HIV-Infektionen und AIDS in Corona-Zeiten

Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme von HIV-1-Viren (grün) an einer Lymphozytenkultur. Bild: C. Goldsmith / Centers for Disease Control and Prevention / Public Domain

Ein Überblick über Forschungsstand und Praxis bei HIV/AIDS in Subsahara-Afrika und in Deutschland - Zum diesjährigen Welt-AIDS-Tag

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jedes Jahr seit 1988 findet am 1. Dezember der Welt-AIDS-Tag statt. Aus diesem Anlass sollen hier die wichtigsten gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen von HIV-Infektionen und AIDS in Subsahara-Afrika beschrieben und mit der Situation in Deutschland verglichen werden, damit man verstehen kann, welche Katastrophe die HIV-Erkrankung für die Menschen in Afrika immer noch bedeutet.

Der vorliegende Artikel ist eine überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Fassung eines Beitrags, der 2018 in der medizinischen Fachzeitschrift "internistische praxis" erschienen ist.1 Grundlagen dieses Artikels sind meine Erfahrungen als Mediziner in einer Rehabilitationsklinik, die bereit war, auch Patienten mit einer HIV-Erkrankung zur Rehabilitation aufzunehmen.

So wurden in der Zeit von 1990 bis 2006 neben anderen Krankheitsgruppen wie zum Beispiel chronischen Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen auch circa 1200 mit HIV-infizierte Patienten aller klinischen Schweregrade, darunter circa 500 Patienten mit AIDS, in unserer Rehabilitationsklinik behandelt.2

Weiterhin stütze ich mich auf das Buch "HIV 2020/2021", das von Christian Hoffmann und Jürgen K. Rockstroh alle 2 Jahre in aktualisierter Form herausgegeben wird.3 An der letzten Ausgabe dieses Buches haben 40 weitere ausgewiesene HIV-Spezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mitgearbeitet.

Das umfangreiche Werk, das einschließlich von vielen Tabellen und Bildtafeln knapp 700 Seiten umfasst und Hunderte von aktuellen Literaturzitaten enthält, gilt als ein wichtiges Standardwerk auf diesem Gebiet, ist in mehrere Sprachen übersetzt worden und kann kostenfrei im Internet angesehen und heruntergeladen werden.

Auf zwei Länder in Subsahara-Afrika, Uganda und Südafrika, werde ich in meinem Artikel besonders eingehen. 2013 konnte ich mich auf einer Reise nach Uganda über die Folgen von HIV/AIDS in diesem Lande informieren und dort mit vielen Menschen sprechen, die entweder selbst oder deren Familienangehörige von AIDS betroffen waren.4

Die Situation in Südafrika hat mich deshalb besonders beschäftigt, weil die Menschen in diesem Land wie auch den angrenzenden Ländern seit mehr als zwei Jahrzehnten unter den höchsten Prävalenzraten von HIV-Infektionen in Afrika leiden. Davon Betroffene in Südafrika haben ihr Schicksal aber nicht als unabänderlich hingenommen, sondern haben mit öffentlichen Aktionen ihr Menschenrecht auf eine Behandlung mit wirksamen Medikamenten eingefordert und durchgesetzt.

Was bedeuten HIV und AIDS?

HIV ist die Abkürzung für Humanes Immunschwäche Virus, das zum Typ der Retroviren gehört. Man unterscheidet zwischen dem HI-Virus-1, das für die mit großem Abstand meisten Infektionen zuständig ist und in Zentralafrika, Ost- und dem südlichen Afrika vorkommt, und dem "kleinen Bruder", dem HI-Virus-2, das vor allem in Teilen Westafrikas auftritt und als weniger bösartig eingeschätzt wird.5 Die Abkürzung AIDS steht für Aquired Immune Defiency Syndrom, das bedeutet "erworbenes Immunschwäche-Syndrom". Die französische Abkürzung für AIDS ist SIDA (Syndrome d'Immunodefience Acquise).

Bei der HIV-Erkrankung handelt es sich um eine chronische Infektion mit dem HI-Virus, die zu einem langsam fortschreitenden Immundefekt führt, weil Immunzellen neben Nervenzellen bevorzugt von den HI-Viren angegriffen und zerstört werden.

