Habemus Schwarz-Grün
Vorschau auf die neue Koalition ab Herbst 2021
Noch ein Jahr warten, dann ist es vielleicht soweit: Union und Grüne regieren zusammen Deutschland. Natürlich hört dann weder die Ausbeutung von Mensch und Natur auf, noch werden deutsche Panzer zu Pflugscharen. Warum das so sein muss, erklären nun aber auch ein paar grüne Minister.
Am Abend der Bundestagswahl 2021 werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach Grund zum Jubeln haben, Bündnis 90 / Die Grünen: zweitstärkste Partei hinter den Christdemokraten und ihrem bayrischen Ableger! "Das ist einfach großartig", dürfte ein aufgeräumter Spitzenkandidat Robert Habeck zum Besten geben. "Die Leute wollten den Wechsel. Die Zeit der Großen Koalition, und damit die Zeit des Stillstands, ist endlich vorbei."
Auch die Union wird sich bestätigt sehen: "Die Bürgerinnen und Bürger haben sich für die Mitte entschieden, für eine Politik mit Augenmaß", erkennt dann Kanzlerkandidat Armin Laschet messerscharf. "Als stärkste Partei haben wir nun den Auftrag von den Wählern bekommen, eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Wir werden natürlich mit allen Parteien sprechen. Und dann sehen, mit wem die nötigen Schritte für eine weitere Modernisierung Deutschlands am besten zu machen sind."
Die erste Adresse aufgrund des Wahlergebnisses: Bündnis 90 / Die Grünen. Und die lassen sich nicht lange bitten. Auf diesen Moment haben sie schließlich lange hingearbeitet.
Grüne Reifeprüfung 1998-2005: Pazifisten adé ...
Für die "Modernisierung" Deutschlands sind die Grünen schon immer gewesen. In ihrer Zeit als Regierungspartei unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder von 1998 bis 2005 brachten sie den Staat bereits einmal ordentlich auf Vordermann.
Gleich zu Beginn modernisierten sie die Außenpolitik: Eingeschworen vom frischgebackenen Außenminister Joschka Fischer ("Die Zeit der Flügelkämpfe ist vorbei - das kann uns Kopf und Kragen kosten!", d.h. die geliebte Macht, B.H.) marschierten die einst Friedensbewegten stramm mit ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner in den Krieg gegen Serbien. Denn es ging ja gegen ausgemachte Bösewichter, die vor keinem Massaker zurückschreckten! Egal, dass sich im jugoslawischen Bürgerkrieg alle Parteien gegenseitig an die Kehle gingen. Auch egal, dass der Westen, allen voran Deutschland, mit der Anerkennung der kroatischen Separatisten diese Schlachterei befeuert hatte. Ebenfalls egal, dass es dem Westen, allen voran Deutschland, sehr zupass kam, dass da ein letzter Rest unbotmäßiger, weil irgendwie sozialistischer Staat zerbrach. Und man deshalb sich bemüßigt fühlte, für den richtigen Ausgang des Bürgerkriegs zu sorgen. Bedenken wischte Fischer beiseite mit dem historisch-moralischen Totschläger "ein neues Auschwitz verhindern" (Nie wieder Krieg ohne uns). Was mit der Realität zwar nichts zu tun hatte, aber in der Öffentlichkeit und intern bestens verfing.
Die "Modernisierung" der Außenpolitik setzte sich mit dem Engagement der Bundeswehr in Afghanistan fort, einschließlich einer Umrüstung der Armee auf weitere solche Auslandseinsätze. Das konnte dann aber auch mal ein "Nein" bedeuten, wenn wie im Fall des Irak-Kriegs 2003 die SPD/Grüne-Koalition sich gegen eine bloße Assistenzrolle beim US-amerikanischen Zuschlagen entschied. Dass man hier nichts würde zu melden haben, geschweige denn einen irgendwie gearteten politischen Vorteil, machte den Beschluss gegen eine Beteiligung leicht. Mit einer Rückkehr der Grünen zu Zeiten der Friedensbewegung hatte das nichts zu tun.
... Kapital muss wachsen ...
