Grüner wirft Hans-Georg Maaßen "Konspiration mit AfD" vor, Untersuchung gefordert
Ex-Verfassungsschutz-Chef hält Werte der Französischen Revolution für linksextremistisch. Seine frühere Behörde befasst sich mit ihm. Nicht nur die Linken fordern Konsequenzen.
Für den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen hat das Unheil des Linksextremismus, den er heute als "größte Gefahr" betrachtet, schon mit den Werten der Französischen Revolution angefangen. Dies stellte Maaßen in einem Interview in einem ultrarechten Magazin klar, das Ende August veröffentlicht wurde. Viele Geisteswissenschaftler hätten sich schon vor 1789 "in einer ganz negativen Entwicklung verfangen", so Maaßen:
"Man versuchte seitens der Geisteswissenschaften, naturwissenschaftliche Methoden eins zu eins zu übernehmen und glaubte, damit Menschen und Gesellschaften nicht nur konstruktivistisch abzubilden, sondern auch zu gestalten. Das hat zur Entwicklung irrsinniger Ideologien geführt.
Die erste Blüte dieser realitätsfremden Ideologien führte zur blutigen Französischen Revolution, danach folgten ähnliche konstruktivistische 'Ismen', wie Kommunismus und Nationalsozialismus."
Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV)
So redet zwar kein klassischer Nazi – aber auch ganz sicher kein Demokrat. Die Beibehaltung von Monarchien und ständischen Gesellschaften ohne allgemeines Wahlrecht hätte nach Maaßens Logik das Schlimmste verhindert; und schuld am deutschen Faschismus waren in letzter Konsequenz diejenigen, die 150 Jahre vorher in Frankreich für "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" kämpften – und natürlich die Kommunisten.
Mit "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" wird Maaßen in diesem Leben wohl nicht mehr warm – da hilft es nicht einmal, auf das Gendern zu verzichten.
Warum sich seine Ex-Behörde wieder für Maaßen interessiert
Falls Maaßen seine Interview-Aussagen konsequent zu Ende denkt, steht jedenfalls die Frage im Raum, wen der Ex-Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes denn heute gern als König von Deutschland hätte. Einen Linken wie Rio Reiser, der das berühmte Lied mit diesem Refrain gesungen hat, wohl eher nicht. Spannender wird es schon bei Heinrich XIII. Prinz Reuß, der im Dezember 2022 als mutmaßlicher Rädelsführer einer bewaffneten Reichsbürger-Clique verhaftet wurde.
Mit ihm hat Maaßen zumindest einen gemeinsamen Bekannten – den rechtslastigen Buchautor, "Klimaskeptiker" und AfD-Sympathisanten Markus Krall, durch den auch Maaßen selbst in den Fokus der Ermittlungen gegen die Reichsbürger-Clique geriet. Auf seinem beschlagnahmten Handy wurde ein Austausch zwischen Krall und dem Ex-BfV-Chef entdeckt. Maaßen hatte Krall im Herbst 2022 zum Geburtstag gratuliert und geschrieben: "Wir müssen weiter kämpfen". Kenntnis von den mutmaßlichen Umsturzplänen der Clique um Prinz Reuß bestreitet er. Nun interessiert sich aber auch Maaßens ehemalige Behörde wieder dienstlich für ihren Ex-Chef.
Im August berichteten mehrere Medien über eine "Erkenntnisanfrage" des BfV an das Bundeskriminalamt. Maaßen reagierte empört:
"Sollte das zutreffen, dann ist es offensichtlich, dass der Verfassungsschutz nicht mehr zum Schutz der Verfassung eingesetzt, sondern zum Schutz der Regierung und zur Bekämpfung und politischen Verfolgung von Regierungskritikern missbraucht wird", ließ er am 15. August über den Kurzbotschaftendienst X (ehemals Twitter) verlauten.
Die Frage ist aber, ob der Verfassungsschutz ausgerechnet in der Ära Maaßen nicht politisch missbraucht wurde – um nämlich vor allem diejenigen zu verfolgen, die den Status quo von links kritisierten. Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke glauben jedenfalls nicht, dass Maaßen sich erst in den letzten fünf Jahren oder ganz am Ende seiner Amtszeit radikalisiert hat.
Sie wollen durch parlamentarische Anfragen und wenn möglich in einem Untersuchungsausschuss auf Bundesebene klären, ob er sein Amt als Chef des Inlandsgeheimdienstes von 2012 bis 2018 missbraucht hat. Eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom 29. August trägt daher die Überschrift "Amtsführung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen".
Unter anderem wollen sie wissen, ob es in seiner Amtszeit Hinweise auf Angehörige der extrem rechten oder der Reichsbürger-Szene unter den Beschäftigten des BfV gab, nach denen "keine disziplinarischen oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden", weil Maaßen sich für diese Mitarbeitenden einsetzte.
Außerdem fragen die Abgeordneten, ob der Verbleib von technischen Geräten und Datenträgern, die Maaßen dienstlich überlassen wurden, geklärt ist.
Daphne Weber vom Vorstand Linkspartei forderte vor wenigen Tagen einen Untersuchungsausschuss, der klären soll, wie Maaßen Deutschlands oberster Verfassungsschützer werden konnte und ob er sein Amt missbraucht hat. Die Äußerungen des Ex-BfV-Chefs zeigen laut Weber, "dass er den Boden für ein Bündnis von Konservativen und Rechtsradikalen bereiten will".
Verschwörungstheorie oder doch Verschwörungspraxis?
Letzteres ist auch in Maaßens Noch-Partei CDU registriert worden. Ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ist im Juli gescheitert. Allerdings konnte er wenige Wochen später seine Parteifreunde in Thüringen nicht dazu bewegen, den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow per Misstrauensvotum mit Unterstützung der AfD zu stürzen. Stattdessen wurden gegen ihn neue Ausschlussforderungen innerhalb der CDU laut.
Vor nicht allzu langer Zeit wurden Maaßen, der "linksradikale Kräfte" sogar in der SPD verortet, noch Verschwörungstheorien vorgeworfen. Jetzt geht es um Verschwörungspraxis – nach den Worten eines Grünen-Politikers um den Verdacht der "Konspiration mit der AfD".
Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, will laut einem Spiegel-Bericht das für Nachrichtendienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium prüfen lassen, "ob es konkrete Hinweise auf Geheimnisverrat durch Maaßen oder eine andere Form der Konspiration mit der AfD in seiner Amtszeit gegeben hat".
Denkwürdig ist in diesem Zusammenhang, dass Maaßen 2012 nur deshalb Verfassungsschutzpräsident wurde, weil die Behörde nach dem Bekanntwerden des V-Leute-Unwesens in der militanten Neonaziszene und der bewussten Vertuschung durch Aktenvernichtungen im NSU-Skandal Besserung geloben musste. Sein Vorgänger Heinz Fromm konnte sich danach nicht im Amt halten.
Maaßen wurde damals als Gesicht einer neuen Ära präsentiert, in der das BfV auch als "Frühwarnsystem" gegen faschistische Umtriebe funktioniert – nicht nur gegen das, was er sich unter Linksextremismus vorstellt.
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