HIV-Tote auf 100.000 Einwohner (2017). Quelle: Our World in Data / Grafik: TP

Nach erfolgter Infektion mit dem HI-Virus kommt es in der Regel zunächst zu einer langjährigen Symptomfreiheit (Kategorie A). Zwei bis vier Jahre nach der akuten HIV-Infektion treten meist leichtere Erkrankungen auf (Kategorie B), die auf eine beginnende Störung der Immunabwehr hinweisen. 8 bis 10 Jahre nach der Infektion kommt es dann zum Auftreten von sogenannten AIDS-definierenden Erkrankungen (Kategorie C), an denen die Patienten ohne eine wirksame medikamentöse Therapie in der Regel innerhalb weniger Jahre versterben.

Eine wirksame, effektive medikamentöse Behandlung, die sogenannte antiretrovirale Therapie (ART), gibt es erst seit 1995/1996. Sie besteht aus einer Kombination von mehreren verschiedenen virushemmenden Arzneimitteln mit unterschiedlichem Angriffspunkt und hat zu einem dramatischen Rückgang von AIDS-bedingten Todesfällen geführt.

Unter einer ART kommt es meist zu einer ausreichenden Wiederherstellung des Immunsystems, so dass AIDS-definierende Erkrankungen ausheilen können. Die Wirksamkeit der Behandlung hält aber nur so lange an, wie die ART weitergeführt wird. Eine Heilung der HIV-Erkrankung ist auch heute nicht möglich. Eine effektive Impfung gegen das HI-Virus zur Verhinderung einer Infektion gibt es nicht und ist bis heute auch nicht in Sicht.6

HIV/AIDS in Deutschland

Ende 2018 waren in Deutschland etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert, das sind 87.900 Personen, darunter waren circa 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen. Circa 2400 Menschen haben sich 2018 neu infiziert.

Damit ist die Zahl der Neuinfizierten weiter zurückgegangen und hat sich seit 2015 von circa 3000 langsam und kontinuierlich vermindert. 1000 Menschen erhielten 2017 die Diagnose erst, nachdem bei ihnen eine fortgeschrittene HIV-Erkrankung (Kategorie B oder C) festgestellt worden war. 10.600 Menschen mit einer HIV-Infektion wissen laut Hochrechnungen nichts von ihrer Erkrankung.

Nach dem Infektionsrisiko war die Verteilung 2017 folgendermaßen: Unter den circa 86.000 infizierten Menschen hatten 53.000 Männer Sex mit Männern gehabt, circa 10.900 Personen hatten sich über heterosexuelle Kontakte infiziert und etwa 7900 waren intravenöse Drogengebraucher. Weiterhin zählten etwa 450 Hämophile und Bluttransfusionsempfänger dazu.7 Dazu kommen einige Hundert infizierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich vor, während und nach der Geburt über ihre Mutter infiziert haben.

Und was die 90-90-90-Zielsetzung von UNAIDS hinsichtlich der HIV-Infektion betrifft (siehe dazu auch im nächsten Kapitel): 2018 wurden in Deutschland 88 Prozent der wahrscheinlich bestehenden HIV-Infektionen diagnostiziert, 93 Prozent der Diagnostizierten erhielten HIV-Medikamente und bei 95 Prozent davon war das HI-Virus unter der Behandlung nicht mehr nachweisbar. Damit sind die oben genannte Ziel von UNADS in Deutschland fast erreicht.

Wie in den meisten Ländern mit hohem Einkommen (ein Begriff der WHO) ist es mit der Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapien auch in Deutschland seit 1996/1997 zu einem starken Rückgang von AIDS-definierenden Erkrankungen und Todesfällen gekommen. So hat schon die im Jahre 2000 veröffentlichte große Euro-SIDA-Studie gezeigt, dass zwischen 1994 und 1998 sowohl Mortalität und Morbidität auf weniger als ein Zehntel gefallen sind.8

Bei den in unserer Rehabilitationsklinik betreuten HIV-Patienten kam dieser Fortschritt in der Behandlung zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass es Anfang der 1990er Jahre häufig passierte, dass ich von MitarbeiterInnen die traurige Mitteilung erhielt, dieser oder jener unserer HIV-Patienten sei kurze Zeit nach der Entlassung aus unserer Klinik verstorben.

Das kam nach 1996 immer seltener vor, weil seit dieser Zeit immer mehr AIDS-Patienten mit einer ART effektiv behandelt wurden. Heute kann man davon ausgehen, dass in Deutschland AIDS-Patienten, wenn die Erkrankung rechtzeitig diagnostiziert worden ist und effektiv behandelt wird, keine wesentlich erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zu Normalpatienten aufweisen.

