Hacken für die Menschenrechte

Informationstechnik, große Datenbanken und statistische Auswertungen sollen beim Nachweis der Verantwortung von Milosevic für Vertreibungen und Massaker helfen

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Der Prozess des UN-Kriegsverbrechertribunal gegen Milosevic, der am 12. Februar begonnen hat, muss eine direkte Verantwortlichkeit des früheren jugoslawischen Präsidenten für die ihm vorgeworfenen Fälle von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo, in Kroatien und Bosnien liefern, um ihn verurteilen zu können. Für die Tötung und Vertreibung von Menschen aus dem Kosovo wurde von dem Soziologen Patrick Ball eine umfangreiche Datenbank geschaffen und mit statistischen Verfahren ausgewertet. Die Ergebnisse seiner Analyse stellte Ball diese Woche dem UN-Tribunal vor und hofft damit zeigen zu können, dass Milosevic im Kosovo eine systematisch betriebene "ethnische Säuberung" hat durchführen lassen. Ball hatte im letzten Jahr am Hackertreffen DefCon 9 teilgenommen und vorgestellt, was Hacken für Menschenrechte beinhaltet.

Das erste Mal steht Slobodan Milosevic ein ehemaliger Staatschef vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Der Prozess gegen ihn ist daher von überragender Bedeutung und Signalwirkung. Ganz entscheidend wird es sein, ob das Gericht eine direkte Verantwortlichkeit tatsächlich belegen können wird. Während beispielsweise die Nazis, vielleicht gebannt durch ihren Traum vom Tausendjährigen Reich, minuziös ihre Gräueltaten dokumentiert haben, zogen die Staatsterroristen und Kriegsverbrecher daraus die Lehre, möglichst keine Spuren zu hinterlassen, die auf ihre Mitverantwortung für Massaker oder andere Verbrechen schließen lassen. Oft genug ist, wie im Fall des Kosovo, nicht einmal wirklich klar, wie viele Menschen tatsächlich wann vertreiben oder getötet wurden.

Milosevic erkennt nicht nur das UN-Tribunal nicht an und besteht deswegen darauf, sich selbst zu verteidigen, er stellt sich auch als Opfer einer großangelegten Verschwörung des Westens dar (Der Angeklagte als Ankläger). Die Serben hätten nur wie jetzt die USA gegen die Terroristen der UCK gekämpft, für die ihm vorgeworfenen Vertreibungen und Massaker an der Zivilbevölkerung im Kosovo macht Milosevic die Nato-Angriffe und die UCK-Aktivitäten verantwortlich. Die NATO hätte mit der "größten Aggression seit dem Zweiten Weltkrieg" Serbien in die Steinzeit zurückbomben wollen und habe zu diesem Zweck den Tod von vielen Zivilisten in Kauf genommen.

Zu seiner Verteidigung hatte er auch den vom ARD-Magazin Monitor ausgestrahlten Film Es begann mit einer Lüge herangezogen (Es begann mit einer Lüge). Die ARD-Reporter stellten bei ihrer Recherche "bewusste Fälschungen" fest, die begangen worden wären, um den Nato-Angriff am 24. März 1999 zur Abwendung einer drohenden "humanitären Katastrophe" zu rechtfertigen. Durch Bilder eines angeblichen Massakers von serbischen Milizen an Zivilisten in Rugovo belegte auch Verteidigungsminister Scharping den serbische Plan "Hufeisen" zur ethnischen Säuberung des Kosovo. Man geht davon aus, dass 1999, unabhängig von der Ursache, über 800.000 Menschen aus dem Kosovo geflohen sind und 11.000 Menschen ermordet wurden. Das geschah vor allem in der Kriegszeit zwischen März bis Juni.

Mit Statistik gegen Verschwörungstheorie

Die statistische Analyse, die von dem AAAS Science and Human Rights Program unter der Leitung von Patrick Ball für den Zeitraum vom Beginn des Kriegs bis zu dessen Ende (24.3. - 12.6.) durchgeführt wurde, belegt zumindest die Behauptung, dass die Flüchtlingsbewegungen nicht direkt mit den Nato-Bombardements zusammenhängen, sondern stets nach serbischen Truppenbewegungen erfolgt sind. Grundlage für die Erhebung waren die Berichte der serbischen Regierungen über die Nato-Angriffe und UCK-Aktionen, die mit den Nato-Angaben über die Lufteinsätze und Daten und Berichten über die Flüchtlingsbewegungen verglichen wurden. Dabei ergab sich, dass Flüchtlingsbewegungen immer dann auftraten, wenn es zuvor größere Bewegungen des serbischen Militärs gegeben hatte, während die Nato-Einsätze und UCK-Aktionen in aller Regel danach festzustellen waren: "Ich glaube, die Daten sind konsistent mit der Erklärung, dass die jugoslawischen Streitkräfte eine systematische Aktion der 'ethnischen Säuberung' durchgeführt haben. Die Daten weisen die Hypothese zurück, dass die UCK-oder die Nato-Aktivität dafür verantwortlich waren."

Ball hatte mit seinem Team drei Jahre lang für die Erstellung der Datenbank Angaben über Flüchtlinge, die an der albanischen Grenze erhoben wurden, Berichte von Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsberichte, Zeugenaussagen und Ergebnisse von Exhumierungen gesammelt und überprüft, um die Zahl der getöteten Zivilisten und der Flüchtlinge festzustellen.

Nach den 15.000 Interviews und Exhumierungsberichten von Menschenrechtsorganisationen (Physicians for Human Rights, Human Rights Watch, ABA/CEELI-Center), die auf Fehler, Verdopplungen oder unterschiedlich geschriebene Namen durchgesehen werden mussten, kam Balls Team zu dem Schluss, dass verlässlich identifiziert 4.400 Menschen getötet wurden. Statistisch hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergäbe dies minimal 10.500 Ermordete mit einer Fehlerrate von einigen Hundert Menschen. Mit einer 95prozentigen Sicherheit käme man statistisch auf eine Zahl zwischen 7.449 und 13.627 Getöteten.

