Gute Gewalt gegen böse Gewalt

Transparent in Lüzerath. Ausschnitt aus einem Bild: © Superbass / CC-BY-SA-4.0

Mediensplitter (15): Symbolischer Weltuntergang im Weiler: "Staatliches Gewaltmonopol" oder "Klimaterrorismus" – im Prinzipienkampf am Abgrund von Lützerath.

Was für ein Aufwand! Welch' ein Aufmarsch der Polizeikräfte! Welch' eine Mobilisierung der Demonstranten und selbsternannten "Klimaschützer". Welch' eine Polarisierung! Dabei ist die Rechtslage eindeutig und die politische Entscheidung ist ebenfalls längst geklärt.

Und was für eine Medienpräsenz! Der ganz kleine, längst verlassene Ort Lützerath ist mit seinen drei noch verbliebenen Häusern zu einem Ort mit großer symbolpolitischer Bedeutung geworden. Jetzt gibt es Sondersendungen auf Phoenix, Tagesschau, Welt TV.

Lützerath ist jetzt das Symbol für die Verbrennung von fossiler Energie und damit für das Scheitern des 1,5- Grad-Ziels. Wer sind nun die "tatsächlichen Klimaterroristen"?

Überlegene Polizei in der Ruhe vor dem Sturm

Die Lage an diesem Mittag war statisch. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm. Am Morgen ist die Polizei schnell in alle Teile des Ortes gekommen. Der Deutschlandfunk berichtete von der "großen, großen eindeutigen Überzahl der Polizeikräfte. ... Sicher 1.500. Es ist wirklich sehr viel Polizei, wo das Auge hinreicht, steht ein Polizist."

Es kursieren Zahlen von 1.000 bis 1.500 Polizeikräften, die etwa 400 Demonstranten gegenüberstehen, die deutlich in der Unterzahl sind. Sie sitzen in den Häusern, sie haben sich verbarrikadiert, sie haben Türen und Fenster zugemauert. Die Polizei hat fast alle der "Widerstandsnester" umstellt, ist aber noch nicht in die Häuser eingedrungen, erst wird das Umfeld um die Häuser herum geräumt, berichten die Nachrichten.

Demonstranten, Aktivisten, Bürger, selbsternannte Klimaschützer, darunter mit größer Wahrscheinlichkeit auch gewaltbereite, sind in Lützerath aufmarschiert. Jetzt werden sie aufgefordert, den Schauplatz zu verlassen.

"Klimaschutz"?

Zwischenbemerkung: Man spricht immer von den "Klimaschützern". Aber sind nur die Demonstranten "Klimaschützer"? Damit geht es schon los: Das "Wording", die Rhetorik, die sprachliche Symbolpolitik. Nach ihrem eigenen Verständnis sind ja alle Klimaschützer.

Wer ist schon gegen das Klima? Warum also soll eigentlich der Klimaschutz der Demonstranten der sogenannten und selbsternannten "Letzten Generation" ein Monopol auf "Klimaschutz" haben?

Moralische Erhabenheitsgefühle

Der Widerstand war gewiss. Er ist definiert und gut begründet und wird, auch von denen, die nicht aktiv widerstehen, oft genug moralisch und weltanschaulich gerechtfertigt.

Auch Parteien und andere Organisationen wie Greenpeace unterstützen das, was da passiert. Für die Klimademonstranten gilt: Raus aus der Kohle! Und zwar am besten sofort.

Für eine gute Sache darf man offenkundig mehr als andere. Denn die Klimademonstranten fühlen sich auf jeden Fall moralisch erhaben. Es geht ja aus deren Sicht um die Rettung der Menschheit. Und die Mehrheitsgesellschaft schaut wesentlich toleranter auf die Klimaaktivisten als auf andere. Weil ein politisches Ziel dahinter steht, das von größeren Gruppen der Gesellschaft geteilt wird.

Das liegt in der Tradition der Proteste der 1980er Jahre. Damals ging es um Anti-Atomkraft, um Waldsterben und Atomwaffen.

Das staatliche Gewaltmonopol

Worum geht es aber wirklich? Es geht darum, dass hier das staatliche Gewaltmonopol und die Entscheidungsbefugnis der Exekutive in Frage gestellt wird. Bestimmte Aktivisten stellen das Klima in den Vordergrund ihrer Überlegungen und ihres Handelns, und sie stellen das Ziel vor Mittel und Verfahren der Demokratie.

"Der Staat kann nicht einfach zugucken, wie seine Entscheidungen nicht beachtet werden von bestimmten Gruppen", sagt der Trierer Verfassungsrechtler Uwe Jun heute im DLF:

Hier sind also rechtsstaatliche Mittel offenkundlich erforderlich, um das durchzusetzen und auch um der zunehmenden Radikalisierung, die er unter Klimaschutzaktivisten erkennbar ist, entgegenzuwirken.

Uwe Jun

Die Ansätze der Gewaltanwendung und die Gewaltbereitschaft durch die Besetzer in Lützerath sind sehr heterogen. Es gibt die gute Gewalt der Weltretter, die Gewalt, die für das Gute einsteht, und es gibt natürlich auch die Gewalt der Bösen, der Rechten, die für das Schlechte steht.

Die Grünen, die Partei der Uneindeutigkeit

Die Grünen sind hier die Partei der Uneindeutigkeit. Denn sie haben in der Frage der Proteste und möglicher Gewalt keine klare, einhellige Meinung.

Es gibt diejenigen, die zwar auch kritisch auf die Polizei schauen, sich aber insgesamt von Gewalt distanzieren. Und es gibt auch bei den Grünen durchaus gewisse Sympathien – weil das Ziel der Klimaproteste geteilt wird und die Grünen an die Vergangenheit der Kompromisslosigkeit erinnert.

Viele Kritiker der Grünen aus deren Milieu, wie etwa Greenpeace, argumentieren, es seien zu viele Kompromisse geschlossen worden.

Allerdings ist das Abschwören der Gewalt nicht die Hauptsache. Gewalt ist immer ein Mittel der Politik; mindestens, wenn es um die Verteidigung gegenüber einem Aggressor geht. Aber ist der Klimawandel nicht ein Aggressor anderer Art? Sind die Lobbyisten der umweltschädlichen Wirtschaft nicht Aggressoren gegen das Fortbestehen der Menschheit?

Zumindest die Frage darf gestellt werden. Und sie wäre zu beantworten.