Auch der körperliche und geistig-seelische Zustand unserer AIDS-Patienten war nach 1996 gegenüber der Zeit vorher in den meisten Fällen stabil und/oder deutlich gebessert. Das ließ sich zum Beispiel auch an den Ergebnissen der beruflichen Leistungsbeurteilung unserer HIV-Patienten ablesen, unter denen sich im Durchschnitt circa 40 Prozent in der Kategorie C, das heißt im Stadium AIDS, befanden.

Eine in unserer Klinik durchgeführten Untersuchung ergab, dass der Anteil der Patienten mit erhaltener vollschichtiger Leistungsfähigkeit für die letzte Berufstätigkeit von 54 Prozent in den Jahren 1995 bis 1997 auf 70 Prozent in den Jahren 2001 bis 2004 angestiegen war.9

Wenn auch die HIV-Infektion für die einzelnen Betroffenen weiterhin ein schwerer Schicksalsschlag ist, bedeutet diese Diagnose heute nicht mehr die Ankündigung des baldigen Lebensendes wie in der Zeit vor 1995/1996, sondern eher "bedingte Gesundheit", solange eine effektive ART durchgeführt wird.

Auch wenn die antiretroviralen Medikamente zu den teuersten Arzneimitteln gehören und die Behandlungskosten sich leicht auf 10.000 € und mehr pro Krankheitsfall und Jahr belaufen können, sind die allermeisten bei uns betroffenen Patienten über ihre Mitgliedschaft in einer der obligatorischen Krankenkassen finanziell abgesichert. Somit handelt es sich in Deutschland bei HIV/AIDS heute eher um ein medizinisches Randproblem.

Das ist bei den sozialen und psychosozialen Auswirkungen von HIV/AIDS jedoch anders zu beurteilen. Das größte gesellschaftliche Problem ist nach Einschätzung der Deutschen AIDS-Stiftung die Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung.

Wer ein HIV-positives Testergebnis bekommt, hat einerseits natürlich Angst um seine körperliche Unversehrtheit und vor der Zukunft. Aber er ist meist auch unsicher, mit wem kann ich darüber sprechen, was bekomme ich für Reaktionen, was sagen mein Chef und meine Arbeitskollegen, wenn ich ihnen mitteile, ich bin "HIV-positiv".

Es ist leider immer noch so, dass viele denken, HIV-positiv-Sein bedeutet automatisch "Krankheit" und dadurch bedingter ständiger Arbeitsausfall. Wie bei vielen weiteren Stigmata, die Menschen mit HIV betreffen, handelt es sich hier jedoch um Vorurteile, denen mit Informationen, zum Beispiel über die oben berichtete in der Regel gute berufliche Leistungsfähigkeit der meisten heutigen HIV/AIDS-Patienten in Deutschland, entgegengewirkt werden kann.

Schließlich ist in Corona-Zeiten noch erwähnenswert, dass bisherige Beobachtungen und Daten zeigen, dass Menschen mit HIV unter einer effektiven ART kein erhöhtes Risiko für einen schwereren Verlauf von COVID-19 haben. Erhöht ist das Risiko nur für Menschen mit HIV, die keine HIV-Medikamente nehmen und ein stark geschwächtes Immunsystem aufweisen.

HIV/AIDS in Subsahara-Afrika

Nach Angaben von UNAIDS lebten 2018 weltweit circa 38 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, etwa 50 Prozent davon sind Frauen. Davon lebten 25 Millionen Erwachsene und Kinder in Subsahara-Afrika, das am schwersten betroffen ist.10 Die HIV-Prävalenzrate lag hier bei durchschnittlich circa 5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung und war damit etwa 50-mal höher als in Deutschland.

Dahinter verbergen sich jedoch erhebliche Unterschiede. Während die Prävalenzraten in Zentral- und Ost-Afrika in den letzten Jahren einen Wert zwischen 5 und 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung (15 bis 49 Jahre) aufwiesen, betrugen sie in Südafrika und weiteren angrenzenden Ländern des südlichen Afrikas etwa 20 Prozent und lagen in einigen Landesteilen sogar noch höher. Die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus in Subsahara-Afrika betrug 2014 noch 1,4 Millionen und ist 2018 erfreulicherweise auf etwa 1,1 Millionen/Jahr gesunken.