Bei den Statistiken über die Flüchtlingsbewegungen zeigte sich, dass die in bestimmten Regionen des Kosovo zu bestimmten Zeiten anschwollen oder abnahmen. Festgestellt wurden drei unterschiedliche Phasen mit "regelmäßigen Mustern", wobei die Flüchtlingswelle meist auch mit einem Anstieg von Morden zusammenhängt, was für Ball wieder auf eine koordinierte Operation zur Vertreibung hinweist, auch wenn es keine ursächliche Verbindung zwischen Massakern und Fluchtbewegungen gibt. Tötungen habe es auch dort gegeben, wo keine UCK-Aktivitäten bekannt gewesen seien. Nach den Zahlen, die nach Zeit und Region aufgegliedert sind, wäre hingegen nur eine kleine Zahl von Menschen aufgrund der Nato-Bombardierungen geflohen. Nach den statistisch festgestellten Mustern lässt sich aber auch etwas über die Wirkung der Bombardements aussagen, nämlich dass sie die humanitäre Katastrophe nicht stoppen konnten:

"The findings of this report suggest that the refugee flows do not necessarily follow sequences of mass killings. As with bombing, mass killings occasionally coincided with heavy refugee flows. However, there are many areas from which many refugees departed but where there were no massacres, and there are other areas in which mass killings were committed yet from which there were relatively few refugees. Finally, this report finds that NATO's bombing was tactically ineffective at stopping the forced eviction of Kosovar Albanians. While NATO bombing was not the cause of the mass migration, neither did the bombing stop Yugoslav forces from driving hundreds of thousands of Kosovar Albanians from their homes."

Hacktismus und Verschlüsselung

Ob die von Ball erstellte Datenbank und die statistische Auswertungen tatsächlich vor dem Gericht irgendeine Beweiskraft haben werden, muss man sehen. Gleichwohl hat seine Arbeit bereits zu Erfolgen geführt und beweist die Bedeutung von groß angelegten quantitativen Analysen von Daten im Bereich der Menschenrechte für Wahrheitskommissionen, Gerichte oder NGOs, um Täter zu überführen und ihre Taten anzuprangern. Ball hat seit 1991 solche Erhebungen in El Salvador, Äthiopien, Guatemala, Haiti und Südafrika durchgeführt und versucht die Prinzipien eines wissenschaftlich geleiteten Aufbaus von Datenbanken über Schriften auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. So wichtig Berichte über einzelne Fälle sind und bleiben, so entscheidend werden Datenbanken und ihre statistischen Datenbanken werden, um organisierte Verbrechen gegen die Menschlichkeit feststellen und beweisen zu können, wenn die Täter möglichst ihre Spuren zu verwischen suchen. Das eben nennt Ball Hacken für die Menschenrechte:

"Hacktivism: Using information technology, big data, and cool statistics in the service of human rights."

Auch um das Ausmaß der Verbrechen einigermaßen valide ausmachen zu können, dürften die von Ball eingeführten Methoden bald unerlässlich werden.

Grundlage aber bleiben zur Feststellung und Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen jedoch die Berichte, die meist von Menschenrechtsorganisationen oder anderen NGOs vor Ort kommen. Menschenrechtsverletzungen finden in aller Regel dort statt, wo auch diejenigen, die über diese informieren wollen, in Gefahr schweben. Ball liegt es also auch am Herzen, den Aktivisten zu zeigen, wie sie sich und ihre Informanten schützen können, indem sie ihre Computer und die Daten auf ihnen sowie die Kommunikation mit anderen verschlüsseln. Mit einer digitalen Signatur lassen sich die Dokumente auch authentifizieren. Das sei wichtig, so Ball, weil Menschenrechtsorganisationen oft getäuscht werden.

Bei der Arbeit in Guatemala, wo von der Regierung in 35 Jahren Bürgerkrieg über 100.000 Menschen getötet wurden, hatte man Helfer beispielsweise mit Solarenergie betriebene Laptops gegeben, um Berichte über Menschenrechtsverletzungen in abgelegenen Gebieten aufzunehmen, in denen sich Menschen versteckt hatten. Die Lage von Massengräbern konnte mittels GPS-Koordinaten genau angegeben werden, um so die Berichte und die Funde auch geographisch zu lokalisieren. Die Daten der über 5.000 Befragungen wurden verschlüsselt, kommuniziert wurde anonym, so dass auch der Standort der Kommunizierenden verborgen bleibt. Im Fall von Guatemala wurden die Daten aus den Berichten mit Auswertungen über die Karriere von Militärs und Polizisten verbunden. Dadurch konnten die schlimmsten Verbrecher identifiziert und namentlich in Zeitungen genannt werden. Eine Klage seitens der Beschuldigten konnte aufgrund der Daten abgewiesen wurden.

Für Menschenrechtsorganisationen wird, worauf Ball hinweist, im Rahmen des Martus-Projekts ein auf dem Web basierendes Textsystem entwickelt. Das Programm ist Open Source, daher wird es auch kostenlos angeboten werden Die Einträge in die Felder werden verschlüsselt und an die Server über verschlüsselte Kanäle weiter geleitet. Überdies werden die Informationen, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ins Web gestellt. Das "Human Rights Bulletin Board" System, das als Initiative von Benetech entwickelt wird und sich im Beta-Test-Stadium befindet, soll extrem einfach zu bedienen sein und Menschenrechtsorganisationen bis zum Ende des Jahres zur Verfügung gestellt werden.