Gute Intentionen mit bedenklichen Folgen

Wie sich aus der Sicht eines Schweizers, der für die UN einen Bericht verfasst hat, der Rassismus aus dem Internet vertreiben läßt

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Auch an sich gute Ziele können in die Irre gehen. Das scheint bei David Rosenthals Vorschlägen zur Bekämpfung des Rassismus im Web zumindest nahe zu liegen. Unlängst hatte er im Auftrag des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte während eines Vorbereitungstreffens für eine UN-Tagung gegen den Rassismus ein Arbeitspapier vorgelegt, das unter anderem die Möglichkeit erwog, dass Länder ihre Bürger durch Filter oder andere Maßnahmen am Zugang zu rassistischen Websites hindern könnten. Jetzt hat er in der NZZ seine "neuen Wege zur Bekämpfung des Web-Rassismus" noch einmal vorgestellt.

Offenbar ist der Rosenthal ein Vertreter einer starken Zensur, auch wenn er einräumt, dass die Frage, was im Netz toleriert und was verboten werden soll, wegen des globalen Charakters eine heikle Frage ist. Wie er sagt, hätte die schweizerische Bundespolizei bereits einen ersten vergeblichen Versuch unternommen, um Internetprovider dazu zu zwingen, den Zugang zu rassistischen Websites im Ausland zu sperren: "Während ein Vorgehen gegen einen Schweizer Provider, der auf seinen Rechnern rassistische Inhalte duldet, ohne weiteres möglich ist, erweist sich die versuchte 'stellvertretende' Verfolgung von Schweizer Providern für rassistische Inhalte auf 'ausländischen' Internet-Rechnern als zusehends unrealistisch und rechtlich bedenklich - und als nicht europakompatibel."

Die Überlegungen Rosenthals betreffen freilich nicht nur den Versuch, rassistische Websites unzugänglich zu machen, sondern beinhalten allgemein die Frage, wie nationale Rechts-, aber auch Unrechtssysteme im Internet für die eigenen Bürger durchsetzbar sein könnten. Der Wunsch nach Sperrung von Inhalten für Kinder, Angehörige einer Wertegemeinschaft oder Betriebsangehörige hat bereits zu einer ganzen Branche von Softwarefirmen für Filter und Internetprovidern geführt, die selbst oder nach Maßgabe der Auftraggeber unerwünschte Webseiten für bestimmte Benutzer sperren. Rosenthal selbst bezeichnet diese "Selbstregulierung" allgemein und wegen der mangelnden Genauigkeit der Filter als bedenklich, weil diese ohne demokratische und rechtliche Kontrolle den Zugang zu Informationen sperren und/oder im vorwegeilenden Gehorsam Zensur ausüben. Gefährlich wird dies dann, wenn solche Filter etwa in Computern an Bibliotheken installiert werden, die einen öffentlichen Zugang zum Internet auch für diejenigen anbieten sollen, die anders keine Möglichkeit dazu haben. Auch totalitäre Staaten benutzen Filter auf Proxy-Servern, um ihre Bürger vor dem Zugriff auf unerwünschte Informationen zu "bewahren".

In die Nähe solcher privatwirtschaftlichen oder staatlichen Zensurmaßnahmen will Rosenthal sich nicht begeben, aber was könnte dann die Lösung sein? Er plädiert für eine Mischung aus staatlichem Vorgehen und Selbstregulierung und fordert zumindest eine internationale Minimalregelung, die aber vorerst zumindest ebenso unrealistisch ist wie eine nationale Blockade des Zugangs zu Webseiten auf ausländischen Servern. Wollte man in einem Land oder in einem Kulturkreis verbotene Inhalte auf internationaler Ebene wirklich verhindern, müsste dies eigentlich dort geschehen, wo diese Inhalte ins Netz gestellt werden. Im Falle des Rassismus sind aber beispielsweise die Vereinigten Staaten da ein großes Problem, weil das starke Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung strenge Verbote wie in der Schweiz verhindert, wodurch die USA "zum weltweit führenden 'sicheren Hafen' für Rassisten" aus der ganzen Welt geworden seien.