AIDS ist in Subsahara-Afrika weiterhin eine der häufigsten Todesursachen. Etwa 470.000 Menschen sind 2018 an AIDS gestorben, gegenüber 2014, wo nach UNAIDS 790.000 Menschen an AIDS verstorben sind, ist diese Zahl jedoch deutlich rückläufig. Weit über 10 Millionen Kinder wurden bereits zu Waisen. 11

Während in Deutschland vor allem schwule Männer von HIV/AIDS betroffen sind, ist der Hauptübertragungsweg in Subsahara-Afrika der heterosexuelle Geschlechtsverkehr, wobei sich mehr Frauen als Männer infizieren. Ein großes Problem ist aber auch die Mutter-Kind-Übertragung. Ohne adäquate Behandlung werden bis zu 40 Prozent der Kinder HIV-infizierter Mütter ebenfalls infiziert. Mit einer effektiven antiretroviralen Behandlung lässt sich diese Quote auf unter 1 Prozent senken.

Für die Länder mit niedrigem Einkommen in Subsahara-Afrika, den sogenannten armen Ländern, zu denen auch Uganda gehört, ist bedeutsam, dass antiretrovirale Medikamente immer noch sehr teuer sind und die für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mittel dieser Länder weit überschreiten. Deshalb sind die meisten dieser Länder auf Medikamentenspenden internationaler Organisationen angewiesen.12

In vielen Ländern Subsahara-Afrikas ist HIV/AIDS das größte gesundheitliche Problem noch vor Tuberkulose und Malaria. Eine der wichtigen Ursachen dafür ist, dass das HI-Virus wahrscheinlich schon in den 20er oder 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in West-Afrika beim Übergang des Simian Immunodefiency Virus (SIV) vom Schimpansen auf den Menschen entstanden ist.

Über mehrere Jahrzehnte konnte sich dann das HI-Virus bei den Menschen in Zentral- und Ostafrika unerkannt bis zur Erstbeschreibung von HIV/AIDS Anfang der 1980er Jahre in den USA ausbreiten. Die älteste bekannte HIV-positive Probe stammt aus dem Jahre 1959 aus Kinshasa im Kongo.13

UNAIDS, ein Projekt der UNO für die weltweite Bekämpfung von HIV/AIDS, hat 2014 das 90-90-90 Ziel proklamiert. Danach sollten große Anstrengungen unternommen werden, um zu erreichen, dass bis zum Jahre 2020 90 Prozent aller HIV-Infizierten diagnostiziert, 90 Prozent davon antiretroviral behandelt und bei 90 Prozent aller Behandelten eine Virussuppression erreicht ist, so dass das HI-Virus nicht mehr nachweisbar ist.

Dann könne AIDS bis 2030 weltweit ausgerottet sein. Auch wenn in den letzten 10 Jahren weltweit und auch in Subsahara-Afrika sicherlich Fortschritte bei der Behandlung von HIV/AIDS erzielt worden sind, wurde diese Zielsetzung in einer Online-Publikation des renommierten "British Medical Journal" vom März 2017 als unrealistisch angesehen.14

Die Situation wurde so eingeschätzt: 2014/2015 waren von den damals weltweit 37 Millionen Menschen mit HIV nur 54 Prozent diagnostiziert, 41 Prozent wurden mit einer ART behandelt and 32 Prozent wiesen eine Virussuppression auf, das heißt, sie waren wahrscheinlich effektiv behandelt. Diese Zahlen zeigen, dass wir derzeit noch sehr weit davon entfernt sind, weltweit das 90-90-90-Ziel zu erreichen. Das gilt vor allem für die Länder mit niedrigem Einkommen in Subsahara-Afrika.

Angesicht der derzeitigen Coronavirus-Pandemie befürchtet die UNO Corona-bedingte Engpässe bei der medizinischen Versorgung von HIV-Patienten in Subsahara-Afrika.15 Eine sechsmonatige Unterbrechung wichtiger medizinischer Lieferketten könnte in der Region zu 471.000 bis 673.000 zusätzlichen AIDS-Toten führen, teilten die WHO und UNAIDS unter Verweis auf Modellrechnungen im Mai dieses Jahres mit. Das würde eine Verdopplung der Zahl der derzeitigen Todesfälle und einen schrecklichen Rückschritt bedeuten, erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Mai 2020.