Aber auch innenpolitisch sollte einiges erneuert werden: "Mit uns wird es eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen geben, damit wieder mehr eingestellt wird in diesem Lande", versprachen die Grünen in einem Wahlwerbespot. "Damit Arbeit billiger wird und nicht dauernd teurer."
Da waren sie mit den Sozialdemokraten an die Richtigen geraten. Der Kampf gegen die relativ hohe Arbeitslosigkeit von 4,4 Millionen Menschen stand ganz oben auf der Agenda der Koalition:
Eine starke, wettbewerbsfähige und an Nachhaltigkeit orientierte Wirtschaft ist die Grundlage für Arbeitsplätze, Wohlstand und für soziale Sicherheit.
Koalitionsvereinbarung 1998, Kapitel "Abbau der Arbeitslosigkeit
Das hätten allerdings auch die anderen Bundestagsparteien unterschrieben. Verhältnismäßig neu war, dass sich nun auch die einstigen Fundamental-Oppositionellen für den ganz normalen Lauf von Ausbeutung, Armut und Profit aussprachen.
... Arbeitslose bekämpfen ...
Folgerichtig nickten sie dann auch die "Agenda 2010" ab, mit der die rot-grüne Bundesregierung die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollte. Bei näherem Hinsehen waren es jedoch die Arbeitslosen, die bekämpft wurden - mit drastischen Leistungskürzungen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und den damit verbundenen Drangsalierungen: Nahezu jede Arbeit, auch ein Mini-Job, muss angenommen werden, selbst wenn der mit dem erlernten Beruf geschweige denn mit dem bisher erzielten Einkommen rein gar nichts gemeinsam hat.
Das Vermögen wird bis auf ein Minimum angerechnet, die Lebenspartner mit zur Kasse gebeten. Die neuen Arbeitslosengeld II-Bezieher dürfen nur "angemessenen" Wohnraum und ein "angemessenes" Auto nutzen. Mehr als 60 Quadratmeter für zwei Personen und ein Fahrzeug im Wert von höchstens 7.500 Euro sind da nicht drin. Mit "1 Euro-Jobs" und "Ich-AGs" werden zwar nicht die Betroffenen besser gestellt, aber die Statistik: So zählten mit einem Mal eine Menge Arbeitsloser nicht mehr dazu. Die "Agenda 2010" gilt bis heute (15 Jahre Hartz-Reformen).
... Atomkraftwerke nicht abschalten
Als Kritiker der Marktwirtschaft hatten sich die Grünen bis dato ohnehin nicht sonderlich hervorgetan. Ihre Schlager hießen "Anti-Atomkraft" und "Frieden". Das mit dem Frieden wurde dann ja neu buchstabiert. Auch in Sachen Atomkraft zeigten sich die Grünen nun flexibel: Vom sofortigen Abschalten, wie einst in der Opposition gefordert, war nicht mehr die Rede. Denn man gehörte jetzt schließlich zur anderen Seite. Und da musste der Staatsräson Rechnung getragen werden, also der Notwendigkeit dauerhaft sicher zur Verfügung stehender und günstiger Energie für die kapitalistische Produktion.
Dagegen hatten die Grünen auch nie etwas einzuwenden: Die Lichter würden schon nicht ausgehen, wenn es keine Atomkraftwerke mehr gäbe, hatten sie immer staatstragend argumentiert. Es würde weiterhin noch genug Strom für die Nation zur Verfügung stehen. Insofern hatten sie grundsätzlich kein Problem mit ihrer neuen Regierungs-Perspektive.
Nur dass der Ausstieg sich auf insgesamt 32 Jahre Regellaufzeit der AKWs belaufen würde, schmeckte nicht ganz so gut. An der Parteibasis rumorte es. Der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin überzeugte sie aber mit einem schlagenden Argument: "Wir haben die Wahl zwischen 32 Jahren Laufzeit und 32 Jahren Opposition." (zit. nach: Gegenstandpunkt. 3-2000, S. 40) Der Parteitag entschied sich dann mit deutlicher Mehrheit für die Laufzeit.
