Habeck nennt Grund, warum Staatssekretär Graichen nun doch gehen muss
Der Beamte habe sich in der Gesamtschau zu angreifbar gemacht, so der Wirtschaftsminister. Er attestiert ihm aber "große Leistungen für dieses Land". Was "der eine Fehler zu viel" war.
Die Schlagzeilen rund um den Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen, seine Verwandtschaftsverhältnisse und seinen Trauzeugen, dem er zum Posten des Geschäftsführers der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) verholfen hatte, rissen in den letzten Wochen nicht ab. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wurde zuletzt bescheinigt, "trotzig" an Graichen festgehalten zu haben, wie es das Magazin Capital ausdrückte.
Was dann doch "der eine Fehler zu viel" war, dieser "Sachverhalt" sei bisher gar nicht öffentlich diskutiert worden, sagte Habeck an diesem Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin. Darüber stelle er nun Transparenz her.
Demnach handelte es sich um einen Compliance-Verstoß, von dem eine Organisation hätte profitieren können, deren Berliner Landesvorstand Graichens Schwester angehört. Habeck nannte in diesem Zusammenhang einen mittleren sechsstelligen Förderbetrag.
"Es ist noch kein Geld geflossen"
Im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative habe es eine "Aufforderung zur Antragstellung" gegeben, also eine Vorstufe für konkrete Förderanträge.
Entsprechend der Vorlage hat Patrick Graichen am 30. 11. 2022 die Vorlage und eine Liste mit drei Projektskizzen gebilligt. Eines dieser Projekte stammt vom BUND Landesverband Berlin. Fördersumme knapp 600 000 Euro.
Es ist noch kein Geld geflossen, aber das Projekt wurde mit der Abzeichnung als förderwürdig eingestuft; die finale Förderentscheidung war damit im Prinzip nur noch eine Formsache.
Es ist der Landesverband, nicht der Bundesverband. Allerdings ist im Landesverband Berlin die Schwester von Patrick Graichen Vorstandsmitglied. Sie hat zwar keine formale Vertretungsbefugnis, war aber laut Vereinsregister bis Mai 2022 Landesvorsitzende.
Insofern ist es, wie die tiefere Prüfung zeigt, als Compliance-Verstoß zu bewerten.
Bundeswirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) in einer am Mittwoch verlesenen Stellungnahme
Habeck gab zudem an, dass ihm erst "seit gestern Abend" ein Prüfergebnis zu diesem Sachverhalt vorliege. "Diese Vorlage hätte Patrick Graichen laut Compliance-Regeln weder vorgelegt werden dürfen noch hätte er sie abzeichnen dürfen", stellte Habeck klar. Es müsse "allein schon der Anschein der Parteilichkeit vermieden werden".
Allerdings verwies der Minister auch auf die "extreme Arbeitslast" in seinem Ressort im genannten Zeitraum. Das ändere aber nicht an der Gesamtschau. Es sei "der eine Fehler zu viel" gewesen. "In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht", so Habeck.
Er beabsichtige daher, den Bundespräsidenten zu bitten, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Davon abgesehen lobte Habeck den bisherigen Spitzenbeamten:
Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht. Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Er hat die Energiewende wieder flott gemacht und Klimaschutz zum Regierungshandeln. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
Tatsächlich gibt es an diesem Regierungshandeln Kritik von allen Seiten. Dass weder Unternehmerverbände noch die Klimabewegung damit zufrieden sind, scheint Habeck jedoch als Musterbeispiel ausgewogener Politik wahrzunehmen. Mit der Personalie des geschassten Staatssekretärs dürfte dies aber wenig zu tun haben. Der Spagat der Grünen zwischen den Koalitionspartnern SPD und FDP einerseits und ums Klima besorgten Wahlberechtigten andererseits wäre auch, ohne Vetternwirtschaft kaum zu bewältigen.
LobbyControl fordert schärfere Regeln
Der Verein LobbyControl nannte aber zumindest die Entscheidung, Graichen zu entlassen, an diesem Mittwoch "richtig und konsequent". Nötig seien aber eine effektivere und unabhängigere Kontrolle und Durchsetzung der Regeln, sowie eine Verschärfung der Regeln selbst, "damit alle Arten von Interessenkonflikten frühzeitig erkannt und verhindert werden können".
Der Verein forderte an diesem Mittwoch verpflichtende Interessenerklärungen zum Amtsantritt aller Leitungspersonen in den Ministerien und ein unabhängiges Kontrollgremium, das Compliance-Verfahren regelmäßig überprüft.