Da der Druck auf den Staat unmöglich ist, weil die USA aufgrund der Verfassung nicht gegen rassistische Inhalte und Provider, die sie ins Netz stellen, vorgehen können, schlägt Rosenthal vor, dass diejenigen Staaten, die ein Verbot von irgendetwas durchsetzen wollen, um bei seinem Beispiel zu bleiben, gegen die Vertreter von amerikanischen Providern im eigenen Land strafrechtlich vorgehen könnten. Erfolg habe eine solche Methode bereits bei Amazon.com erzielt, Hitlers "Mein Kampf" nicht mehr nach Deutschland zu liefern. Ähnlich sieht Rosenthal den Druck der EU auf die USA, aufgrund der Datenschutzrichtlinie Druck auf die US-amerikanischen Firmen auszuüben. Eine andere Möglichkeit wäre, wenn heimische Behörden und Unternehmen nur noch Dienste von Providern akzeptieren, die keine rassistischen Websites unterstützen, was natürlich wieder für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert werden könnte. Das gilt auch für die geradezu verwegene Überlegung, dass bestimmte Gruppen keine Internetadressen mehr registrieren dürften. Rosenthal weist selbst darauf hin, dass all dies "ein Spiel mit dem Feuer" ist.

Was also tun? Neben der Einführung von gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnungen von Inhalten, um sie besser mit Filtern blockieren zu können, neigt Rosenthal offenbar zu einer Lösung, die den Schwarzen Peter dem Staat zuweist, der die Veröffentlichung von Informationen zulässt, die in einem anderen Land verboten sind. So könnten, wie er meint, etwa amerikanische Provider "ohne größeren technischen Aufwand" alle Internetbenutzer, die vom Ausland auf Websites mit rassistischen Inhalten zugreifen wollen, sperren, so dass nur noch Amerikaner Zugang zu ihnen haben würden. Da müssten natürlich nicht nur die Provider die Rechtssysteme aller Länder auf der Erde jeweils einzeln berücksichtigen, sondern natürlich könnte etwa auch die chinesische Regierung unter Androhung von Wirtschaftssanktionen oder Strafverfolgung wiederum beispielsweise von europäischen Providern verlangen, in China lebende Bürger von bestimmten Medien oder Inhalten fernzuhalten.

Rosenthal schlägt zur Umgehung des Missbrauchs vor, die Beurteilung der Inhalte einem internationalen Gremium zu überlassen, das einer rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegt. Nur, welches internationale Gremium könnte das sein, solange es keinen demokratischen Weltstaat gibt, mit dem diese Probleme sowieso verschwinden würden, weil es dann nur noch eine globale Innenpolitik gäbe. Bis dahin aber würde die Umsetzung einer solchen Maßnahme nur zu einer Renationalisierung des Internet führen, die nicht nur die auch demokratischen Potentiale des globalen Mediums einschränkt, sondern gerade auch die Akzeptanz eines internationalen Kontrollgremiums untergraben würde.

Eigentlich also sind alle Überlegungen, die Rosenthal zur Zensur von Rassismus im Internet anstellt, solange es nicht den guten demokratischen Weltstaat gibt, eher Einwände gegen alle Versuche, auf nationaler Basis die Bürger per Gesetz und Technik daran zu hindern, auf ausländische Websites mit im eigenen Land unerwünschten oder illegalen Inhalten zugreifen zu können. Freilich, Zensur war meistens sowieso ein langfristig vergebliches Bemühen, irgendetwas aus der Welt zu schaffen. Mit dem Internet ist das nur noch etwas schwieriger geworden. Wenn auch nicht unbedingt gute Intentionen in ihrem Rattenschwanz zu negativen Folgen führen müssen, die dann möglicherweise schlimmer sein könnten als die Existenz von rassistischen Websites, mit deren Gedankengut man sich überdies nur dann auseinandersetzen kann, wenn man sie kennt, was meist besser ist, als sie in den Untergrund zu verdrängen, so scheinen schon die allzu affirmativen Überlegungen, wie man eine Zensur effektiv umsetzen könnte, bei aller Sympathie in der Sache bedenklich zu sein.

Ein wenig erahnen kann man das vielleicht gerade am Beispiel des schweizerischen Informatikprofessors, dem wegen eines Links auf eine anti-rassistische (!) amerikanische Website, die wiederum zur Information Links zu rassistischen Websites enthält, ein Prozess sowie ein Disziplinarverfahren seitens der Hochschule droht (Strafverfahren gegen ETH-Professor wegen Links zu rassistischen Websites). Sein "Verbrechen": er hatte ein Beispiel dafür geben wollen, dass ein Verbot von Links auf externe Websites kaum realistisch durchführbar ist und zu einer übermäßigen Einschränkung der Freiheit führen würde. Als ob die Staatsanwaltschaft und die Hochschule dies beweisen wollten, muss sich nun der Informatikprofessor vor dem Gericht und vor der Hochschule verantworten ...