Gutachten: Negativzinsen sind heimliche und rechtswidrige Besteuerung
Neben dem Hamburger Kapitalmarktrechtsprofessor Kai-Oliver Knops hat auch der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhoff Zweifel an der Vereinbarkeit des Instruments mit dem Grundgesetz
In einem Interview, das in der morgigen Ausgabe der Wirtschaftswoche zu lesen sein wird, meint Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit Bezug auf Facebooks geplante Kryptowährung Libra, man dürfen "keine private Weltwährung zulassen" (vgl. Finanzminister Scholz: E-Euro statt "privater Weltwährung" Libra). Bereits im Juli hatte er verlautbart, die "Herausgabe einer Währung" gehöre als "Kernelement staatlicher Souveränität […] nicht in die Hände eines Privatunternehmens". Konkreter formuliert könnte eine seiner Sorgen sein, dass sich mit so einer internationalen Digitalwährung Negativzinsen umgehen lassen (vgl. Französischer Finanzminister will Facebook-Währung Libra europaweit verbieten).
Solche Negativzinsen, die die Europäische Zentralbank (EZB) seit 2014 nach und nach weiter ausbaut, sind einem diese Woche veröffentlichten Gutachten des Hamburger Kapitalmarktrechtsprofessors Kai-Oliver Knops und des Berliner Rechtsanwalts Wolfgang Schirp nach heimliche Steuern:
In Wirklichkeit handelt es sich [nicht] um Zinsen, es ist ja keine Vergütung für Kapital. Es sind auch keine Strafzinsen, wie die Presse gerne schreibt, denn dabei geht es um Sanktionen für nicht eigehaltene Verpflichtungen. Es ist eine Art versteckte Steuer, der richtige Begriff wäre 'sonstige Abgabe'. (Kai-Oliver Knops zur Wirtschaftswoche)
Eine "Abgabe mit Lenkungswirkung", denn die Negativzinsen sollen die Banken dazu bringen, mehr und günstigere Kredite zu vergeben - ähnlich wie die Tabaksteuer, die dazu bewegen soll, nicht zu rauchen. Zum Erlass so einer Lenkungsabgabe fehlt der EZB dem Gutachten nach allerdings die Steuerhoheit. Der EZB-Rat war Knops Worten nach "zu deren Erlass formell und materiell nicht befugt": "Die Mitgliedstaaten legitimieren die EU [nämlich] für ganz bestimmte Bereiche, in denen die EU tätig werden darf - die Negativzinsen gehen aber darüber hinaus". "Für derart weit reichende Maßnahmen", so Knops, fehle es zudem "an einer ausreichenden Begründung und an einer parlamentarischen Mitwirkung". Darüber hinaus sei "der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden", Eigentumsrechte würden "massiv verletzt" und "Rechtsstaatsgarantien nicht gewahrt".
Bankenverband soll klagen
Einzelsparer, an die die Negativzinsen weitergegeben werden, hält der Rechtswissenschaftler trotzdem nicht für klagebefugt. Und "dass sich ein einzelnes Institut gegen die Bundesbank stellt" ist für ihn "eher unwahrscheinlich". Er hofft jedoch, dass vielleicht ein Bankenverband den Mut aufbringt, den Rechtsweg zu beschreiten, weil die Branche "mit etwa 7,5 Milliarden Euro im Jahr […] schwer belastet" werde und deshalb nicht einfach "die Hände in den Schoß legen und nichts dagegen tun" könne. "Das", so Knops, "können sie auch ihren Aktionären oder anderen Anteilseignern gegenüber nicht verantworten".
Kirchhoff: Mandat für Geldwertstabilität, nicht für Umverteilung
Ein weiterer namhafter Rechtswissenschaftler, der diese Woche starke Zweifel an der Vereinbarkeit von Negativzinsen mit dem Grundgesetz äußerte, ist der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhoff. Im Podcast von Gabor Steingart meinte der 76-Jährige, das Instrument unterhöhle den Schutz des Eigentums in Artikel 14. "Das wichtigste Gegenwartseigentum", so Kirchhoff, sei nämlich "nicht mehr der Grundbesitz, wie früher bei Gewerbebetrieb und Landwirtschaft, sondern das Geldvermögen". Und "wenn der Bürger sein Geld der Bank überl[asse]", dann müsse "dieses Eigentum prinzipiell nutzbar, prinzipiell ertragsfähig sein":
Und das genau organisiert die Europäische Zentralbank weg - ohne jedes Mandat. Sie besitzt nur ein Mandat für Geldwertstabilität, nicht für Umverteilung. (Paul Kirchhoff)
Die EZB "druckt" Kirchhoffs Eindruck nach nämlich durch ihre Maßnahmen faktisch Geld:
Und dieses Geld wirft sie auf den Markt. Dort bekommen es nicht die sozial Schwachen, sondern diejenigen, die das Alltägliche schon besitzen, die jetzt Grundstücke kaufen und Aktien. Der mittlere Einkommensbezieher aber kann sich - wenn er in einer Großstadt wohnt - dort ein Wohnhaus nicht mehr leisten. (Paul Kirchhoff)
Auch für ihn sind Negativzinsen eine heimliche und doppelte Besteuerung von Geld, das der Bürger bereits als Einkommen versteuern musste. Früher sei er mit diesem bereits versteuerten Geld "in den Garten der Freiheit entlassen [worden], wo ihm kein Finanzbeamter hinterherläuft". Diesen Garten, der den "Geist der Freiheit" atme, müsse der Staat "wiederherstellen".