HIV/AIDS in Uganda

Mitte der 1980er Jahre wurde in Uganda mit circa 15 Prozent eine der damals höchsten Prävalenzraten für HIV in der erwachsenen Bevölkerung in Subsahara-Afrika festgestellt. Mit Unterstützung von UNAIDS wurde eine große Präventionskampagne gestartet. Basis war die ABC-Regel, wobei A für Abstinence (Enthaltsamkeit), B für Be faithfull (Treue zum Partner) und C für Condomise (Kondombenutzung) steht.

Mit dieser Kampagne, von der noch 2013 große Plakate an den Hauptverkehrsstraßen in Uganda Zeugnis ablegten und die unter anderem mit täglichen eindringlichen Appellen im Rundfunk begleitet wurde, soll es damals gelungen sein, die HIV-Prävalenzrate auf circa 5 Prozent zu senken. Bei meinem Besuch im Frühjahr 2013 wurde uns berichtet, dass die Prävalenzrate aber in den letzten Jahren wieder angestiegen sei.

2017 gab es in Uganda 1,4 Millionen Menschen (15 bis 49 Jahre), die mit einer HIV-Infektion lebten. Das waren 6,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Frauen sind davon überproportional betroffen: 7,6 Prozent der Frauen waren gegenüber 4,7 Prozent der Männer infiziert. Besonders betroffene Gruppen sind weibliche Prostituierte, Männer, die Sex mit Männern haben, und Personen, die intravenöse Drogen konsumieren. Vor allem sind Mädchen und junge Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren vierfach häufiger betroffen als junge Männer in demselben Alter. 2017 wurden 52.000 neue Infektionen und 28.000 Todesfälle durch AIDS registriert.

In den letzten Jahren ist es in Uganda zu einem langsamen Anstieg der mit ART behandelten HIV-Infizierten gekommen. Unter Berücksichtigung des 90-90-90-Ziels von UNAIDS war 2017 in Uganda 74 Prozent der Infizierten ihr HIV-Status bekannt und 67 Prozent der Erwachsenen erhielten eine antiretrovirale Behandlung, aber nur 47 Prozent der infizierten Kinder.

Das bedeutet, dass 2017 rund 33 Prozent der infizierten Erwachsenen und 53 Prozent der infizierten Kinder nicht behandelt wurden. Zu dem Prozentsatz der Behandelten, bei denen eine Virussuppression erreicht worden ist, weil sie effektiv behandelt worden sind, fehlen die Angaben. Anhaltende soziale Ungleichheiten bestehen fort, die bestimmen, wer eine Behandlung in welcher Form erhält, und viele Infizierte erfahren Stigmatisierungen und Diskriminierungen.

HIV/AIDS ist heute in Uganda eines der größten gesundheitlichen Probleme mit einer hohen Mortalitätsrate unter den jüngeren Erwachsenen. Durch den frühzeitigen Tod der Eltern werden viele Kinder zu Waisen. In Uganda wird die Zahl der AIDS-Waisen auf 2 Millionen geschätzt, die vor allem in Familien von Verwandten betreut werden. Die meisten Familienväter, mit denen ich bei meiner Reise Kontakt hatte, berichteten von 1 bis 2 AIDS-Waisen, die zusätzlich zu den eigenen Kindern in der Familie betreut werden müssen.

Anfang 2013 wurde ein Gesetz für eine obligate HIV-Testung aller Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden, verabschiedet. Nach den Informationen, die wir damals in der Medizinischen Hochschule von Ishaka im Bezirk Bushenyi erhielten, stehen für die ART auf Grund von Spenden internationaler Organisationen auch in Uganda antiretrovirale Medikamente zur Verfügung.16 Die wenigsten Kranken in den ländlichen Gebieten, in denen mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben und es kaum eine medizinische Grundversorgung gibt, dürften jedoch Zugang zu einer effektiven ART haben.

Auch die Prävention der HIV-Infektion stößt in Uganda weiterhin auf große Barrieren. Kondome sind nur eingeschränkt verfügbar, zu teuer oder oft von schlechter Qualität und werden darüber hinaus von vielen Männern nicht akzeptiert. Die katholische Kirche, der etwa 40 Prozent der Bevölkerung angehören, und evangelikale Sekten aus den USA, die immer mehr Anhänger finden, sind strikt gegen den Kondomgebrauch. Bei Männern sind parallele sexuelle Kontakte mit mehreren Partnerinnen weit verbreitet. Auch die Polygamie ist noch teilweise gesellschaftlich akzeptiert. Große Bedeutung hat die Armutsprostitution, wobei viele Prostituierte HIV-infiziert sind.

