Hackordnung als pädagogisches Prinzip
Im Computerspiel Canis Canem Edit wird die Schule in einem erschreckend realistischen Szenario zum Kampffeld
Die Schule als regressiver Glücksmoment – ein Platz, an dem die Welt noch in Ordnung war. In Canis Canem Edit, dem neuen und umstrittenen PlayStation 2-Spiel der GTA-Macher Rockstar, ist sie jedoch ein Ort voller Bewährungsproben und Gefahren – ein Ort, an dem man nicht wirklich der Bildung, sondern nur der Macht frönt und sich an der Unterlegenheit der vermeidlich Schwachen weidet. Survival of the fittest als schulischer Alltag: Canis Canem Edit zeichnet ein desolates Bild einer Erziehung, die außer Kontrolle geraten ist und nur noch durch einen totalitären Überwachsungsapparat eingedämmt werden kann. Ein Spiel mit einem sarkastischen Unterton und einem erschreckend realistischen Szenario. Im Zuge der aktuell aufflammenden Gewaltdebatte könnte Canis Canem Edit aber mehr liefern als nur einen weiteren Sündenbock.
Was passiert, wenn die Lehrer nicht mehr genau hinschauen oder die Macht über die Schützlinge verlieren? Ein Hackordnung entsteht, bei der es nur noch darum geht, durch Gewalt die Kontrolle über die anderen zu gewinnen. In diese Hierarchie wird der Spieler mitsamt dem Avatar Jimmy hineingeworfen. Der Outcast, verstoßen von der eigenen Mutter aufgrund seiner rüden Manieren, muss sich nun als Neuer an der Bullworth Academy durchbeißen. Die Lektion an dem Lehrinstitut mit dem sprechenden Namen ist schnell gelernt: Nach unten treten, nach oben buckeln. So kann man den Campus erkunden und ständig eine Prügelei anfangen – bei zu starken Gegnern lohnt auch schon mal Einschmeicheln, um den Konflikt unversehrt zu lösen.
In dieser Schule haben sich Clubs gebildet, die die verschiedenen Territorien für sich einnehmen: In der Bibliothek herrschen die Nerds, im Sportbereich die Muskelprotze und im Hinterhof die Rocker namens Greasers – Stereotypen mit schlechter Laune und Gangmentalität. Ihnen gilt es zu hofieren, in diese exklusiven Clubs muss der Spieler seinen Weg finden und sie gegeneinander austricksen. Das fängt zunächst bei den Schwächsten an, die man anfängliche beschützen muss: Die Nerds sind die unterste Stufe der Rangordnung.
Nicht aus Philanthropie oder Beschützerinstinkt, aus reinem Gewinnstreben ist Billy bereit, diverse Dienste wie Begleitschutz oder Wiederbeschaffung von heiklen Unterlagen zu erledigen. Dass er dabei tatsächlich eine gewisse Moral von Fairness entwickelt, ist ein Zugeständnis an den Spieler: Wie bei GTA soll doch noch eine Funken Sympathie für den Avatar bleiben, der Ekel vor den eigenen Handlungen könnte sonst zu groß werden. Denn es geht auch anders und so lassen sich die Mitschüler durch Juckpulver, Stinkbomben oder eine Entsorgung im Mülleimer drangsalieren – Canis Canem Edit bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten anderen eins auszuwischen.
Totalitärer Überwachungsapparat gegen Schülerstreiche
Doch es gibt natürlich auch ein Gesetz auf diesem Schulhof der pubertären Alpträume und das wird rigide durchgesetzt. Der Rektor ist noch vom alten Schlag und hält weniger von liberalen Pädagogikmethoden: Disziplin durch drakonische Strafen ist das einzig probate Mittel für ihn.
Reaktionäre Kräfte haben hier das Sagen, die an allen Ecken und Enden ihre Wachmänner postiert haben und selbst in Toiletten die Überwachungskameras laufen lassen – nicht ganz unähnlich einigen Schulen in den USA. Der Stasi hätten diese Visionen sicher nicht schlecht gefallen.
Das übrige Kollegium setzt sich allerdings aus einem Pepe der Paukenschreck-Sammelsurium zusammen: Die laszive Kunstlehrerin, die selbst gerne einige Schüler vernaschen würde, der alkoholkranke Englischlehrer, der sich ohne Flasche nicht in die Schule traut, oder der leicht trottelige Chemielehrer – sie alle spiegeln ein Bild wieder, dass Lernen zur Farce werden lässt. Und doch hat Canis Canem Edit durch ein paar Minispielchen einen kleinen Lerneffekt, nicht nur für den Spieler, sondern auch für seinen virtuellen Vertreter. Dieser lässt sich dann meist handfest einlösen: Nach jeder erfolgreichen Kunststunde wird man galanter und kann die Mädels bezirzen. Ergo: Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben.
Die Mischung aus Paukerklamotte, zynischer Pisa-Farce, GTA-Popkulturbezügen und Spielwiesenflair funktioniert also nicht nur als unterhaltsames Game, sondern auch als ätzende Satire auf eine Bildungslandschaft, die sich immer mehr von den Schülern entfremdet hat und kaum noch Eindruck bei den Primanern schindet. Auf sich gestellt verfallen die virtuellen Schüler in einen Kreislauf aus Macht, Gewalt und Verrohung, was in Canis Canem Edit Comic-haft überspitzt dargestellt wird, aber nicht seine Wirkung verfehlen wird.
Die gerade wieder aufflammende Debatte über Gewalt in Computerspielen wird auch sicher nicht an Canis Canem Edit vorübergehen. Der lateinische Titel hätte allerdings auch „homo homini lupus est“ lauten können und so wäre eine Debatte über die Aussage des Rockstar-Spiels sinnvoller als seine vermeintliche Wirkung auf den Spieler. Es wäre zu wünschen, dass Canis Canem Edit eines der ersten Spiele wird, welches den Fokus der Debatte verändern könnte.