschlagen". Aber bewiesen seien solche Folgen nicht und von monokausalen Erklärungen könne man nicht ausgehen. Unterschiedliche Lebensverhältnisse und Erziehungsansätze könnten das Verhalten von Kindern etwa genauso ändern wie der Medienkonsum. Computerspiele nähmen im Verhältnis zu Indizierungen anderer Medien momentan aber erst eine minimale Stelle ein.
Für mich sind Computerprogrammierer Künstler, die aus Nullen und Einsen komplexe Spielewelten zusammenzaubern.
Jürgen Goeldner, Spielepublisher und Mitbegründer der USK
Ihre Aufgabe sieht Monssen-Engberding vor allem im Abwägen - zwischen dem Schutz der Kunst und dem Jugendschutz etwa oder zwischen den Interessen der über 800 berechtigten Stellen, die auf eine Indexierung drängen können. Vor allem im Bereich Rechtsextremismus und bei sexuellen Darstellungen bestehe ein ständiger Rechtfertigungsdruck, da viele Jugendverbände das Vorgehen der BpjS als "zu lasch" empfänden.
Doch der Zeitgeist ändert sich rasch und wenn in den 60ern die Pornos und danach die Comics Stein des Anstosses waren, so sind es momentan die Computerspiele, die bei der BpjS zunächst als Kunst betrachtet werden. "Wir haben heute ein ganz anderes Weltbild", stellt die Jugendschützerin klar. Keiner könnte etwa mehr verstehen, dass bis 1966 schon die Darstellung eines nackten Körpers als schwer jugendgefährdend angesehen wurde. Noch heute kämen in Arabien zudem Bilder auf die schwarze Liste, auf denen Frauen ohne Schleier abgebildet werden. Die Lösung für den Jugendschutz könne daher nur lauten, sich am gesellschaftlichen Konsens zu orientieren, auf den sich eine Kultur oder ein Land geeinigt habe.
Doch was wäre, wenn die Games eine Spirale der Entmoralisierung auslösten und sich die gemeinsamen Werte auf immer niedrigerem Niveau bewegten? "Ich beobachte eine ungeheure Brutalisierung und Verfeinerung der Gewaltdarstellung selbst in nicht indizierten Spielen", äußerte sich auch Bernhard Serexhe vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) besorgt. Action würde immer öfter mit Gewalt verwechselt, das Abschalten nach dem Spiel würde immer schwieriger.
Tatsächlich weiß der dienstälteste Spieletester der USK, Marek Brunner, von bis zu 30 Sekunden langen Tötungsanimationen in Kampfspielen zu berichten. Während des eigentlichen Spiels bleibe aber keine Zeit, darauf zu achten. "Ich brauche eigentlich nur eine Rückmeldung, dass der Gegner erledigt ist", sagt der Informatikstudent. Niemand schaue sich exzessive Gewaltdarstellungen an, wenn der nächste Feind bereits auf dem Bildschirm erscheine.
Die grafische Perfektion allein wirke zudem "nur eine halbe Stunde", hat Brunner beim Testen von 672 Spielen für die USK an manchem langem Wochenende festgestellt. Danach sei allein das Spielekonzept entscheidend. Die Trennung zwischen Alltags- und Spielewelt scheint der professionelle Gamer, der jedes der getesteten Spiele - notfalls mit einem "Cheat-Sheet" aus dem Internet - bis zum bitteren Ende durchgespielt hat, allerdings noch recht gut hinzubekommen. "Ich kann mir nebenbei noch eine Freundin, eine Familie und Volleyball leisten. Spiele sind nicht alles, da können sie noch so gut werden."
Den Spieler interessiert nur der "Flow"
Ist die "verfeinerte" Grafikdarstellung von Gewalt in den Games also eher ein Problem für den Zuschauer als für den Spieler selbst? "Sie können nur gut sein, wenn Sie einen Tunnelblick bekommen", ist sich Wolfgang Petersen, Marketingchef Europa beim Chiphersteller Intel, sicher. Im Spiel sei keine Zehntelsekunde zu verlieren, da könne man nicht darüber nachdenken, was mit dem Gegner passiere. Dem Spieler komme es vor allem auf den "Flow" an, auf die Verschmelzung mit dem reißenden Spieleablauf, hat auch der Kölner Computerspieleforscher Jürgen Fritz herausgefunden. Mit der Hand am Drücker vermeide er daher alle Brüche und Störungsvariablen. So erklärt sich der Professor auch die Sehnsucht vieler Enthusiasten nach den Originalversionen von Spielen und die Missachtung von extra auf den deutschen Markt zugeschnittenen Editionen, in denen schon mal grüne statt rote Körpersäfte den Screen besudeln.
Fritz glaubt auch nicht, dass Spieler ihre Erlebnisse in der virtuellen Welt, die seit Pacman immer nach ähnlichen Grundmustern abliefen, direkt auf das Alltagsleben übertragen. Seinen Untersuchungen zufolge erwirbt sich ein Spieler für die Bewältigung von Computergames zwar gewisse Handlungsmuster, sogenannte Skripte. So wie man während der Jugendzeit lerne, sich in einem Restaurant nach anderen und weitgehend stereotypisierten Schemata zu verhalten als am Tisch zu Hause, erarbeite sich ein Spieler eine Musterlösung, um etwa Autorennen zu meistern. Trotz der gesteigerten Grafikfähigkeiten von Computern reichten die Games allerdings bei weitem nicht an die Komplexität der realen Welt heran. "Als Spieler werde ich also wissen, dass die Skripts für die Games auf der Straße keine Gültigkeit haben", sagt Fritz.