Generell hat die untergeordnete gesellschaftliche Stellung der Frau zur Folge, dass die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen eingeschränkt ist. Eines der größten Probleme ist, dass HIV/AIDS weiterhin stigmatisiert und tabuisiert ist und deshalb die Aufklärung über die HIV-Erkrankung und deren Prävention von großen Schwierigkeiten begleitet ist.

HIV/AIDS in Südafrika

In den 1980er und frühen 1990er Jahren waren die Prävalenzraten für HIV in der erwachsenen Bevölkerung niedrig (unter 1 Prozent). Seit Mitte der 1990er Jahre ist es jedoch zu einem fulminanten Anstieg bis auf 20 Prozent und mehr in einigen Landesteilen gekommen.

Tragisch ist, dass unter der Präsidentschaft von Thabo Mbeki, dem Nachfolger von Nelson Mandela, HIV/AIDS von staatlicher Seite verleugnet wurde.17 Eine große Mitverantwortung dafür tragen auch die sogenannten "AIDS-Dissidenten" aus westlichen Ländern einschließlich Deutschland, von denen sich die südafrikanische Regierung damals beraten ließ. Diese behaupteten, dass HIV harmlos und nicht die Ursache von AIDS sei und es keine effektive lebensverlängernde antiretrovirale Therapie geben würde. Mit derartigen Behauptungen habe ich mich 2018 in einem ausführlichen Artikel kritisch auseinandergesetzt, weil diese auch in Deutschland bei HIV-Infizierten für Zweifel und Verwirrung gesorgt haben.

Die Folgen waren katastrophal: Obwohl Südafrika (im Vergleich zu Uganda) über ein wesentlich höheres Bruttosozialprodukt verfügt und zu den Ländern mit mittlerem Einkommen, den sogenannten Schwellenländern, zählt, gab es 10 Jahre lang keine staatliche Unterstützung für die ART, keine medikamentöse Prophylaxe für Neugeborene HIV-positiver Mütter, obwohl antiretrovirale Medikamente zur Verfügung standen, und die Prävention wurde vernachlässigt, da von Regierungsseite die HIV-Infektion als Ursache von AIDS abgestritten wurde.

2008 erschien eine wissenschaftliche Untersuchung, in der geschätzt wurde, dass die Ablehnung von antiretroviralen Medikamenten durch die südafrikanische Regierung zum Tod von 330.000 bis 343.000 Menschen an AIDS und zu 171.000 vermeidbaren HIV-Infektionen, darunter bei vielen Tausenden Neugeborener und Kleinkinder, geführt hat.18

Seit etwa 2008 gibt es in Südafrika aber eine neue HIV/AIDS-Politik: Ein staatliches ART-Programm mit mehreren 100.000 behandelten AIDS-Patienten, die antiretrovirale Medikamente ohne Zuzahlung des Patienten erhielten, wurde aufgelegt, alle Schwangeren werden seit dieser Zeit auf HIV getestet, durch eine antiretrovirale Behandlung von HIV-positiven Schwangeren ist es zu einer deutlichen Verminderung der Neu- Infektionsrate bei Neugeborenen gekommen und große Präventionskampagnen wurden gestartet.

Nach Daten von UNAIDS aus dem Jahr 2017 waren unter den 15- bis 49-jährigen Südafrikanern knapp 18 Prozent HIV-positiv. In der Gesamtbevölkerung sind es 12 Prozent. Dies bedeutet: Rund 5 Millionen Südafrikaner leben mit dem HI-Virus. Am höchsten ist die Rate in KwaZulu-Natal (25,8 Prozent), am niedrigsten im Westkap (5,3 Prozent). 2013 gab das südafrikanische Gesundheitsministerium eine erschreckende Statistik heraus, wonach 28 Prozent aller Schülerinnen (Mädchen unter 15 Jahren) HIV-infiziert waren, dagegen nur 4 Prozent der männlichen Schüler.

Die zuletzt angeführten erschütternden Zahlen sprechen dafür, dass für die AIDS-Katastrophe in Südafrika neben dem Verlust von 10 Jahren der Aufklärung und Behandlung durch die geschilderte verhängnisvolle Gesundheitspolitik der ANC-Regierung und den schon oben im Abschnitt Uganda aufgeführten Ursachen weitere Gründe anzuführen sind, zum Beispiel, dass in der Provinz Ostkap Mädchen gezwungen wurden, ältere HIV-positive Männer zu heiraten, da manche Männer daran glaubten, dass Sex mit Jungfrauen sie heilen könne.