Jetzt geht's los: Die grüne Laufzeit als Opposition ist zu Ende
Immerhin 16 Jahre Opposition wurden es dann dennoch, bis nun wieder Bündnis 90 / Die Grünen mitregieren dürfen. In den Koalitionsgesprächen mit der CDU/CSU gab es erwartungsgemäß eine Reihe von "Knackpunkten". Doch "allen Beteiligten war klar, so eine Situation wie nach der vorigen Bundestagswahl, mit endlos langen und dann auch noch ergebnislosen Verhandlungen, darf es nicht geben", erklärten unisono Armin Laschet und Robert Habeck. "Das können wir unserem Land angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht zumuten."
Also sprangen die Parteien über diverse eigene Schatten, entdeckten aber auch eine Vielzahl von Übereinstimmungen. Einige ausgewählte Themen der Koalitionsvereinbarung:
Grüne Bewährung ab 2021: In der NATO angekommen
Selbstverständlich steht Deutschland weiter zum westlichen Militärbündnis. "Wir haben anlässlich der Feier von 70 Jahren NATO sehr aufmerksam die Rede von Herrn Trittin verfolgt", erklärt Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Das NATO-Bündnis ist im deutschen Interesse: Kollektive Verteidigung schafft Sicherheit. Das sagte er damals, unter dem Beifall des gesamten Bundestags. Wir konnten uns daher in diesem Punkt schnell verständigen."
Auch das ehrgeizige "Zwei-Prozent-Ziel" der NATO, der angestrebte Anteil der nationalen Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, ist keine Frage. Allerdings betont der grüne Juniorpartner: "Zivil vor militärisch! Konflikte sind normal, aber deren gewaltsame oder kriegerische Lösung müssen vermieden werden. Militär kann gewaltverhindernd oder gewalteindämmend wirken."
Im Klartext: Gegen Militär haben die Grünen im Prinzip nichts einzuwenden, eigentlich ist es sogar ganz hilfreich. Aber bitte erst einsetzen, wenn es gar nicht mehr anders geht! So kindisch dies daherkommt, so konstruktiv passt es in die gängige Auffassung eines deutschen Staates, der sturzfriedlich ist - und nur die Bundeswehr in alle Welt schickt, wenn das Böse einfach nicht anders aufzuhalten ist.
Tatsächlich verhält es sich so: "Zivil" ist die Erpressung missliebiger Staaten durch die überlegene ökonomische und militärische Gewalt der NATO-Staaten, "militärisch" wird es, wenn diese Erpressung nicht zur Zufriedenheit klappt. Die "Konflikte" fallen nicht vom Himmel, sondern sind Resultate staatlicher Konkurrenz. Und die dreht sich um den größtmöglichen Einfluss, die besten Bedingungen für die Anhäufung des nationalen Reichtums in der Welt zu schaffen. Der mit den stärksten Mitteln setzt sich durch. Das ist der Westen, mitsamt Deutschland. Und das gefällt offenbar inzwischen auch Bündnis 90 / Die Grünen.
Russlandpolitik: Grüne überholen rechts
Etwas schwieriger gerieten die Gespräche über das Verhältnis zu Russland. Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel hatte entgegen der Forderung der Grünen das Projekt der Erdgas-Pipeline "Nord Stream 2" durch die Ostsee nicht gestoppt. "Der versuchte Mord am russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny macht erneut klar, mit was für einem Regime wir es in Russland zu tun haben: Putin kennt bei der Unterdrückung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keine Skrupel", erklärten die Grünen.
Über die "Neuausrichtung der Russlandpolitik" diskutierten die Verhandlungsführer lange und engagiert. Da eine "gewaltverhindernde" oder zumindest "gewalteindämmende" Wirkung des Militärs angesichts der Atommacht Russlands keine Option ist, musste man andere Wege finden. Im Übrigen bestand die Union darauf, die Beziehungen zu Moskau nicht zu sehr abreißen zu lassen. Zu viel Geschäft, aber auch zu viele diplomatische Gelegenheiten würde man sich sonst verbauen, hieß es aus Verhandlungskreisen.
