Grundschüler: Nachholbedarf in Mathematik und den Naturwissenschaften
Internationale Vergleichs-Studie Timss: Enttäuschung über Mittelmaß der deutschen Grundschüler in Medien; Anerkennung der Leistungen der Lehrer im Ministerium für Bildung und Forschung
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, der anderen großen Säule der EU, enttäuschten die Leistungen der Grundschüler (vierte Klasse) in Mathematik und Naturwissenschaften Erwartungen, die in sie gesetzt werden. Beide Länder sind nur Mittelmaß. Ganz oben im internationalen Vergleich Timss (Trends in International Mathematics and Science Study) stehen wie gewohnt Schüler aus Asien - aus Singapur (Rang 1), dem folgt Hongkong auf der Rangliste, dann Korea, Taipei, Japan und auf Platz sechs liegt die russische Föderation.
Auf Platz sieben folgt als erstes europäisches Land Nordirland. Ob Delegationen deutscher und französischer Grundschulexperten dann bald dorthin reisen, um dem Erfolg auf die Spur zu kommen?
In Frankreich ist man laut Le Monde etwas ratlos, wie der große Abstand zu anderen EU-Ländern zu erklären ist. Eine Ursache des enttäuschend schlechten Ergebnisses wird naheliegenderweise von der großen Tageszeitung im Schulunterricht vermutet. In Deutschland dagegen lobt man den Schulunterricht. Dazu mehr weiter unten.
Wie schon bei anderen internationalen Schülervergleichen zuvor auch wird von Le Monde herausgestrichen, dass es so wenig leistungsstarke französische Schüler in Mathematik gebe. Nur 3 Prozent und das in einem Land, das wie Deutschland stolz auf seine mathematische Tradition ist, auf seine berühmten großen Mathematiker (z.B. Pascal). "Das kann doch nicht sein", obwohl doch der Fields-Medaillengewinner von 2010, Cédric Villani, sich als Mitglied der Regierungspartei auch um die Erziehung in Mathe und Naturwissenschaften gekümmert hatte…
In Deutschland sind es sechs Prozent der Viertklässler, die in Mathematik Ergebnisse auf der höchsten Kompetenzstufe erzielen. Dieser Prozentsatz sei die letzten Jahre gleichgeblieben. Der Schnitt bei den EU-Staaten liegt bei 9,4 Prozent und bei den OECD-Staaten bei 11,5 Prozent.
Besonders auffällig war diesmal anderes:
Jede vierte Grundschülerin bzw. jeder vierte Grundschüler (25,4 Prozent) verfügt lediglich über elementares mathematisches Wissen auf den Kompetenzstufen I und II. Dies entspricht dem Wert der teilnehmenden EU-Staaten (24,2 Prozent) sowie der OECD-Staaten (24,9 Prozent). Im Vergleich zu TIMSS 2015 hat sich dieser Wert nicht verändert. Gegenüber TIMSS 2011 und TIMSS 2007 hat sich die Gruppe der Schülerinnen und Schülern mit nur elementaren mathematischen Fähigkeiten jedoch signifikant vergrößert.
Bericht auf der Seite der Kultusministerkonferenz
Dass Deutschlands Viertklässler im Durchschnitt in Mathe nur Mittelmaß (Platz 25 von 58, weit hinter Österreich, Zypern und Portugal) sind wie auch in den Naturwissenschaften (soweit sie an der Grundschule vermittelt werden), wo die FAZ sogar vor einer beobachteten leichten Verschlechterung warnt - und das im Land der Ingenieure, wie manche natürlich erwähnen müssen -, wird in plakativen Berichten mit der Note 5 bedacht. Im Ministerium für Bildung und Forschung dagegen mit Lob:
Die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land leisten einen tollen Job! Ihnen ist es in erster Linie zu verdanken, dass deutsche Grundschülerinnen und Grundschüler in Mathematik und Naturwissenschaften ihre Leistungen seit 2007 gehalten haben.
Christian Luft, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung
Herr Luft ist hier solidarisch mit den Lehrerinnen und Lehrern. Auch er spricht an, was die Medien im Land der großen Ambitionen aufspießen: "Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein. Unsere Gesellschaft braucht gute Bildung." Und er spricht davon, dass "Deutschland im internationalen Vergleich in Mathematik und den Naturwissenschaften weiterhin Nachholbedarf" habe. Aber er gibt auch zu bedenken, dass die Ergebnisse "vor dem Hintergrund einer heterogener werdenden Schülerschaft erzielt wurden".
"Leistungsspreizungen"
Damit spricht er den gestiegenen Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund im Schulunterricht an. Der Anteil lag 2007 noch bei 17,2 Prozent. Mittlerweile liege er bei 22 Prozent, wie die FAZ berichtet. Dort wird der Bildungsforscher Knut Schwippert, verantwortlich für die deutsche Auswertung des Timss, damit der Wertschätzung wiedergegeben, dass es angesichts des deutlich höheren Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund eine Leistung sei, "dass die Mathematikbefunde nicht schlechter wurden".
Die Leistung des FAZ-Berichts liegt nun darin, dass man sich dort, anders als in sonstigen Medien, die Mühe gemacht hat, ein paar wichtige Zusammenhänge aus der umfassenden Studie zu extrahieren:
Wenn in Deutschland beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, lagen die Kinder 34 Punkte in Mathematik schlechter als die Kinder mit zwei in Deutschland geborenen Eltern, in Naturwissenschaften waren es sogar 65 Punkte, was mehr als einem Schuljahr entspricht.
FAZ
Nur in der Türkei, in Finnland, in Schweden, in der Flämischen Gemeinschaft in Belgien - und in Frankreich sei der Leistungsunterschied zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund noch größer als in Deutschland.
Auch der Vorsprung, den Schülerinnen und Schüler mit einem "bildungsaffinen Hintergrund" haben, kommt erneut zur Sprache: "Wer aus einem bildungsaffinen Elternhaus mit mehr als hundert Büchern kommt, erzielt in Mathematik einen deutlichen Leistungsvorsprung gegenüber seinen Mitschülern aus bildungsfernen Familien", so die Frankfurter Zeitung.
Der Vorsprung liege bei 41 Punkten, das sei mehr als ein Lernjahr. Die Unterschiede in der Leistung hätten sich aber seit Timss 2007 nicht vergrößert "und Deutschland ist wider alle gegenteiligen Behauptungen auch nicht das Land mit den größten sozial bedingten Leistungsspreizungen". Erwähnt werden hierzu: die Türkei, Neuseeland und Bulgarien.
Der Vergleich mit diesen Ländern, die sich doch auf viele andere Arten von Deutschland unterscheiden als etwa Frankreich, macht auf gewisse Schwierigkeiten im rein rechnerischen Leitungsvergleich aufmerksam. Und: Ist die Anzahl der Bücher zuhause noch immer das gültige Kriterium für einen lernfreudigen und Mint-freundlichen Hintergrund?
Die Studie wurde übrigens weit vor Ausbruch der Corona-Epidemie durchgeführt - die Aufgaben der Lehrer sind nicht einfacher geworden. Zuversichtlich stimmt, dass die Schülerinnen und Schüler allerdings großes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaft bekundeten: 80 Prozent machen gern Mathematik und 88 Prozent gerne Naturwissenschaften.