Auswirkungen der HIV-Epidemie in Subsahara-Afrika

Es lassen sich demographische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der HIV-Epidemie in Subsahara-Afrika unterscheiden.

In demographischer Hinsicht ist AIDS die wichtigste Todesursache noch vor Tuberkulose und Malaria und für jeden 5. Todesfall verantwortlich. Von AIDS betroffen sind vor allem junge Erwachsene im Alter von 25 bis 34 Jahren. In den Ländern mit den höchsten HIV-Prävalenzraten hat die Erkrankung zu einer dramatischen Senkung der durchschnittlichen Lebenserwartung geführt. Betrug sie dort in den 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts noch etwa 60 Jahre, so ist sie für den Zeitraum 2005 bis 2010 auf etwa 40 Jahre abgesunken.19

Zu diesen Ländern mit der niedrigsten Lebenserwartung gehören neben Südafrika Swasiland, Lesotho, Namibia, Sambia, Simbabwe und Malawi. Laut UNAIDS soll allerdings in Südafrika in den letzten 10 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung wieder deutlich angestiegen sein.

Zu besonders katastrophalen sozialen Auswirkungen ist es im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen gekommen, da hier viele gut ausgebildete jüngere Beschäftigte an AIDS gestorben oder deswegen vorzeitig ausgefallen sind. Daneben sind hohe soziale Belastungen durch die AIDS-Waisen entstanden. Man schätzt ihre Gesamtzahl auf etwa 10 Millionen in Subsahara-Afrika. Das sind fast 20 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren. Ein Viertel aller Familien hat AIDS-Waisen aufgenommen.

Nicht zuletzt sind verheerende wirtschaftlichen Auswirkungen zu verzeichnen. Durch den vorzeitigen Tod beziehungsweise Ausfall vieler Menschen im produktiven Alter durch HIV/AIDS erlitt die Wirtschaft massive Einbrüche und es ist zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion und des Wachstums um etwa ein Drittel gekommen.20

28 Lebensgeschichten von Menschen mit HIV/AIDS in Afrika

2007 erschien die englische Originalausgabe und im selben Jahr die deutsche Übersetzung des herausragenden Buches von Stephanie Nolen mit dem Titel "28 stories über aids in afrika".21 Die kanadische Journalistin, die lange Jahre im südafrikanischen Johannesburg gelebt und von dort viele Reisen kreuz und quer durch Subsahara-Afrika unternommen hat, erzählt in dem Buch sehr lebendig von 28 Frauen, Männern und Kindern, und jede der Geschichten steht für etwa 1 Million HIV-infizierter Menschen in Subsahara-Afrika, die dort um ihr Leben kämpfen.

In dem Buch begegnen wir Frauen und Männern, aber auch Jugendlichen wie zum Beispiel Tigist Haile Michael, einer 14-jährigen Waise aus Äthiopien, die sich und ihren kleinen Bruder in den Slums von Addis Abeba durchbringt, oder Alice Kadzanja, einer infizierten Krankenschwester aus Malawi, wo jeder Sechste HIV-positiv ist und die Lebenserwartung 36 Jahre beträgt, oder Zackie Achmat, dem südafrikanischen Helden im Kampf gegen HIV/AIDS.

Zackie ist seit seiner Jugend ANC-Mitglied und Polit-Aktivist, der 1998 die Treatment Action Campaign (TAC) in Südafrika gegründet hat. Diese kämpfte mit zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Kampagnen für die Zulassung von kostengünstigen antiretroviralen Medikamenten (Generika) gegen die Macht der internationalen Pharmakonzerne, die sich auf die internationalen Patentschutz-Abkommen für ihre (überteuerten) Arzneimittel beriefen, aber auch gegen die unverantwortliche AIDS-Politik der südafrikanischen Regierung.

Zu den Menschen, denen wir in dem Buch begegnen, gehört auch Nelson Mandela, der 2005 in Johannesburg vor eingeladenen Medienvertretern bekannt gab: "Wir haben sie heute zusammengerufen, um Ihnen mitzuteilen, dass mein Sohn an AIDS verstorben ist." Es war sein letzter noch lebender Sohn gewesen. Weiter sagte er: "Lasst uns die Krankheit öffentlich machen und sie nicht verstecken, denn offen mit ihr umzugehen und zu sagen, dass jemand an AIDS gestorben ist, ist die einzige Möglichkeit, sie als normale Krankheit wie Tuberkulose und Krebs anzusehen."

