Gute Enteignung, schlechte Enteignung

Enteignen? Für den Straßenbau darf man das in Deutschland. Symbolbild: annca auf Pixabay (Public Domain)

149 Enteignungsverfahren für den Straßenbau: Während bürgerliche Parteien große Wohnungskonzerne schützen wollen, sind sie aufgeschlossener, wenn Eigenheime dem motorisierten Individualverkehr weichen sollen.

Enteignungen sind purer Stalinismus – so ungefähr sehen das bürgerliche Parteien und Publizisten, wenn es um die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen geht, um bezahlbaren Wohnraum für Normal- und Geringverdienende in Großstädten sicherzustellen. Enteignungen dienen dem Gemeinwohl – so sehen das bürgerliche Parteien, wenn es darum geht, Straßenbauprojekte durchzusetzen, um den motorisierten Individualverkehr trotz aller bekannten schädlichen Nebenwirkungen weiter zu fördern.

149 solcher Enteignungsverfahren wurden in Deutschland allein seit 2020 eingeleitet – das geht aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Anfrage der Abgeordneten Caren Lay (Die Linke) hervor, über die zuerst die Tageszeitung Neues Deutschland berichtete.

Als Sprecherin ihrer Fraktion für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik interessierte sich Lay für die Anzahl der Verfahren in diesem Bereich, weil das Ergebnis des Berliner Volksentscheids von Deutsche Wohnen & Co. enteignen wiederholt skandalisiert wurde – unter anderem von CDU-Politikern.

"Die Union ist eine Enteignungspartei"

"Enteignungen für Autobahnen und Straßenbau sind an der Tagesordnung. Insbesondere in CDU-regierten Ländern", stellte Lay nun klar. "Die Union ist die Enteignungspartei!" Besonders hoch ist die Zahl entsprechender Verfahren in Sachsen. Seit 2020 wurden hier 34 Enteignungen nach Paragraph 19 des Bundesfernstraßengesetzes eingeleitet. In Absatz 1 heißt es dort: "Die Träger der Straßenbaulast der Bundesfernstraßen haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Enteignungsrecht."

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen beruft sich unterdessen auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Demnach können "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel (...) zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden".

Die Forderung, Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen zu vergesellschaften, hatte beim Volksentscheid am 26. September in Berlin eine deutliche Mehrheit gefunden. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte sich jedoch gegen eine zügige Umsetzung gesperrt – die Details soll nun eine Expertenkommission klären.

Ein Streitpunkt ist dabei, ob sich die Entschädigung an einem Marktwert orientieren muss, der gerade darauf basiert, dass auf dem Wohnungsmarkt Mietpreise verlangt werden, die sich viele Wohnungssuchende nicht mehr leisten können. Über die Umsetzung des Votums vom vergangenen Herbst soll dann erst 2023 entschieden werden.

"Während der Straßenbau kein Bestandteil einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Politik ist, wäre die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne ein Beitrag zu mehr Gemeinwohl im Interesse aller", erklärte Lay am Sonntag.