Grünes Licht für Stammzellenimport

Der Kompromissvorschlag des Nationalen Ethikrats scheint zukunftsfähig zu sein

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Die Diskussion um den wissenschaftlichen Umgang mit menschlichen Stammzellen geht in die entscheidende Runde. Nachdem am vergangenen Montag Regierungs- und Kirchenvertreter, Menschenrechtler und Ärzte mit Entrüstung auf das vermeintlich erfolgreiche Klon-Experiment der amerikanischen Firma Advanced Cell Technology (ACT) reagiert hatten, hielt sich wenige Tage später der Protest gegen die Empfehlung des Nationalen Ethikrates, der Einfuhr von menschlichen Stammzellen unter bestimmten Auflagen zuzustimmen, in überschaubaren Grenzen (Der Bann löst sich).

"Als Gesellschaft sollten wir nicht Leben erschaffen, um es zu zerstören." US-Präsident George W. Bush hat sich bereits mehrfach gegen das Klonen von Menschen ausgesprochen, doch der amerikanische Senat ist durch die aktuellen weltpolitischen Ereignisse nicht dazu gekommen, einem entsprechenden Gesetz zuzustimmen, das im Repräsentantenhaus bereits verabschiedet wurde. Und so kam es, wie es kommen musste. Vor gut einer Woche konnten die Politiker im "Journal of Regenerative Medicine" nachlesen, dass Mitarbeiter der Firma ACT längst eine neue Faktenlage geschaffen haben (Klonen als Mediencoup).

Ihnen ist es nach eigenen Angaben zum ersten Mal gelungen, menschliche Embryonen zu klonen. Selbstredend nicht zum Zwecke der Vervielfältigung, sondern ausschließlich zur Gewinnung von Stammzellen, die rein therapeutischen Zwecken dienen sollen. Der berühmt-berüchtigte italienische Arzt Severino Antinori behauptete dagegen, dass ACT sein geistiges Eigentum gestohlen habe und er nun um so mehr genötigt sei, innerhalb der nächsten sechs Monate einen menschlichen Klon zu erschaffen, der offenbar als eine Art Reproduktionsbasis dienen soll.

Kein Wunder also, dass die "Erfolgsmeldungen" aus den USA Protest und Widerspruch hervorriefen. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, verurteilte den Klonversuch als "verantwortungslos", und Prof. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der ansonsten nicht so zimperlichen Deutschen Forschungsgemeinschaft, erklärte die Absichten Antinoris für "unsinnig und hochgradig verwerflich".

Nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, offenbaren die Klon-Experimente "eine erschreckende Geringschätzung menschlichen Lebens. Der erste geklonte menschliche Embryo ist beileibe kein Meilenstein, sondern ein Alptraum, der nun leider Wirklichkeit geworden ist." Hoppe wies allerdings auch darauf hin, dass endlich weltweit internationale Übereinkünfte geschlossen werden müssten, um ähnliche Vorkommnisse in Zukunft verhindern oder sanktionieren zu können: "Ein Mindeststandard, wie er in der Menschenrechtskonvention des Europarates niedergelegt ist, kann dazu beitragen, dass auch in Ländern mit geringem Schutzniveau Experimente wie die in Amerika nicht möglich sind."

In dieser aufgeheizten Atmosphäre kam am Donnerstag der Nationale Ethikrat zusammen, um über den Import von embryonalen Stammzellen zu beraten, mit deren Hilfe schwerste Erkrankungen wie Diabetes, AIDS, Parkinson oder Alzheimer behandelt werden könnten. Der Ratsvorsitzende Spiros Simitis unterrichtete die Presse anschließend über eine schwierige Diskussion, aber auch über ein relativ eindeutiges Ergebnis. 14 der 25 Ratsmitglieder hatten sich für die Einfuhr der Stammzellen ausgesprochen, allerdings nur unter strengen Auflagen.

Die Einfuhr soll zunächst auf drei Jahre begrenzt werden und nur solche Zellen betreffen, die bei künstlichen Befruchtungen "übrig" geblieben sind. Außerdem verlangte der Ethikrat, dass die Stammzelllinien zentral registriert werden und bereits vor einer Anfrage hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Nutzung hergestellt worden sein müssen. Darüber hinaus dürften die Stammzellen nur in Forschungsprojekten eingesetzt werden, die von einer unabhängigen Ethikkommission geprüft worden seien und eine realistische Aussicht auf den erhofften medizinischen Erfolg hätten.

Ob sich der Bundestag, der Ende Januar 2002 über den Import embryonaler Stammzellen entscheiden wird, der Empfehlung des Ethikrats anschließt, bleibt abzuwarten. Immerhin hatte die Enquete-Kommission für Medizinethik der Einfuhr bislang eine klare Absage erteilt.

Die ersten Reaktionen deuten allerdings darauf hin, dass der Kompromissvorschlag des Ethikrates tragfähig ist. Die großen Volksparteien haben bereits eine breitere Zustimmung signalisiert, und nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa sind immerhin 53% aller Deutschen bereit, sich im Fall einer unheilbaren Erkrankung mit einem aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Medikament behandeln und im günstigsten Fall dann auch heilen zu lassen.

Von wissenschaftlicher Seite wird diese Entwicklung nachdrücklich begrüßt. Der Bonner Forscher Oliver Brüstle) weist in einer Stellungnahme denn auch nicht allein auf das "große medizinische Potenzial" im allgemeinen, sondern auch auf den internationalen Wettbewerb im besonderen hin: "Im Ausland ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen des Menschen bereits in rasanter Entwicklung begriffen. Jetzt ist entscheidend, dass der Debatte in Deutschland rasch verbindliche Entscheidungen zur Forschungsförderung folgen. Das Anlaufen einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft würde es deutschen Wissenschaftlern dann endlich ermöglichen, an der Entwicklung dieser Schlüsseltechnologie in einem internationalen Kontext teilzunehmen."

Damit eröffnet sich allerdings ein neues Problemfeld, das während der Sitzung des Nationalen Ethikrates bereits andiskutiert wurde. Der Berliner Theologe Richard Schröder vertrat die Auffassung, dass es keinen einsehbaren Grund gäbe, warum in Deutschland embryonale Stammzellen zwar erforscht, aber nicht hergestellt werden dürften. Schließlich gelte auch in solch komplizierten Fällen die simple Volksweisheit: "Wer A sagt, muss auch B sagen." Die nächste Diskussion ist also schon vorprogrammiert, doch bis dahin muss der Deutsche Bundestag erst einmal A sagen.