Nelson Mandela hatte erst mit einiger Verspätung das schreckliche Ausmaß der Epidemie in seinem Land erkannt. Er hat dann aber nach dem Rückzug vom Amt des Staatspräsidenten mit seiner ganzen Autorität gegen die Stigmatisierung der Menschen mit HIV/AIDS gekämpft, aber auch gegen die Verleugnung der Krankheit und für die Finanzierung einer effektiven antiretroviralen Therapie für alle betroffenen Südafrikaner. 2002 hatte er Zackie Achmat vor laufenden Fernsehkameras umarmt und trug dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift "HIV-POSITIV".

Auch wenn die Erstveröffentlichung des ergreifenden Buches von Stefanie Nolen schon 13 Jahre zurückliegt, ist es weiterhin hochaktuell. Es erzählt, wie das Virus funktioniert, wie es sich ausbreitet und wie es tötet. Es erklärt den fatalen Zusammenhang zwischen HIV/AIDS und Konflikten wie Hungerepidemien und dem Kollaps vieler afrikanischer Länder. Wir sehen aber auch, wie leicht AIDS sich behandeln lässt, wenn man das Glück hat, wirksame Medikamente zu bekommen, und wie der Kampf ums Überleben für diejenigen aussieht, die nicht behandelt werden.

Einige Schlussfolgerungen

1. HIV/AIDS ist in Deutschland auf Grund der relativ geringen Zahl der Betroffenen und der Erfolge der antiretroviralen Therapie eher ein medizinisches Randproblem geworden. Viele Betroffene leiden jedoch in psychosozialer Hinsicht unter Diskriminierungen und Stigmata.

2. HIV/AIDS ist Anfang des letzten Jahrhunderts in Zentralafrika entstanden und hat sich in den letzten Jahrzehnten von dort über Ostafrika in das südliche Afrika ausgebreitet, wo derzeit die höchsten HIV-Prävalenzraten festzustellen sind.

3. Obwohl es seit 1995/1996 eine effektive medikamentöse Behandlung für HIV/AIDS gibt, steht diese auch heute für einen großen Teil der Betroffenen in Subsahara-Afrika nicht zur Verfügung.

4. Für die am meisten von HIV/AIDS betroffenen Länder in Subsahara-Afrika gilt: Keine Ökonomie der Welt kann den Verlust von einem Viertel bis einem Drittel der jüngeren arbeitsfähigen Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der sozialen Lasten für Kranke und Waisen allein aus eigener Kraft tragen.

5. Es wird Zeit, HIV/AIDS als einen Faktor anzuerkennen, der in Subsahara-Afrika völlig neue soziale und wirtschaftliche Bedingungen geschaffen hat.

6. Deshalb reicht der "Selbsthilfeansatz" in der Entwicklungspolitik für die in starkem Maße von HIV/AIDS betroffenen Länder nicht aus. Mehr Solidarität von Seiten der europäischen Länder ist dringend geboten. Das betrifft nicht nur die (kostenlose) Zurverfügungstellung von effektiven antiretroviralen Medikamenten, sondern auch die Unterstützung beim Aufbau einer modernen medizinischen Grundversorgung vor allem für die ländliche Bevölkerung in den ärmsten Ländern, ohne die eine flächendeckende erfolgreiche medizinische Behandlung von HIV/AIDS eine Illusion bleibt.

7. Zu fordern ist darüber hinaus, dass eine praktizierte Solidarität im obigen Sinne sich verbinden muss mit einer Politik der westlichen Staaten, die die Konzerne der westlichen Welt zwingt, Wirtschaftsbeziehungen mit den afrikanischen Ländern zu entwickeln, die deren landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung fördert und nicht, wie bisher, torpediert.

8. Wenn das nicht geschieht, dürfte sich der Ressourcen-Reichtum von Subsahara-Afrika für die Mehrheit der dortigen Bevölkerung auch in den nächsten Jahren eher weiter zum Fluch entwickeln, wie das Tom Burgis in seinem 2016 erschienenen Afrika-Buch mit dem Titel "Der Fluch des Reichtums" eindrucksvoll dargestellt und begründet hat.22

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. Email: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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