Das verstanden die Grünen. Also einigte man sich auf ein abgestuftes Verfahren. Beim nächsten Giftanschlag auf einen westlichen Hoffnungs-Kandidaten gegen Putin würde die Bundesregierung den Gashahn von "Nord Stream 2" zudrehen. Und da ein solches Attentat sicher wieder bald aufgedeckt würde, zeigten sich die Grünen zufrieden.
Wirtschaftspolitik: "Wir wollen doch alle das Gleiche"
Auch das zunächst als Konfliktpotenzial eingeschätzte Thema Wirtschaftspolitik führte nach einigen Verhandlungsrunden zu einem für beide Parteien akzeptablen Ergebnis. "Wir wollen alle doch das Gleiche: moderne deutsche Unternehmen, die mit innovativen Ideen in einem fairen Wettbewerb Erfolg haben", sagte der alte und neue Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Sein zukünftiger Kollege aus dem Umweltressort Anton Hofreiter (Grüne) ergänzte eilfertig: "Und nachhaltig, Eingriffe in Umwelt und Natur so wenig wie möglich, Kreislaufwirtschaft, ökologische Technologien fördern und..."
"Selbstverständlich", antwortete ein etwas genervt wirkender Altmaier. "Außerdem vergessen wir die kleinen und mittleren Unternehmen nicht, auch nicht die Start-ups, wir bringen mehr Frauen in Führungspositionen, bauen bürokratische Hürden ab und die Digitalisierung aus." Diese Zusagen fielen ihm leicht. Denn der Aufwind der FDP kurz vor der Bundestagswahl hatte Hoffnungen in der Union genährt, wieder eine schwarz-gelbe Regierung bilden zu können. Als es dann doch nicht so kam, erinnerte man sich mit Erleichterung daran, wie ähnlich sich inzwischen auch die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Bündnis 90 / Die Grünen entwickelt hatten.
Das neue Sozialprogramm: Hartz V
In der Sozialpolitik indes entpuppte sich das Wahlversprechen der Grünen, mit einer "Garantiesicherung" Hartz IV abzulösen, als Stolperstein.
"Das hat uns schon überrascht. Schließlich haben die Grünen Hartz IV mit erfunden und getragen. Und die Arbeitsmarktreformen haben doch tatsächlich die staatlichen Sozialausgaben erheblich reduziert. Darum beneidet uns ganz Europa", erklärte Verhandlungsführer Armin Laschet. Sein grüner Pendant Robert Habeck konterte knallhart: "Wir haben wissenschaftlich exakt ermitteln lassen, wie viel Geld im Monat arme Leute wirklich brauchen. Das sind 603 Euro inklusive Strom und weißer Ware. Die objektive Formel stellen wir der Union gern zur Verfügung. Außerdem haben wir errechnen lassen, dass der Abstand zu den untersten Lohngruppen immer noch genügt. Da kommt keiner auf die Idee, sich vor der Arbeit zu drücken."
Das mit dem Abstand zum Lohn beruhigte zwar die Gegenseite. Aber der Begriff "Garantie" sorgte für Unbehagen. Man einigte sich schließlich darauf, die Sozialleistungen an die im Rahmen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gesunkenen allgemeinen Lebenshaltungskosten anzupassen. Der Titel des neuen Programms: Hartz V.
Klima retten und Geschäfte machen? Geht!
Große Hoffnungen setzten natürlich Umweltschutz-Verbände wie Greenpeace oder BUND sowie Initiativen wie "Fridays For Future" auf die künftige Klimaschutz-Politik der neuen Regierung mit Beteiligung von Bündnis 90 / Die Grünen. Wie viele der Forderungen aus der Opposition würde die Partei wohl umsetzen, wenn sie das Sagen hat? Zumal CDU/CSU vor der Wahl heftig für ihr Bremsen im Klimaschutz von den Grünen angegangen worden waren. "Halbherzig, Lobbyisten-hörig, unwirksam: Das ist die Klimaschutz-Bilanz dieser Bundesregierung", fasste Co-Chefin Annalena Baerbock die Kritik zusammen.
Ein wirkungsvolleres Klimaschutzgesetz, der schnellere Ausstieg aus der Kohle bis 2030, eine beschleunigte Energiewende, strengere Quoten und Vorgaben für emissionsfreien Verkehr und eine stärkere Unterstützung der ökologisch orientierten Landwirtschaft lauteten die Eckpunkte.
