Häusliche Pflege: Angehörige überlastet, Politik tut zu wenig
Sie leisten wichtige Arbeit und verzichten auf Einkommen und Gesundheit: pflegende Angehörige. Sozialverband wirft Politik vor, zu wenig für sie zu tun. Das sind die Hintergründe.
Seit Jahren herrscht in Deutschland der Pflegenotstand: Kliniken und Einrichtungen sind zum Teil dramatisch unterbesetzt. Trotz aller Bemühungen ist keine schnelle Lösung in Sicht – zumal die Situation in Kliniken und Pflegeheimen nur einen Ausschnitt des Problems zeigt.
Ein Großteil der Pflege findet zu Hause, in den eigenen vier Wänden statt, was eine kürzlich veröffentlichte Studie des Sozialverbandes VdK hervorhebt. Es sind dabei oftmals Familienmitglieder, die ihre Angehörigen pflegen – und das nicht immer freiwillig.
VdK-Präsidentin Verena Bentele warf der Politik vor, zu wenig zu tun, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt seien. "Die Datenlage ist eindeutig: Wir wissen, wo es hakt und wer Unterstützung braucht – und dann folgt vonseiten der Politik nichts", so Bentele. Die Politik lasse vier Millionen Pflegebedürftige im Stich.
Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, die häusliche Pflege zu stärken. Dieses Versprechen müsse nun endlich in ein Gesetz münden, forderte Bentele.
Rund 93 Prozent der Befragten hat demnach angegeben, bisher keinen Zugang zur Tagespflege gefunden zu haben. 62 Prozent nutzten auch keinen Pflegedienst. Es fehlten passende Angebote oder die Zuzahlungen seien zu hoch, bemängelte der VdK. Wegen "enormer Bürokratie" und fehlenden Beratungen würden viele Angebote nicht abgerufen.
Gleichwohl sind die ambulanten Pflegedienste in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten deutlich gewachsen. Im Zeitraum von 2001 bis 2021 wuchs dort die Zahl der Beschäftigten um 134 Prozent auf nunmehr 442.900, wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte.
Im selben Zeitraum stieg aber auch die Zahl der Pflegebedürftigen, die von solchen Diensten zu Hause versorgt werden, um 141 Prozent. Und somit liegen die Lasten auch weiterhin vorwiegend auf den Angehörigen. Mehr als jeder Dritte von ihnen pflegt schon mehr als fünf Jahre. Knapp 23 Prozent wendet 40 Stunden in der Woche dafür auf.
Davon besonders betroffen sind Eltern, die ihre minderjährigen oder erwachsenen Kinder pflegen. Mehr als die Hälfte von ihnen ist mehr als 39 Stunden in der Woche mit der Pflege beschäftigt. In Vollzeit arbeiten gehen können sie nicht: Knapp 75 Prozent musste die Arbeitszeit verringern; zwei von drei reduzierten die Dauer der Lohnarbeit mindestens um die Hälfte.
Eine Folge davon: Einbußen bei den Einkommen. Mehr als die Hälfte gab an, im Monat nur noch ein Einkommen von weniger als 2.000 Euro zu haben. Sie klagten deshalb über ständige finanzielle Sorgen.
Viele sind durch die Pflege aber auch gestresst und überlastet. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, die eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Knapp 80 Prozent gaben an, sich über den eigenen gesundheitlichen Zustand zu sorgen.
Angesichts dieser Daten versuchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu beschwichtigen. "Die Pflege durch Angehörige ist nicht der billige Pflegedienst", sagte er. Es gelte aber, die Form der Pflege zu erhalten und weiter auszubauen, um auch die Familienstrukturen zu erhalten.
Wie er das machen will, bleibt weitgehend unklar. Er wolle sich in der Regierungskoalition für weitere Verbesserungen einsetzen, versprach er. Aber er betonte auch, dass man innerhalb des durch den Bundeshaushalt vorgegebenen Rahmens arbeiten müsse. Das bedeutet auch, dass die Schuldenbremse einzuhalten ist.
Der Pflegenotstand treibt auch die Minister Hubertus Heil (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) um. Im Juni wollen beide nach Brasilien reisen, um dort Pflegekräfte für Deutschland anzuwerben, berichtete die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA).
Man werde "gemeinsam mit der Wirtschaft eine Anwerbe-Strategie in Ländern umsetzen, in denen es mehr junge und gut ausgebildete Menschen gibt, als der dortige Arbeitsmarkt aufnehmen kann", sagte Heil der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). Und in Brasilien sei das Potenzial an möglichen Pflegekräften groß.
Die Zahl der Pflegekräfte mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und beträgt inzwischen knapp 244.000. Ihr Anteil stiegt von acht Prozent im Jahr 2017 auf vierzehn Prozent im Jahr 2022. Sie kommen hauptsächlich aus Polen, Bosnien und Herzegowina, Türkei, Rumänien und Kroatien. Im Juni des vergangenen Jahres waren 20.000 Pflegekräfte tätig, die aus Syrien und Afghanistan stammten.
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