Gutes China - böses China?

Seidenstraße: das neue Projekt "One Belt, One Road". Bild: CCTV

Der chinesische Einfluss in Osteuropa beunruhigt Berlin und Brüssel

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Unternehmen, Immobilien, Banken - es gibt kaum eine europäische Branche, in der nicht chinesische Unternehmen auf den Plan treten. Ob Roboterhersteller Kuka, der Flughafen Hahn oder die Deutsche Bank - dass chinesische Investoren in Deutschland unterwegs sind, ist einerseits längst gang und gäbe, andererseits aber fremdeln viele mit den neuen Eigentümern. Und das betrifft nicht nur einzelne Firmen und deren Know-How, das China - so die Befürchtung - wegkaufen könnte, sondern auch den Einfluss Chinas in Osteuropa: Dort baut China seine neue Seidenstraße. "One Belt, one Road" (Ein Gürtel, eine Straße) heißt die zweifache Verkehrsverbindung, die China zu Land und zu Wasser mit den Märkten Zentraleuropas verbinden soll. Umgangssprachlich ist es einfach die neue Seidenstraße.

EU prüft Seidenstraße

Die EU-Kommission hat nun Untersuchung gegen ein Teilstück der Seidenstraße eingeleitet. Konkret geht es um die Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Belgrad und Budapest, die China bauen will. Chinesische Waren könnten dann vom griechischen Hafen Piräus via Belgrad/Budapest bis ins Herz Europas transportiert werden.

"Chinas Express-Verbindung nach Europa" wird die 370 Kilometer lange Route auch genannt. Die Reisezeit zwischen den beiden Hauptstädten soll sich von acht Stunden auf unter drei verkürzen. 2,89 Milliarden US-Dollar teuer ist das Projekt. Brüssel prüft nun, ob die EU-Vergabevorschriften für Großprojekte eingehalten wurden. Bei solchen Projekten ist eine öffentliche Ausschreibung nötig. Stellt die EU-Kommission einen Verstoß gegen EU-Recht fest, käme das einer diplomatischen Niederlage Pekings gleich.

Europas Antwort

Dabei hat die EU die Seidenstraßen-Initiative und die damit erhoffte stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit an sich begrüßt. Als eigene Seidenstraßeninitiative hat die EU im Juni 2015 auf dem EU-China-Gipfel die sogenannte Konnektivitätsplattform beschlossen. Bei Infrastruktur, Energie und Innovation soll mit der chinesischen Seidenstraßen-Initiative zusammengearbeitet werden. Auch wenn der deutschen Kanzlerin Angela Merkel der Name keineswegs gefällt, wie sie 2015 beim Bergdorfer Gesprächskreis in der chinesischen Hauptstadt Peking bekannte:

Ich finde es gewöhnungsbedürftig, wie man einem so schönen Wort wie Seidenstraßen-Initiative das Wort Konnektivitätsplattform entgegensetzen kann. Darauf muss man erst einmal kommen. Ich glaube, ich werde das weiterhin Seidenstraße nennen, weil es ja auch etwas mit Geschichte zu tun hat und einen schönen Klang hat.

Angela Merkel

Merkel bescheinigte China damals "eine sehr strategische Politik (...), die in langen Zeiträumen denkt". Die Seidenstraße ermögliche "osteuropäischen Ländern eine bessere Anbindung an den asiatischen Raum und zentralasiatischen Staaten eine bessere Anbindung an den europäischen Raum." Merkel machte aber schon damals deutlich, dass Berlin bei aller Sympathie auch Probleme sieht, nämlich dass einzelne EU-Länder in Abhängigkeit zu China gebracht und die Union auseinanderdividiert wird:

Wir sehen, dass China manchmal innerhalb der Europäischen Union Gruppen bildet, mit denen man dann spezielle Kooperationsformate bildet - mal in mittel- und osteuropäischen Ländern, mal in südeuropäischen Ländern, teils auch in Ländern, die noch nicht Mitglied der EU sind, sondern nur Beitrittskandidaten. Ich will nur sagen: Man kann auch mit der ganzen Europäischen Union reden.

Angela Merkel

Chinas Osteuropa

Worauf Merkel hier anspielte, ist die sogenannte 16+1-Initiative. 16 südosteuropäische Länder treffen sich seit 2012 in diesem Rahmen jährlich mit China. Dabei sind alle Länder, die zwischen Deutschland, Österreich, Griechenland und Russland liegen, mit Ausnahme von Kosovo und Moldawien. Die 16+1-Initiative soll politisch den Weg für die neue Seidenstraße ebnen. Die EU betrachtet diese chinesischen Aktivitäten in Osteuropa mit Argusaugen. Von "Chinas Investition in Einfluss" spricht das "European Council on Foreign Relations", eine Denkfabrik, die die europäische "strategische Community" zu organisieren versucht.

Die europäischen Strategen beunruhigt dreierlei. Erstens machen sie einen Wettlauf der osteuropäischen Länder um Investitionen aus China aus. Zweitens seien einige Teilnehmer-Länder auch EU-Mitglieder, was zu einem Ungleichgewicht zwischen den EU-Institutionen und anderen Mitgliedsstaaten führe. Konkret wird befürchtet, dass Peking nach dem Motto "Teile und herrsche" die EU auseinanderdividiert. Drittens fühlten sich jetzt einige osteuropäische Länder den anderen überlegen, weil sie - wie Serbien - einen höheren Stellenwert für Peking haben.

