Guérot, Menasse: "Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid"
Seite 2: Welche Bedeutung hat der Francofaschismus für den katalonischen Autonomismus?
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Natürlich sind alle Nationalismen identitär und ausgrenzend, aber sie haben ihre eigene Geschichte. Das wird am Verhältnis zwischen dem spanischen und dem katalonischen Nationalismus besonders deutlich. Schließlich ist der Hauptakteur der spanischen Nationalregierung die direkte Nachfolgepartei des Francofaschismus.
Bis in die unmittelbare Gegenwart hatten Politiker einflussreiche Positionen, die sich im Franco-Faschismus an der Unterdrückung der Opposition beteiligten. Daher ist Taz-Kommentator Erich Rathfelder zuzustimmen, wenn er schreibt: "Der Freiheitsdrang der Katalanen hat vielfältige Ursachen. Er speist sich auch aus den nicht aufgearbeiteten Verbrechen der Franco-Diktatur."
Auch seiner Kurzbeschreibung der nicht vollzogenen Entfrancoisierung Spaniens ist weitgehend zuzustimmen: "Über die Verbrechen der Franco-Zeit sollte nicht diskutiert, die Träger des alten Systems sollten nicht angetastet werden. Dafür gab es zunächst gute Gründe. Denn die franquistische Rechte war bereit, ihr System mit Gewalt zu verteidigen. Erst als der Putschversuch von General Milan Bosch 1981 am breiten Widerstand der Gesellschaft und der eindeutigen Stellungnahme des Königs gegen die Putschisten scheiterte, war der Weg zunächst frei für die Demokratisierung des Systems."
Der erwähnte Putschversuch von 1981 hat aber nicht der Demokratisierung Spaniens den Weg bereitet, sondern sie beendet, bevor sie so recht begonnen hatte. Seit Ende der 1970er Jahre hatte sich eine außerparlamentarische Bewegung gebildet, die sich nicht mit der Politik der sogenannten Transition anfreunden wollte, die die Faschisten und ihre Nutznießer auch in der sogenannten bürgerlichen Demokratie unangetastet ließ.
Dagegen erhob sich Widerstand von gewerkschaftlichen Basiskomitees, von Anarchosyndikalisten und von Marxisten, die den Volksfrontkurs der Kommunistischen Partei ablehnten. Der Putschversuch setzte dieser Bewegung enge Grenzen, weil nun in großen Teilen der Linken die Angst groß war, wenn man es mit der Forderung nach Demokratisierung zu weit treibt, könnte es zurück zu Zeiten des offenen faschistischen Terrors gehen. Die Erinnerung an den Terror war damals schließlich noch sehr weit verbreitet.
Trotz dieser Fehleinschätzung ist Rathfelder mit dem Verweis auf die Rolle des Francofaschismus zuzustimmen. Dagegen bezeichnet es Bernd Beier in der Jungle World als Geschichtsklitterung, wenn sich die katalonischen Autonomisten als Opfer einer francistischen Diktatur gerieren:
Rajoy als Wiedergänger Francos darzustellen, ist auch der letzte Renner bei den angeblich linken und linksradikalen Separatistenfans, etwa der CUP. Sie hat es gerade nötig. Auf ihrer Website erklärt sie unter der Überschrift "Was ist die CUP?" ihre Ziele, unter anderen "die Verteidigung der nationalen Sprache und Identität". Herzlich willkommen bei den Nationalidentitären aller Länder! Aber das findet sich nur im katalanischen Teil der Website, nicht im englischsprachigen. International will die CUP schließlich unter dem Label "linksradikal" reüssieren, nicht unter dem Label "romantisch-völkisch".
Bernd Beier
Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Bernd Beier, der der antideutschen Linken nahesteht und Ex-Linksradikale wie Erich Rathfelder konträre Positionen haben. Bereits vor mehr als 20 Jahren waren sie beim Jugoslawien-Konflikt Antipoden. Damals wandten sich Beier und die Jungle World gegen den wesentlich von Deutschland ausgehenden antiserbischen Nationalismus der kroatischen und bosnischen Autonomisten, der wiederum von Rathfelder vehement unterstützt wurde, der auch den Militäreinsatz gegen Jugoslawien bis heute verteidigt.
Trotzdem ist die aktuelle Kontroverse bemerkenswert. Rathfelder betont die francofaschistischen Kontinuitäten im heutigen Spanien und will sie auch bei der Beurteilung der katalonischen Autonomieregierung gewürdigt wissen. Bernd Beier geht auf diese Kontinuitäten, die ja empirisch nicht geleugnet werden können, gar nicht ein. Denn für ihn ist entscheidend, dass sie heute von der katalonischen Autonomiebewegung instrumentalisiert wird.
Den ideologischen Schutt des Franco-Regimes entsorgen
Demgegenüber ist der Politologin Detlef Georgia Schulze zuzustimmen, dass Postfrancismus kein Francismus ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Einfluss des Francismus heute in Spanien irrelevant wäre. Das zeigt sich schon bei der Frage Republik oder Monarchie.
Die spanische Bevölkerung hatte sich vor über 80 Jahren für die Republik entschieden und es war der Francofaschismus, der mit dem Putsch sowohl diese demokratische Abstimmung als auch die bürgerlich-demokratisch gewählte Linksregierung mit massiver Unterstützung von NS und Mussolini-Faschismus terroristisch unterdrückte. Es war ein Diktat des Franco-Regimes, dass am Übergang zur bürgerlichen Demokratie die Monarchie wieder eingeführt wurde. So könnte die Diskussion um die katalonische Autonomie dazu führen, dass sich in ganz Spanien die Kräfte wieder zusammenfinden, die sich für eine Republik stark machen.
Das wäre ein Beitrag dazu, die spanische Gesellschaft auf allen Ebenen von dem ideologischen und materiellen Schutt des Francismus zu befreien. Dazu gehört ganz praktisch die Schleifung sämtlicher Denkmäler, mit denen an die Figuren aus dieser Epoche erinnert wird, dazu gehört die Umbenennung aller Straßen und Plätze, die an sie erinnern. Dazu könnte in letzter Konsequenz auch die Auflösung der aktuellen Regierungspartei stehen, weil für eine Nachfolgepartei des Francoregimes kein Platz ist. Das müsste natürlich die Folge einer gesellschaftlichen Debatte und nicht eines autoritären Akts von oben sein.
Wem eine solche Forderung weltfremd klingt, sei daran erinnert, dass nicht nur in der Türkei durch die Justiz auch schon Regierungsparteien aufgelöst wurden. Auch in Belgien wurde der rechte Vlaams Block juristisch aufgelöst. Eine solche Perspektive kann eben nicht in einem Teilstaat wie Katalonien, sondern nur in ganz Spanien umgesetzt werden. Es wäre eine Alternative zu einer Unterstützung einer katalonischen Autonomieregierung und würde auch vermeiden, dass die neuen Nationalbewegungen zum Spielball des EU-Nationalismus würden. Vielmehr könnte es eine europäische Perspektive sein, die Kräfte zu unterstützen, die sich für die spanische Republik und die Entfrancoisierung stark machen. Und es wäre wünschenswert, wenn die Postfaschisten um Rajoy und sein Umfeld, die die katalonische Autonomiebewegung der Rebellion und des Aufstands anklagen, endlich für die faschistische Rebellion zu Verantwortung gezogen werden, mit der die demokratische Republik bis heute in Spanien verhindert wird.