Die Bundesregierung muss die Energiewende endlich wieder flott machen und ihr ambitionsloses Klimapaket insbesondere in den Bereichen Verkehr und Gebäude verbessern. Die aktuelle Emissionsentwicklung zeigt doch, dass Wohlstand und Klimaschutz keine Gegensätze sind. Wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz gehen zusammen. Das ist vor allem für den internationalen Klimaschutz und die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens eine wichtige Botschaft, die von Deutschland als einem der wichtigsten Industrieländer der Welt ausgeht.
Kein Ausweg aus der Klimakrise
Kapital schützen vor den Folgen des eigenen Raubbaus
Dass Unternehmen vom Staat dort Einhalt geboten wird, wo sie ihren Raubbau an der Natur zu weit treiben, ist keine exklusive Anschauung der Grünen. Das stellten auch sofort die Verhandlungspartner der Union klar. Der Dissens besteht darin, wann genau das Kapital "zu weit" geht, also wann die natürliche Grundlage für die gewinnträchtige Produktion so sehr Schaden nimmt, dass sie für das weitere Wirtschaften nicht mehr taugt.
Die einzelnen Betriebe haben diesen Standpunkt nicht. Sie schauen, wie sie sich am besten ihrer Umwelt bedienen können, um erfolgreich zu sein. Die Ironie: Indem der Staat den Unternehmen durchaus kostspielige Auflagen macht, die Natur nur in einem gewissen Rahmen zu schädigen, erhält er eben diesen Unternehmen die Basis für ihr Geschäft.
Die Umweltpolitik fällt entsprechend relativ aus: Was ist dem hiesigen Kapital zuzumuten, ohne dass die Profitproduktion nachhaltig leidet? Dabei geht es nicht nur um die nationale Sicht. Sondern gerade im internationalen Vergleich will Deutschland seine Unternehmen nicht durch zu hohe Klimaschutz-Auflagen benachteiligen. Und weil diesen Standpunkt alle anderen kapitalistisch erfolgreichen Staaten dieser Welt ebenfalls haben, wird um die Maßnahmen für Klimaschutz erbittert gestritten.
Lektion in Sachen "Regieren"
So gab es auch zwischen den künftigen Koalitionspartnern keinen prinzipiellen Streit. "Wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz gehen zusammen, natürlich", unterstrich der CSU-Vorsitzende Markus Söder. "Aber, das sage ich hier ganz deutlich, nur bei einem ausreichenden Wirtschaftswachstum werden wir die nötigen Mittel haben, den Klimaschutz zu forcieren. Das bedeutet auch, die Unternehmen zu fördern und zu fordern. Sie also bei ihren ökologischen Anstrengungen zu unterstützen und gleichermaßen zu erwarten, dass sie weiter auf ihren Märkten erfolgreich sind. Im besten Fall erringen sie gerade über ihre nachhaltige Modernisierung die Marktführerschaft."
Der CSU-Chef erteilte dem künftigen Koalitionspartner damit eine Lektion in Sachen "Regieren": Als Opposition, außer- wie innerparlamentarisch, lässt sich leicht eine lange Liste von staatlichen Maßnahmen fordern. Ist man dann aber am Ruder, relativieren sich die Vorhaben: Welche Mittel hat der Staat zur Verfügung? Und welchen selbst gesetzten Sachzwängen ist zu folgen? Mittel, die er von einer florierenden kapitalistischen Ökonomie erhält und von einer darauf reflektierenden Finanzbranche, sprich Steuern und Kredit. Sachzwängen, die sich aus den Notwendigkeiten gewinnträchtiger Marktwirtschaft ergeben: unter anderem eine taugliche Infrastruktur bereitzustellen, zum Beispiel Straßen und Telekommunikation, und ein taugliches Arbeitsvolk, Stichworte Bildung und Gesundheit.
So zieht bei vormaligen Maximal-Forderern ein "Realismus" ein, sobald sie die Staatsgeschäfte übernehmen: "Das muss uns der Herr Söder nicht erklären", reagierte etwas patzig Grünen-Co-Chef Robert Habeck. "Wir kennen schon die Zusammenhänge. Aber es gibt bei allen Sachzwängen Spielräume. Und die wollen wir nutzen."
