Haben Konsumenten von Science Fiction einen Vorsprung?
Seite 2: Durch die posthumane Gesellschaft manövrieren
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Letztendlich zwingt ihn aber doch die Langeweile aus seinem selbstgewählten Schneckenhaus heraus, und er möchte wenigstens in kleinen Teilen Klarheit über vergangene Missionen und über sehr ungute Seltsamkeiten bei einem aktuellen Auftrag erhalten.
Natürlich ist es genau dieser Wunsch, der die Lawine in Bewegung setzt, und wie sich der "Murderbot" durch die posthumane Gesellschaft manövriert, wie er andere Systeme hackt und manipuliert, wie er kämpft und an den Bedürfnissen seiner leicht verletzlichen, lächerlich dummen menschlichen Zeitgenossen verzweifelt, und wie diese menschlichen Zeitgenossen aus ihm etwas machen wollen, das er nicht sein will - nämlich ein Mensch - das ist schon sehr unterhaltsam zu lesen.
Es hält auch einige Lektionen bereit. Die Seriensucht des Murderbots ist kein nebensächliches Detail, sondern sagt mehr über die Gegenwart aus, als uns genehm sein sollte. "Netflix", so hieß es jüngst in der Wochenzeitung Jungle World , "Ist Fernsehen für das unternehmerische Selbst. Der souverän über die Produkte verfügende Konsument ist eine von der Kulturindustrie geschaffene und von den Cultural Studies reproduzierte Illusion und hat mit der Realität des Medienkonsums, den eigenen eingeschlossen, nichts zu tun."
Und genau das unternehmerische Selbst am untersten Ende der Skala führt Martha Wells mit ihrem Murderbot vor, der gerade in den stressigsten Momenten des Überlebenskampfs in seine Serienwelt abrauschen will, wenn auch nur für ein paar Nanosekunden. Wenn er die "Freiheit" ernst nehmen würde, die er sich erkämpft hat, wäre er schnell tot.
"Selbstverantwortung" ist nur ein anderes Wort für das notwendige totale Misstrauen und die gesellschaftlich steinhart verfestigte Gnadenlosigkeit. "Initiative" bedeutet, die eigenen Bordwaffen schneller abfeuern zu können als der Gegner.
Schon heute bewegen wir uns alle in einer Datensphäre, die uns wie ein unsichtbares Fluidum ständig umgibt, und wer sich konkret anschauen will, wie der Kampf großer und kleiner Fische in diesen Gewässern konkret ablaufen könnte, der findet bei Martha Wells eine Menge Anschauungsmaterial.
Multikulturalität unter Bedingungen galaktischer Expansion
Selbstverständlich sind die Murderbot-Diaries nur ein Beispiel für Science Fiction, die sich um einen Platz im Museum der Möglichkeiten bewirbt. Becky Chambers arbeitet weiter an ihrem Epos über die Multikulturalität unter den Bedingungen galaktischer Expansion, das Autoren-Duo unter dem Künstlernamen "James S.A. Corey" beackert mit der Expanse-Saga das gleiche Feld
Auch deutsche Autoren sind dabei: Leif Randt zum Beispiel, der in Planet Magnon die Schrecken der verwirklichten Utopie ausgeleuchtet hat. Andreas Eschbach beschäftigt sich in seinem aktuellen Roman "NSA - Nationales Sicherheitsamt" mit der Frage, was die Nazis mit Computern und dem Internet angestellt hätten.
Schon jetzt kann ich auf zwei Veranstaltungen im Jahr 2019 hinweisen, die den Stand der Science Fiction und ihre Belastbarkeit diskutieren wollen. Einmal meinen kommenden Vortrag "Widersprüche - Was kann Science Fiction heute leisten?" im Februar und der Kongress "Next Frontiers" (Website im Aufbau) im Juni.
Haben also die Konsumenten von Science Fiction-Medien in irgendeiner Weise einen Vorsprung? Wissen sie mehr, oder können sie sich wenigstens mehr vorstellen? Der Slogan "Fans are slans", der in den Vierzigern Science Fiction-Lesern eine ähnliche Überlegenheit andichten wollte wie den Übermenschen in A.E. van Vogts "Slan"-Roman war immer lächerlich.
Tatsache ist: Das Museum der Möglichkeiten steht allen offen. Alle können es besuchen, staunen, sich wundern, sich fürchten und ihre eigenen, möglichst gut informierten Konsequenzen ziehen. Das ist und bleibt die Macht der Science Fiction.
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