Ähnlich verhalte es sich mit Gewalt in Spielen, wie der Forscher am Beispiel des Massakers von Littleton erklärt, bei dem Halbwüchsige ein Blutbad unter ihren Schulkollegen anrichteten: "Das Skript für den realen Waffengebrauch muss bei den Attentätern bereits vorhanden gewesen sein." Computerspiele könnten aber dazu beigetragen haben, letzte Hemmschwellen zu lockern. Auch die Abgleichung von Realität und der Virtualität in der computergenerierten Virtual Reality beobachtet Fritz mit gemischten Gefühlen, da die Unterschiede im Skriptgebrauch dadurch nicht mehr deutlich zu verspüren seien. Obergrenzen des guten Geschmacks sieht der Computerforscher, der inzwischen die "härtesten" Games nur noch seinen Studenten vorsetzt, um selbst nicht abzustumpfen, "wo es nicht mehr um das Spiel geht, sondern nur um einen Anlass, brutale Bilder zu zeigen."
USK oder FSK?
Die USK, die 1994 auf Betreiben von Jugendschützern und dem Branchenverband der Unterhaltungssoftware gegründet wurde, will in dem Wirrwarr rund um die Spielewelten Durchblick schaffen. "Wir sehen unsere Aufgabe darin, Eltern Orientierung zu geben für die Spieleauswahl", erklärt Ulrike Pilarczyk, eine von 28 Gutachterinnen für die auf Selbstkontrolle der Softwareindustrie setzenden Einrichtung.
Selbst hat die Erziehungswissenschaftlerin der Humboldt-Universität in Berlin schon so manche Nacht am Joystick verbracht und das schlechte Gewissen überwunden, dass die zu Hause nie Zeit findenden Frauen ihrer Meinung nach beim Spielen hätten. Herausgefunden hat die Mutter eines 17jährigen Sohnes dabei, dass die "Glibbermonster" oft noch nicht besonders furchterregend, weil einfach "zu glatt" sind. Die archaischen Muster, mit denen die Gameprogrammierer hantieren, hat die Gutachterin zudem längst durchschaut: So müsse man gehetzt von den ewig gleichen Spinnen und Monstern etwa oft durch Tunnel ans Licht kriechen. Wenn die drei Gutachter, die mit Hilfe der Ergebnisse der sechs Tester der USK, ihre Meinungen zusammenfassen, sei ihnen dann oft schon klar: "Aha, jetzt kommt wieder die pränatale Phase."
Inzwischen erhält (fast) jeder Spielekarton, der in Deutschland über den Counter geht, eine Alterskennzeichnung, die aus dem Spielfilmbereich bekannt ist. Die Spieleindustrie macht fleißig mit, um ihr Schmuddelimage loszuwerden und sich vor zusätzlichen Regulierungen zu schützen. 1000 Mark kostet die Prüfung eines Spieles, für die sich die USK maximal 21 Tage Zeit nimmt. Eilprüfungen innerhalb von fünf Werktagen kosten das Doppelte. Über 4400 Titel hat die USK bisher geprüft, davon wurde 18 Spielen das "Prüfsiegel" verweigert, 209 Titel erhielten das Etikett, dass sie für Jugendliche unter 18 Jahren nicht geeignet seien. 21 Prozent dieser Spiele landeten später auch auf der Liste für jugendgefährdende Schriften; nur 4 Titel, die bei der USK durchkamen, wurden später doch noch indiziert.
Wir brauchen auf jeden Fall eine Selbstkontrolle auf der Seite der Hersteller und Publisher, wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens auch bei den Vermarktern, sonst gibt es keinen Jugendschutz.
Berhard Serexhe, Leiter Museumskommunikation beim ZKM
Peter Fricke, Ministerialdirektor im Bundesjugendministerium, ist deshalb mit der Arbeit der USK recht zufrieden. Er betonte am Donnerstag ausdrücklich, "dass wir diese Form der Selbstkontrolle brauchen." Es sei aber darauf zu achten, dass verschiedene Branchen nicht zu unterschiedlich behandelt würden. So werde ein zehnjähriges Kind etwa an der Kinokasse abgewiesen, wenn es in einen erst ab 12 Jahren freigegebenen Film wollte, könnte aber problemlos ein Spiel mit einer höheren Altersempfehlung kaufen.
Die für den Filmbereich zuständige FSK hat daher bereits auch für den Gamebereich ihre Zuständigkeit eingefordert. Die USK will gesetzliche Regelungen ähnlich wie im Filmbereich aber vermeiden, und setzt auf die Stärkung von Medienkompetenz sowie das Entscheidungsvermögen der Eltern. Der Streit um den besten Jugendschutz wird daher noch munter weiter gehen, während gleichzeitig der Online-Spielesektor boomt und die nationalen Regelungen generell zum Scheitern zu verurteilen droht.