Klimaschutzgesetz: neu und jetzt mit noch mehr Wirkung
Auf dieser Grundlage konnten die Gespräche in vielen Punkten zügig zu einem Resultat geführt werden. Es soll nun in vielen Bereichen "wirkungsvoller", "schneller", "strenger" und "stärker" zugehen. Das von der Großen Koalition 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz wird fortgeführt. Zusätzlich zu den regelmäßigen Prüfungen, ob die Maßnahmen die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen schaffen, gibt es nun jedoch parallele Prüfungen auf deren wirtschaftliche Verträglichkeit.
"Damit stellen wir die nachhaltigen Effekte sicher. Denn nur was für die Unternehmen finanzierbar ist, kann auf Dauer wirken", stellt für die Union der neue Finanzminister Friedrich Merz klar. "Die deutsche Wirtschaft kann Klimaschutz, da bin ich sicher", ergänzt Robert Habeck für die Grünen. "Und wir haben da bereits große Fortschritte gemacht, deutsche Klimaschutz-Technik ist weltweit gefragt. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir bis 2050 treibhausgasneutral sind. Mit der neuen Bürgerbeteiligung schaffen wir außerdem die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung. Das war für uns nicht verhandelbar!"
Früherer Kohleausstieg? Mal die Betreiber fragen
Hart rangen die Grünen auch mit CDU/CSU bei vielen weiteren Details. Der Ausstiegstermin aus der Kohle bleibt zwar das Jahr 2038. Aber am Ende der Legislaturperiode, also 2025, wird ganz genau geschaut, ob es nicht vielleicht doch schneller geht: Bei den Betreibern der Braunkohlekraftwerke wird mit Nachdruck gefragt, ob ihre Anlagen eventuell etwas früher unrentabel und damit abschaltbar werden könnten.
Als Erfolg verbuchte der Juniorpartner ebenfalls die Entscheidung, von sofort an für alle Regierungsmitglieder nur Dienstwagen mit Elektroantrieb anzuschaffen. Die Kaufprämien für E-Autos werden selbstverständlich fortgeführt. "Sie geben die richtigen Impulse für den nötigen Umbau der deutschen Autoindustrie und helfen der Konjunktur. Für den kleineren Geldbeutel haben wir nun auch eine bundesweit einheitliche Unterstützung beim Kauf von Rollern und Rädern mit Elektromotor vereinbart", verkündet stolz Annalena Baerbock.
Agrarpolitik: Bio oder Massenproduktion? Deutschland braucht beide!
Schwierig wurden die Gespräche beim Thema Landwirtschaft. Der designierte grüne Agrarminister Friedrich Ostendorff hatte vor der Wahl seiner Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) ein katastrophales Zeugnis ausgestellt. Von "Schaufensterpolitik" war die Rede gewesen, fehlende "Zukunftskonzepte" und damit keine "Planungssicherheit für Betriebe" seien die Folge.
Das sorgte zunächst nicht gerade für gute Stimmung in den Koalitionsverhandlungen. Profis, wie Politiker nun einmal sind, war das dann aber schnell vergessen. Was kümmert auch eine künftige Regierungspartei, was sie in der Opposition den an der Macht befindlichen Parteien an den Kopf geworfen hat? Noch dazu, wenn sie mit einer dieser Parteien nun gemeinsame Sache machen möchte? Also besann man sich auf die "Sachfragen": Wie man mehr natur- und menschenverträgliche Landwirtschaft bekommt, ohne den marktwirtschaftlichen Segen von Massentierhaltung und Monokulturen zu gefährden.
"Wir haben den Einstieg in eine ökologischer arbeitende Bauernschaft vereinbart", fasst Ostendorff die Ergebnisse zusammen. "Die Betriebe werden stärker als bisher für einen umweltschonenden Anbau belohnt. Damit wird jedoch nicht der Stab über die konventionelle Landwirtschaft gebrochen. Wir brauchen ihre Erträge. Nur gemeinsam mit der Agrarwirtschaft können wir die Herausforderungen der nächsten Jahre bewältigen."