Rücksichtnahme auf Peking?

Ungewöhnlich deutlich wurde kürzlich der deutsche Botschafter in China, Michael Clauss. "Berlin unruhig wegen Pekings wachsendem Einfluss in Südosteuropa", fasste die South China Morning Post nach einem Gespräch mit dem Botschafter die Lage zusammen. Die neue Seidenstraße brauche "echte Miteigentümerschaft aller Beteiligten", um erfolgreich zu sein, forderte er.

Als Beweis für Pekings wachsenden Einfluss gilt folgende Episode, die die Süddeutsche Zeitung wiedergibt: Nachdem der Internationale Gerichtshof in Den Haag die chinesischen Territorialansprüche im Südchinesischen Meer zugunsten der Philippinen für nichtig erklärt hatte, wollte die EU eine Erklärung herausgeben, wonach sich China an internationales Recht halten sollte. Daraus wurde nichts, denn Ungarn und Griechenland verwässerten den Text. Die Süddeutsche Zeitung zitiert einen nicht namentlich genannten europäischen Diplomaten mit der bemerkenswerten Aussage, dass China bei den Themen wie Menschenrechten und Sicherheitspolitik wegen "Staaten wie Ungarn" in Brüssel "praktisch mit am Tisch" sitze.

Trump bringt China und EU zusammen

All das heißt aber noch lange nicht, dass die EU und China heillos zerstritten wären. Im Gegenteil: Seit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident stellen viele Europäer verwundert fest, dass sie in Davos den chinesischen Präsidenten Xi Jinping feierten, weil der sich anders als Trump für Freihandel, internationale Kooperation und gegen Protektionismus ausgesprochen hat und so ganz anders klang als der neue Mann im Weißen Haus: "Jeder Versuch, Ströme abzubrechen oder zu blockieren und sie vom Ozean abzuschneiden und in kleine Bäche oder Seen zurückzuführen, wird nicht funktionieren".

Peking hat die Gunst der Stunde wohl erkannt, die Trump ihnen bietet. "Europäische Diplomaten berichten derweil von einer Charmeoffensive, mit der Peking sie seit Trumps Amtsantritt überziehe", berichtet die Süddeutsche Zeitung aus Peking.

Deutsche Interessen

Das passt gut zu europäischen und deutschen Interessen, denn die EU braucht China, etwa beim Klimaschutz oder in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. "Ich habe es sehr geschätzt, dass China sich während der Eurokrise als verlässlicher Partner herausgestellt hat", so Merkel 2015 in Peking.

Außerdem wittert die Exportnation Deutschland natürlich auch das große Geschäft. So bieten sich die Häfen in Hamburg und Duisburg als Endpunkte der Seidenstraße an. Nach Recherchen des Mercator Institute for China Studies (MERICS) ist Deutschland bisher allerdings nur mit fünf Bahnprojekten an der neuen Seidenstraße beteiligt, die alle lediglich bestehende Verbindungen nutzen.

Das MERICS folgert, es gebe für die EU ein großes Potenzial, neuer Märkte in Zentralasien zu erschließen. Aber es fehle eine kohärente Strategie, "die angesichts der wachsenden chinesischen Präsenz die Einhaltung europäischer Vergaberichtlinien sowie Umwelt- und Arbeitsstandards in der europäischen Nachbarschaft und - wie das Beispiel Ungarn zeigt - auch innerhalb der EU selbst garantieren könnte."

Auch in Deutschland schwankt man gegenüber China zwischen Freihandel und protektionistischem China-Bashing, das Firmenübernahmen immer dann kritisiert, wenn chinesische Investoren kommen, während ein französischer Autobauer natürlich willkommen ist, wenn er eine angeschlagene deutsche Automarke rettet. Vergleichsweise gelassen war da noch die öffentliche Reaktion, als der chinesische Mischkonzern HNA für 755 Millionen Euro 3 Prozent der Deutschen Bank übernommen hat. HNA selbst teilte mit, den Anteil auf möglicherweise aufstocken zu wollen, auf maximal zehn Prozent.

Auch an anderen Instituten ist China interessiert. Für China sind solche Übernahmen weitere Schritte auf den deutschen Markt. Außerdem können chinesische Unternehmen Kredite für ihre europäischen Geschäfte bekommen, was insofern notwendig ist, weil China die Ausfuhr von Devisen begrenzt.

Für den vielzitierten deutschen Sparer ändert sich zunächst mal nichts, wenn Banken chinesische Eigentümer bekommen. Denn sie arbeiten weiter nach deutschem Recht, die Guthaben sind durch die deutsche Einlagensicherung geschützt. Und bei der Deutschen Bank ist man Anteilseigner aus aller Welt gewöhnt: Dort ist China nur drittgrößter Aktionär nach dem US-Vermögensverwalter Blackrock sowie Katars Ex-Premier Hamad Bin Jassim Bin Jabor Al-Thani und dessen Cousin, die zusammen sechs Prozent halten.