Gutes Jahr für die chinesische Raumfahrt

Illustration der Tiangong Space Station am 1. November 2022 nach dem Andocken des Mengtian-Moduls. Bild: Shujianyang / CC-BY-SA-4.0

Westen schaute auf Start des Artemis-Programms der USA, China stellte indes Raumstation fertig. Tiangong als Höhepunkt von 30 Jahren bemannter Raumfahrt des Landes. "Himmelspalast" in 18 Monaten gebaut.

Die chinesische Raumstation Tiangong soll nach ihrer Fertigstellung vor allem für Projekte der Weltraumwissenschaft und Weltraumtechnologie genutzt werden, heißt es aus Beijing.

"China plant, die Raumstation zu einem staatlichen Weltraumlabor zu machen, welches lange Astronautenaufenthalte und groß angelegte wissenschaftliche, technologische und anwendungsbezogene Experimente unterstützt", zitiert das Portal china.org.cn Zhou Jianping, den Chefdesigner des Raumfahrtprogramms.

Die Erdumlaufbahn

Die Tiangong ist jetzt immerhin 55 Meter lang und besteht aus drei Modulen: In ihrem Herzstück können bis zu sechs Taikonaut:innen leben, die in den beiden anderen Modulen arbeiten und experimentieren. Insgesamt stehen 110 Kubikmeter Lebensraum zur Verfügung. Das ist so viel, wie ein Apartment von 44 Quadratmeter Grundfläche bei 2,5 Meter Deckenhöhe bietet – etwa ein Fünftel des Rauminhalts der Internationalen Raumstation (ISS).

Eine Erweiterung von Tiangong um drei zusätzliche Module ist möglich und wäre relativ zügig umsetzbar, da die einzelnen Bauteile modular und in Kleinserie gefertigt werden. Die Station verfügt über einen Roboterarm, mit dem künftig etwa das chinesische Weltraumteleskop eingefangen und gewartet werden kann, das wohl nächstes Jahr in den Orbit geht.

Auch Experimente außerhalb der Hülle der Station werden so möglich. Raketen, die Nachschub oder Bewohner:innen transportieren, stehen drei Andocksysteme zur Verfügung.

Wie viele Produkte der chinesischen Hightech-Industrie basieren auch die technischen Grundlagen der Tiangong auf sowjetischen Bauplänen. Kritiker:innen bezeichnen die Station als Kopie der sowjetischen Mir aus den 1980er-Jahren. Doch stimmt diese Analogie nur noch für das äußere Design. Die Technik und das Innenleben des Raumfahrzeugs sind in allen Belangen erheblich modernisiert.

Tiangong soll zehn bis 15 Jahre in der Erdumlaufbahn bleiben und in dieser Zeit 30 Crews eine Heimat im All bieten, die jeweils für ein halbes Jahr in der Station leben sollen. Hinzu kommen zwei Frachtflüge pro Jahr, sodass der "Himmelspalast" vierteljährlich angeflogen werden muss.

Chinas Weltraumprogramm (9 Bilder)

Darstellung von Chang’e-1 – 2007 die erste chinesische Mondsonde. Bild: Nasa / Public Domain

Die Raumstation besteht ausschließlich aus chinesischer Technologie und wird exklusiv von China gemanagt. Doch hat Peking alle in den Vereinten Nationen vertretenen Länder zur Zusammenarbeit eingeladen und dazu, Experimente an Bord durchzuführen.

Bisher wurden dafür neun Projekte mit 17 beteiligten Nationen ausgewählt. Insgesamt sind jetzt über 1.000 Forschungsvorhaben avisiert. Nichtchinesischen Astro-, Kosmo,- oder Taikonaut:innen soll Tiangong ebenfalls Platz bieten, die dafür gegebenenfalls auch mit heimischer Technik anreisen dürfen, meldet die staatliche chinesische Global Times.

Der Mars

Als voller Erfolg gilt auch die Tianwen-Marsmission, die jetzt schon ein Jahr störungsfrei läuft. Der Marsrover hat mittlerweile etwa zwei Kilometer auf der Oberfläche des Nachbarplaneten zurückgelegt.