Umweltverbände und Initiativen: Beschlüsse "zu wenig, zu schwach, zu langsam"
Insgesamt ergibt sich damit ein sehr ambitioniertes Programm - schon allein deswegen, weil jetzt die Grünen mit am Ruder sind. Etwas undankbar zeigen sich allerdings die Umweltverbände. Sie äußern sich enttäuscht über die Pläne - "zu wenig", "zu schwach", "zu langsam" lautet die Kritik.
Einige Stimmen erinnern auch an das Durchwinken des Autobahnausbaus in Hessen durch den grünen Verkehrsminister ein Jahr zuvor. Wütende Plakate wie "Grün regiert" und "Bündnis A 49/Die Grünen" hatten seinerzeit Umweltverbände überall im Land aufgehängt. Sie kritisierten damals die "Verlogenheit" der Grünen - und fühlen sich nun ein weiteres Mal bestätigt. Teile von "Fridays For Future" demonstrieren weiter, weil "auch die neue Regierung die wissenschaftlichen Fakten kaum berücksichtigt und nicht entschieden genug handelt".
Ein anderer, wachsender Teil, bleibt jedoch zuhause. Der hat die Grünen gewählt und sieht sein Anliegen nun in guten Händen. Einige sind der Partei auch beigetreten und mischen jetzt so richtig mit beim Vereinbaren von profitträchtiger Ausbeutung der Natur mit eben dem minimalen, weil nützlichen Erhalt derselben.
Sauber, einfluss- und erfolgreich: Deutschland nach dem Geschmack (nicht nur) der Grünen
Ob es im Herbst 2021 wirklich so kommt? Sicher ist zumindest: Die geschilderten inhaltlichen Positionen von Bündnis 90 / Die Grünen werden sich nicht wesentlich ändern. Und die Beteiligungen an Bundesregierung und Landesregierungen sowie die zahlreichen Fraktionen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene zeigen, dass die einstigen Fundamental-Oppositionellen das politische Geschäft von der Pike auf gelernt haben und so beherrschen wie die anderen Parteien. Dementsprechend staatstragend denken sie und treten auch so auf.
Ganz wie der Rest der politischen Elite haben sie ständig den Erfolg der deutschen Nation im Sinn, wollen diese modernisieren und damit fit machen für die "globalen Herausforderungen". Die darin bestehen, sich in der Konkurrenz um Macht und Reichtum gegen alle anderen Staaten, die das auch wollen, zu behaupten. Natürlich sind die Deutschen dabei die notorisch Guten. Sie treiben ja nur friedlichen Handel, der merkwürdigerweise auch ziemlich viele Verlierer-Staaten zur Folge hat. Dafür können die Deutschen aber nichts. Sollen die Loser halt besser wirtschaften und weniger korrupt sein.
Sogar die Bundeswehr tut nur Gutes. Sie ist "humanitär" überall auf der Welt unterwegs, schaut kurz mal vorbei, wenn deutsche "Interessen" berührt sind, und hilft Amis und NATO bei ihren Aktionen mit Informationen ihrer friedlichen Aufklärer.
All dies und den ganzen Rest, der zum Staat machen gehört, unterschreiben Bündnis 90 / Die Grünen. Sie sind also ausgezeichnet wählbar. In einem sollte man sich aber nicht täuschen: Das Kreuz für diese Partei bedeutet keinen konkreten politischen Auftrag. Wie bei den anderen Parteien gibt man lediglich seine Stimme ab, ermächtigt ein Personal zur Ausübung der Staatsgeschäfte. Was diese Leute dann tatsächlich machen, ist allein deren Sache. Sie sind qua Gesetz nur "ihrem Gewissen verpflichtet".
Das, so viel ist immerhin sicher, sich ausschließlich an der Staatsräson ausrichtet. Auf was es dabei ankommt, haben die Grünen schon lange verinnerlicht - ein sauberes und einflussreiches Deutschland mit erfolgreicher Wirtschaft überall. Und darauf wird man sich mit der Union ganz gewiss einigen können.