Der Orbiter, der dem Rover auch als Relaisstation für die Datenübermittlung dienen kann, befindet sich mittlerweile zwei Jahre in seiner Marsumlaufbahn. Auch bei diesem Projekt setzt Peking auf Offenheit: Man wolle die gewonnenen Daten "zu gegebener Zeit" mit Wissenschaftler:innen aus aller Welt teilen. Expert:innen räumen inzwischen ein, dass es neben den USA jetzt "ein weiteres Land mit hoch entwickelten interplanetaren Kapazitäten" gebe.

Zhurong-Rover mit dem Tianwen-1-Landemodul, aufgenommen von einer absetzbaren Kamera. Bild: China News Service / CC-BY-3.0

Der Mond

Das chinesisch-russische Projekt einer unbemannten Mondbasis wurde ebenfalls weiterverfolgt. Die Vorbereitungen für die Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrags wurden Mitte 2022 abgeschlossen, wie die Eurasian Times zu berichten weiß.

Gleichzeitig wurde der Zeitplan erheblich gestrafft. Die Basis soll nun schon 2027 fertig werden – acht Jahre früher als bisher geplant.

Chinesischer Yutu-2-Rover auf der Mondoberfläche. Bild: CSNA/Siyu Zhang/Kevin M. Gill / CC-BY-2.0

Die erste Phase des Projektes wird derzeit mit mehreren chinesischen und russischen Mondlandungen eingeleitet, die auch Daten für attraktive und sichere Landeplätze erheben sollen. Diese Phase soll 2025 abgeschlossen sein. China liegt im Plan; die russische "Luna 25"-Mission – die erste seit Luna 24 im Jahr 1976 – wurde jedoch auf 2023 verschoben.

Für Unmut bei der US-amerikanischen Konkurrenz hat die Ankündigung Pekings gesorgt, nun bis 2030 ebenfalls Menschen zum Mond schicken zu wollen. Die Asia Times sieht darin bereits den Beginn eines neuen Wettlaufs zum Erdtrabanten.

Bill Nelson, der Chef der US-Raumfahrtbehörde Nasa, reagierte denn auch verschnupft und warnte, China wolle den Mond für sich alleine beanspruchen. Auch mache ihm die russisch-chinesische Zusammenarbeit Sorgen.

Die Antriebe

Denn dass China in absehbarer Zeit eine Rakete fertigen kann, die über ausreichend Schub verfügt, um die für eine bemannte Mondlandung benötigten Nutzlasten zu bewerkstelligen, ist nicht mehr abwegig. Das Land hat in letzter Zeit wesentliche Fortschritte in Bezug auf Triebwerkstechnik gemacht: Dazu zählen etwa die neuen Aggregate, mit denen der für den Einsatz auf Flugzeugträgern konzipierte J-15 Kampfbomber der chinesischen Streitkräfte ausgerüstet wird.

Sie werden jetzt ausschließlich aus heimischen Komponenten gefertigt und übertreffen ihre russischen Vorläufern mittlerweile deutlich.

Doch entwickelt China derzeit auch ein Raketentriebwerk, das mit einem Sauerstoff-Kerosin-Gemisch befeuert wird und wiederverwertbar sein soll. Zudem kann der Schub des Aggregats reguliert werden, ein weiterer wichtiger technischer Aspekt, der mehr Einsatzvarianten ermöglicht und auf den Missionen mehr Flexibilität bietet. Auch stellt die Technologie einen zentralen Baustein für wiederverwertbare Booster-Antriebsstufen dar.

Asteroiden

Abschließen soll diesen Jahresüberblick der Hinweis auf die chinesischen Pläne, ein eigenes Asteroiden-Abwehrprogramm zu entwickeln, das schon 2025 erste Tests durchlaufen soll.

Der Schwerpunkt soll zunächst auf einem Überwachungssystem liegen, das sowohl vom Erdboden als auch vom Weltraum aus operieren soll. Doch soll auch eine schubstarke Rakete mit einem Impaktor entwickelt werden, die möglicherweise gefährliche Himmelskörper in neue Umlaufbahnen um die Sonne schubsen könnte.

Das aktuelle Weißbuch der chinesischen Raumfahrtbehörde CNSA "China's Space Program: A 2021 Perspective" kann im englischsprachigen Internetangebot der Behörde eingesehen werden.